Verfassungsprozessrecht. Michael Sachs

Verfassungsprozessrecht - Michael Sachs


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übertragen ist. Die Feststellung der Entscheidungskompetenz eines ganz bestimmten Gerichts hängt im Rahmen der komplizierten prozessrechtlichen Regelungen in erster Linie davon ab, in welcher der in Art. 95 Abs. 1 GG vorgesehenen Gerichtsbarkeiten die Rechtssache zu entscheiden ist. Die Zuordnung zu einer dieser fünf Gerichtsbarkeiten wird gemeinhin als Eröffnung des Rechtswegs bezeichnet und dementsprechend als Sachentscheidungsvoraussetzung geprüft. Dies gilt insbesondere dann, wenn die prozessrechtlichen Vorschriften, wie etwa § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO, einen Rechtsweg (dort: den Verwaltungsrechtsweg) in einer Generalklausel eröffnen.

      98Auf die Verfassungsgerichtsbarkeit (des Bundes und der Länder) passt schon dieser Begriff eines Rechtswegs von mehreren nur bedingt; auch im Grundgesetz wird er für die Verfassungsgerichtsbarkeit jedenfalls nicht einheitlich so verwendet. Zwar genügt die Möglichkeit, ein Verfassungsgericht anzurufen, im Rahmen des Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG der allgemeinen (!) Rechtsweggarantie, dagegen sind in Art. 94 Abs. 2 Satz 2 GG bei der Erschöpfung des Rechtsweges (→ Rn. 570ff.) nur die Nicht-Verfassungsgerichte gemeint. Wiederum abweichend meint der in Art. 93 Abs. 1 Nr. 4 letzter Hs. GG als vorrangig angesprochene andere Rechtsweg für die 3. Var. der Bestimmung gerade die Landesverfassungsgerichtsbarkeit (→ Rn. 393).

      99Entscheidend gegen eine „Sachentscheidungsvoraussetzung“ der Eröffnung des Rechtswegs zum BVerfG spricht indes eine andere, praktische Erwägung. Die Frage nach einem „Rechtsweg“ zum BVerfG führt für die Zulässigkeit eines bei diesem Gericht angebrachten Antrags keinen Schritt weiter, weil die Entscheidungsbefugnis des BVerfG nicht durch eine generalklauselartige Regelung, etwa für alle verfassungsrechtlichen Streitigkeiten, eröffnet wird, unter deren Voraussetzungen ein zu prüfender Antrag subsumiert werden könnte. Vielmehr ist das BVerfG für eine abschließend festgelegte Reihe einzelner Verfahrensarten (vgl. die Aufzählung in § 13 BVerfGG und dazu → Rn. 4, 108ff.) zur Entscheidung berufen, deren jeweilige Voraussetzungen allein maßgeblich sind. Für eine allgemeine, losgelöst von den besonderen Vorschriften für die einzelnen Verfahrensarten durchzuführende Prüfung der Eröffnung eines „Rechtswegs zum BVerfG“ besteht danach keine Grundlage. Vielmehr ist die Zulässigkeit eines Antrags von vornherein für eine bestimmte, ausdrücklich bezeichnete oder der Sache nach in Betracht kommende Verfahrensart, gegebenenfalls für mehrere, zu prüfen.

      |29|2. Anstoß zu dem Verfahren

      100Wie bereits dargelegt (→ Rn. 71, 77), wird das BVerfG nicht von Amts wegen tätig, sondern nur, wenn es von außen den Anstoß zur Durchführung eines Verfahrens erhält. Dieser Anstoß von außen stellt insoweit eine allgemeine Sachentscheidungsvoraussetzung dar. Eine von den einzelnen Verfahrensarten gelöste Prüfung dieses Erfordernisses ist aber nicht möglich, weil die Bedingungen des jeweils erforderlichen Anstoßes von Verfahrensart zu Verfahrensart verschieden sind und sich deshalb einer von diesen Besonderheiten unabhängigen Prüfung entziehen.

      3. Ordnungsgemäßer verfahrenseinleitender Antrag

      101Eine für alle Verfahrensarten einheitlich geltende, zum Teil allerdings spezifisch ausgestaltete Sachentscheidungsvoraussetzung ist die in § 23 Abs. 1 BVerfGG geregelte Ordnungsmäßigkeit des das Verfahren einleitenden Antrags. Diese Bestimmung greift für alle Verfahrensarten ein, auch wenn das Grundgesetz oder das BVerfGG die verfahrenseinleitende Prozessrechtshandlung nicht als „Antrag“ bezeichnen, sondern einen anderen Begriff verwenden, wie etwa Beschwerde, Anklage, Vorlage, Verfassungsbeschwerde oder Einholung einer Entscheidung, Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a, b, Art. 100 Abs. 1, 2 und 3 GG, §§ 48, 49, 80 Abs. 1, 85, 86 Abs. 2, 90, 91 BVerfGG, Art. 41, 61 GG. Dies bestätigen §§ 80 Abs. 3, 81a BVerfGG, die den Aussetzungs- und Vorlagebeschluss, durch den bei der konkreten Normenkontrolle (→ Rn. 194ff.) die Entscheidung des BVerfG eingeholt wird, ausdrücklich als „Antrag“ bezeichnen.

      102Nach § 23 Abs. 1 Satz 1 BVerfGG müssen verfahrenseinleitende Anträge schriftlich eingereicht werden. Diesem Erfordernis wird jedenfalls dann genügt, wenn die Schriftform nach § 126 BGB durch eigenhändige Unterschrift des Antragstellers gewahrt ist. Das BVerfG (BVerfGE 15, 288 [291]) hat die eigenhändige Unterschrift für nicht unbedingt erforderlich erklärt; vielmehr soll es für die Schriftform ausreichen, wenn der Inhalt der abgegebenen Erklärung und der Antragsteller aus der schriftlich verkörperten Erklärung mit ausreichender Gewissheit entnommen werden können. Dementsprechend werden auch Telegramme und Telefaxe als ausreichend angesehen. Bei einem mittels Computer abgeschickten Fax genügt auch eine „eingescannte“ Unterschrift (vgl. BVerfG [K], NJW 2002, 3534 [3535]; s. ferner hierzu den Beschluss des Gemeinsamen Senats der Obersten Gerichtshöfe des Bundes, BVerwGE 111, 377 [381f.]).

      103Darüber hinaus verlangt § 23 Abs. 1 Satz 2 BVerfGG, dass die Anträge zu begründen sind und dass die erforderlichen Beweismittel angegeben werden (s. in Verbindung mit § 92 BVerfGG etwa BVerfGE 118, 168 [181]; 123, 186 [222]). Soweit für die Einleitung eines Verfahrens Fristen vorgeschrieben sind, müssen diese Bedingungen innerhalb der vorgeschriebenen Frist erfüllt werden.

      |30|4. Keine Rechtshängigkeit derselben Sache

      104Die negative Sachentscheidungsvoraussetzung, dass die mit dem Antrag zur Entscheidung gestellte Sache noch nicht beim BVerfG rechtshängig sein darf, wird praktisch kaum eine Rolle spielen. Denkbar wäre es am ehesten noch, dass ein (querulatorischer) Verfassungsbeschwerdeführer sein Anliegen (innerhalb der dafür vorgesehenen Frist) gleich mehrfach an das BVerfG heranträgt. Verfassungsbeschwerden verschiedener Personen gegen denselben Staatsakt, insbesondere dasselbe Gesetz, werfen die Frage der Rechtshängigkeit nicht auf, weil der Streitgegenstand des Verfassungsbeschwerdeverfahrens durch die individuelle Grundrechtsverletzung des jeweiligen Beschwerdeführers mitbestimmt wird, so dass nicht „dieselbe Sache“ vorliegt. Die Frage, ob gegen dieselbe Norm gerichtete Normenkontrollverfahren noch möglich sind, wenn bereits ein derartiges Verfahren rechtshängig ist, ist im Hinblick auf Richtervorlagen nach Art. 100 Abs. 1 GG wohl zu bejahen (→ Rn. 244f.). Entsprechendes dürfte für andere Verfahren gelten, deren Gegenstand keine subjektiven Rechte betrifft (vgl. aber → Rn. 267).

      5. Keine entgegenstehende Rechtskraft

      105Ähnliches wie für die Rechtshängigkeit gilt auch für die negative Sachentscheidungsvoraussetzung der fehlenden rechtskräftigen Entscheidung derselben Sache, die selten Bedeutung erlangt. Gelegentlich können sich allerdings interessante Rechtsfragen in diesem Zusammenhang in Bezug auf Normenkontrollverfahren ergeben (→ Rn. 247ff.).

      106Abgesehen von ihrer Wirkung als Sachentscheidungshindernis hat die materielle Rechtskraft eine weitere Dimension, ihre Bindungswirkung im Falle präjudizieller Bedeutung für spätere Entscheidungen. Dieser Aspekt wird später im Zusammenhang der Entscheidungswirkungen näher behandelt (→ Rn. 653ff.). Er ist nicht (unmittelbar) für die Zulässigkeit eines Antrags, sondern für den Inhalt der zu treffenden Sachentscheidung relevant.

      6. Rechtsschutzbedürfnis

      107Das Rechtsschutzbedürfnis (Rechtsschutzinteresse) ist eine in anderen Gerichtsbarkeiten, etwa im Verwaltungsprozess, auch ohne ausdrückliche gesetzliche Regelung anerkannte allgemeine Sachentscheidungsvoraussetzung. Sie ist in spezifischer Weise damit verknüpft, dass gerichtliche Verfahren grundsätzlich der Durchsetzung subjektiver Rechte der Antragsteller zu dienen bestimmt sind. Unter den Zuständigkeiten des BVerfG finden sich aber gerade auch solche, bei denen es nicht um die Durchsetzung subjektiver Rechte geht. Insoweit können daher jedenfalls die allgemeinen Grundsätze über das Rechtsschutzbedürfnis nicht zur Anwendung kommen. Ob und welche Voraussetzungen in diesem Zusammenhang überhaupt gelten, hängt damit von den einzelnen Verfahrensarten ab und wird im Falle beachtlicher Besonderheiten dort angesprochen (→ Rn. 340 zum Organstreit; Rn. 598f. zur |31|Verfassungsbeschwerde; Rn. 634 zur einstweiligen Anordnung nach § 32 BVerfGG; Rn. 644 zum Widerspruch gegen die einstweilige Anordnung).

       Fragen zu D. Sachentscheidungsvoraussetzungen:


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