Dienstvereinbarungen nach dem Mitarbeitervertretungsgesetz der Evangelischen Kirche in Deutschland (MVG-EKD). Christian Warns
befasste sich in der jüngeren Vergangenheit wiederholt mit diesem Regelungsinstrument.15 Hierbei erwähnte der 1. Senat obiter dictum in einer Entscheidung vom 24.06.2014, dass die kirchengesetzlich durch § 36 Abs. 3 MVG-EKD vorgesehene unmittelbare und zwingende (unabdingbare) Wirkung der Dienstvereinbarung im staatlichen Rechtskreis ohne Bedeutung sei.16 Aufgrund dieses Angriffs auf eine zuvor fast einhellig17 befürwortete Eigenschaft auch der kirchlichen Dienstvereinbarung sah sich jüngst ein Literaturvertreter zu der grundsätzlichen Frage „Dienstvereinbarung Quo Vadis?“18 veranlasst. Die mit diesem Ausruf verbundenen Anzeichen der Verunsicherung verdeutlichen auf einen Blick, vor welche Schwierigkeiten das Bundesarbeitsgericht den Rechtsanwender stellt; es nimmt ihm den Orientierungspunkt im Umgang mit der kirchlichen Dienstvereinbarung, denn unbewusst wird dem Rechtsanwender das tertium comparationis im Verhältnis zu der staatlichen Regelungsform der Betriebsvereinbarung entzogen. Die Möglichkeit eines simplen Vergleichs entfällt, da nun zumindest scheinbar Wesensverschiedenes miteinander verglichen wird. Für den wissenschaftlichen Diskurs zur kirchlichen Dienstvereinbarung kann diese Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts allerdings nur befruchtend wirken; sie fordert dazu auf, die Dienstvereinbarung als ein selbstständiges kirchenrechtliches Rechtsinstitut wahrzunehmen und sie als solches zum Gegenstand der rechtswissenschaftlichen Forschung und Kontroverse zu machen.19
Diese Bearbeitung will sich diesem Auftrag stellen und einen Grundlagenbeitrag zum kirchenrechtlichen Rechtsinstitut der Dienstvereinbarung leisten. Indessen erfordert es der Umfang der gesamten Thematik, den Untersuchungsgegenstand auf einige wesentliche Aspekte zu beschränken.
Zunächst soll die bundesarbeitsgerichtliche Rechtsprechung zur unmittelbaren und zwingenden Wirkung der Dienstvereinbarung aufgegriffen und auf ihre Stichhaltigkeit überprüft werden. Da mögliche Konflikte zwischen kirchlicher Rechtsetzung und staatlicher Rechtsordnung am deutlichsten im Rahmen der privatrechtlichen Ausgestaltung des kirchlichen Dienstes hervortreten, liegt es nahe, den Untersuchungsschwerpunkt auf die Frage zu legen, ob und – falls dies zu bejahen ist – inwieweit privatrechtlich ausgestaltete Arbeitsverhältnisse der unmittelbaren und zwingenden Gestaltung durch eine kirchliche Dienstvereinbarung zugänglich sind. Diese Gewichtung ist zudem vor dem Hintergrund gerechtfertigt, dass die überwiegende Zahl aller Mitarbeiter im kirchlichen Dienst ohnehin auf der Grundlage eines nach den Maßstäben der staatlichen Privatrechtsordnung abgeschlossenen Arbeitsvertrags beschäftigt ist20. Die eigentliche Bedeutung einer unmittelbaren und zwingenden Wirkung der Dienstvereinbarung verbleibt jedoch solange im Vagen, wie ungeklärt ist, welche Regelungen als Gegenstand einer Dienstvereinbarung überhaupt in Betracht kommen. Dies führt zu der Frage, in welchem Umfang die Dienstvereinbarungsparteien befugt sind, Arbeitsbedingungen zu regeln.
Aufgrund dessen lassen sich abschließend zwei Hauptschwerpunkte für diese Untersuchung benennen: Zum einen gilt es zu überprüfen, ob der Dienstvereinbarung eine unmittelbare und zwingende Wirkung für das privatrechtlich ausgestaltete Arbeitsverhältnis zukommt. Zum anderen ist zu ermitteln, in welchem Umfang die Dienstvereinbarungsparteien befugt sind, Arbeitsbedingungen für den einzelnen Mitarbeiter festzulegen.
1ABl. EKD 2013, S. 425 ff.
2Der Begriff der „Dienststellenpartner“ wird in der vorliegenden Arbeit als gemeinsame Bezeichnung von Dienststellenleitung und Mitarbeitervertretung verwendet. Er ist synonym zu dem im staatlichen Betriebsverfassungsrecht verwendeten Begriff der „Betriebsparteien“ zu verstehen, auf den bewusst im Kontext dieser Arbeit als Bezeichnung für die Dienststellenpartner verzichtet wird, da das kirchliche Mitarbeitervertretungsrecht nicht an den Betrieb, sondern an die Dienststelle als maßgebliche Organisationseinheit anknüpft.
3AKS/Andelewski, MVG.EKD, § 36 Rn. 1, 13; Baumann-Czichon/Gathman/Germer, MVG-EKD, § 36 Rn. 1 f., 7 f.; Fey/Rehren, MVG-EKD, § 36 Rn. 1, 3; Schielke, Mitarbeitervertretungsgesetz, S. 229.
4Fey, ZMV 1996, 117; Richardi, Arbeitsrecht in der Kirche, § 19 Rn. 41; Schielke, Mitarbeitervertretungsgesetz, S. 229.
5So Richardi/Dörner/Weber/C. Weber, Personalvertretungsrecht, § 73 Rn. 1, 4; ebenso auch Altvater/Berg, BPersVG, § 73 Rn. 1.
6Repräsentativ für das vorrangige Interesse an der Betriebsvereinbarung ist auch die beträchtliche Anzahl von Habilitationsschriften, die sich mit ihr befassen, während es zur Dienstvereinbarung keine entsprechend umfangreiche Untersuchung gibt, vgl. zur Betriebsvereinbarung nur die Habilitationsschriften von Kreutz, Grenzen der Betriebsautonomie; Richardi, Kollektivgewalt und Individualwille bei der Gestaltung des Arbeitsverhältnisses; Veit, Die funktionelle Zuständigkeit des Betriebsrats; Waltermann, Rechtsetzung durch Betriebsvereinbarung zwischen Privatautonomie und Tarifautonomie.
7Vgl. zu dem verweisenden Vorgehen nur Altvater/Berg, BPersVG, § 73 Rn. 1 ff.; Richardi/Dörner/Weber/C. Weber, Personalvertretungsrecht, § 73 Rn. 1 ff.; Ilbertz/Widmaier/Sommer, BPersVG, § 73 Rn. 12, 16, 19 f., 22.
8Vgl. zu dieser Vorgehensweise nur die einschlägige Kommentarliteratur zu § 36 MVG-EKD: AKS/Andelewski, MVG.EKD, § 36 Rn. 1 ff.; Baumann-Czichon/Gathman/Germer, MVG-EKD, § 36 Rn. 1 ff.; weniger ausgeprägt, wenngleich häufig mit Verweisen auf die übrige Kommentarliteratur zum Mitarbeitervertretungsgesetz Fey/Rehren, MVG-EKD, § 36 Rn. 1 ff.
9Zur Umsetzung des Mitarbeitervertretungsgesetzes in den Gliedkirchen Fey/Rehren, MVG-EKD, Einleitung Rn. 44 ff.
10Um nicht sogleich wieder unnötige Unschärfen zu provozieren, wird in dieser Arbeit davon abgesehen, die für das Mitarbeitervertretungsrecht der evangelischen Kirche ermittelten Ergebnisse auf das Recht der römisch-katholischen Kirche zu übertragen. Auch die Rahmenordnung für eine Mitarbeitervertretungsordnung (MAVO) kennt zwar die Dienstvereinbarung als mitarbeitervertretungsrechtliches Rechtsinstitut. Anders als in der evangelischen Kirche steht indessen die Dienstvereinbarung aufgrund der Regelung des § 38 MAVO überhaupt nur zur Regelung einzelner, abschließend festgelegter Angelegenheiten zur Verfügung. Daher sollte auch vor einer Übertragung der in dieser Arbeit gefundenen Ergebnisse stets genauestens überprüft werden, ob die Dienstvereinbarung nach dem Recht der römisch-katholischen Kirche nicht eine abweichende Beurteilung verlangt.
11EKD, Zahlen und Fakten, S. 20; siehe auch die entsprechende Angabe bei Fey/Rehren, MVG-EKD, Einleitung Rn. 1.
12EKD, Zahlen und Fakten, S. 31 (Statistik aus dem Jahr 2014).
13EKD, Zahlen und Fakten, S. 20 (Statistik aus dem Jahr 2017).
14Vgl. die Nichtamtliche Begründung zum Zweiten Kirchengesetz über Mitarbeitervertretungen in der Evangelischen Kirche in Deutschland 2013 (MVG-EKD) vom 13. November 2013, S. 1, abrufbar unter http://www.kirchenrecht-ekd.de/document/12677 (Stand: 25.07.2018).
15Siehe nur BAG vom 22.03.2018 – 6 AZR 835/16, BeckRS 2018, 13917; vom 24.06.2014 – 1 AZR 1044/12, AP Nr. 74 zu § 611 BGB Kirchendienst; vom 20.12.2012 – 2 AZR 32/11, NZA-RR 2013, 627, 630 [Rn. 38 ff.]; vom 29.09.2011 – 2 AZR