Kriminologie. Tobias Singelnstein
Emotionale Stabilität.
6. Entwicklung von Coping-(Bewältigungs-)Mechanismen.
7. Widerstand gegen Folgeschäden durch Institutionalisierung.
D. Sozialer Empfangsraum (Risikovariablen)
1. Arbeit.
2. Unterkunft.
3. Soziale Beziehungen mit Kontrollfunktion.
4. Offizielle Kontrollmöglichkeiten.
5. Verfügbarkeit von Opfern.
6. Zugangsmöglichkeiten zu Risiken (destabilisierende Einflüsse).
7. Compliance (Bereitschaft zur Mitarbeit an therapeutischen Maßnahmen).
8. Stressoren (mögliche belastende Anforderungen).
E. PCL-R Wert
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Die Prognosestellung mit Hilfe von Kriterienlisten ist transparenter als die herkömmliche Individualprognose und erlaubt es den Gerichten, die Sachverständigenbeurteilung zumindest auf ihre Plausibilität hin zu überprüfen. Freilich ist auch deren prognostische Verlässlichkeit umstritten.189 Nach Nedopil ist es allein bei therapiebedürftigen Probanden mit spezifischen Defiziten mit Hilfe eines hypothesengeleiteten Therapieprogrammes, dessen Interventionen kontinuierlich überprüft und korrigiert werden, „in Ansätzen“ möglich, Risikoeinschätzungen zu erarbeiten, die „einem gewissen“ wissenschaftlichen Anspruch genügen.190
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Mitunter führt die Prognose zur Annahme einer „Therapieresistenz“191. Für dieses Verdikt, das dem im 19. Jahrhundert durch von Liszt entworfenen Konzept des unverbesserlichen – und daher dauerhaft unschädlich zu machenden – Rückfallverbrechers (→ § 4 Rn 25 f.; § 21 Rn 12) entspricht, gibt es keine empirische Entsprechung in Befundtatsachen. Vielmehr handelt es sich dabei um ein begriffliches Konstrukt, das die Gründe für die Undurchführbarkeit einer Therapie ausschließlich in der Person des Probanden verortet und diese mit dem apodiktischen Verdikt der Unverbesserlichkeit belegt, das sich erst recht dazu eignet, „Therapieresistenz“ zu fördern. Mitunter liegt die „Untherapierbarkeit“ schlicht daran, dass geeignete Therapiemöglichkeiten und -einrichtungen fehlen. Das Urteil der „Untherapierbarkeit“ ist jedenfalls nur vorläufig für überschaubare Zeiträume gültig. Zudem weist die begriffliche Konstruktion von „Therapieresistenz“ einen politischen Zuschnitt auf, der den resozialisierenden Behandlungsvollzug desavouiert (→ § 20 Rn 44) und das populistisch vereinfachte Rezept, gefährliche Straftäter einzusperren und den Schlüssel wegzuwerfen, stützt.
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Darüber hinaus entspricht die „Therapieresistenz“ dem generellen Schema der von Persönlichkeitstheorien vorausgesagten Verhaltensstabilität. Ebendarum ist hier die Gefahr einer Fehleinschätzung, die bestätigt findet, was der Ansatz von vornherein erwarten ließ, besonders groß.
„Die diagnostischen Kriterien für Persönlichkeitsstörungen, ebenso wie die Prognoseinstrumente für Rückfälligkeit in Delinquenz, betonen die statischen Elemente bei derartigen Störungen und implizieren damit, dass eine Änderung der Prognose durch Therapie oder durch Zeitablauf nicht zu erwarten ist. Bei einem Verharren in diesen Annahmen erscheint eine Therapie von vornherein aussichtslos, weil das diagnostische und prognostische Instrument eine Änderung nicht zulässt bzw. nicht erkennen kann. Trotz dieser Vorannahmen haben persönlichkeitsgestörte Probanden nur eine relativ kurze Aufenthaltsdauer im Maßregelvollzug. Daraus ließe sich ableiten, dass sich die Prognose [92] von der Einweisung in den Maßregelvollzug bis zur Entlassung aus dem Maßregelvollzug in kurzer Zeit erheblich verbessert hat, ein Ergebnis, welches den Vorannahmen widerspricht. Es erscheint wichtig, Prognoseparameter in die Entscheidung über die Entlassung aufzunehmen, die eine Änderung erfassen und eine Verbesserung der Prognose widerspiegeln können.“192
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Das Erstarken persönlichkeitsbezogener Erklärungen von Kriminalität in den vergangenen 30 Jahren geht mit einer Veränderung des kriminalpolitischen Klimas einher. Vordem herrschte die Auffassung, dass das Individuum durch in seinem sozialen Umfeld erlernte Gewohnheiten geprägt sei (→ § 10). Dieser Vorstellung entsprach eine offizielle Kriminalpolitik, welche die kulturellen Gewohnheiten straffälliger Personen durch eine breite Palette drohender, strafender und sozial stützender Interventionen zu verändern trachtete. Die (zu) großen Erwartungen an die aufwendigen Bemühungen um eine teils erzwingende, teils helfende Verhaltenskorrektur erfüllten sich nicht. Gerade bei sozial gefährlichen Mehrfachtätern, auf die sich die Anstrengungen konzentrierten, wurde der Ertrag der Interventionsbemühungen als enttäuschend empfunden (→ § 20 Rn 44 ff.). Wie so oft, wenn Versuche der externen Verhaltenskorrektur scheitern, oder auch nur hinter zu hohen Erwartungen zurückbleiben, liegt es nahe, die interne Beschaffenheit des Individuums für die kriminelle Verhaltenskonstanz verantwortlich zu machen.
157 Lösel 1993.
158 Glueck/Glueck 1950.
159 Amelang u. a. 2006.
160 Waldo/Dinitz 1967.
161 Bernard/Snipes/Gerould 2016, 99.
162 Cleckley 1988.
163 Rafter-Hahn 1997.
164 Rowe 1996.
165 Hollin 2012.
166 Halleck 1971, 77.
167 Zusammenfassend Herren 1973; Schneider 1983.
168 Alexander/Staub 1974.
169 Ostermeyer 1972.
170 Reik 1974.
171 Freud 1954, 89.
172 Alexander/Staub 1974, 410.
173 Haffke 1976.
174 Dilling/Mombour/Schmidt 2015.
175 Falkai/Wittchen 2015.
176 Dilling/Mombour/Schmidt 2015, 274.
177 Zur Bandbreite der Einschätzungen vgl. nur Hinz 1987, Cornel 1994 sowie die Beiträge in Dölling 1995.
178 So Haas 1996.
179 Lösel 1983, 38; vgl. auch Bernard/Snipes/Gerould 2016, 100.
180 von Liszt 1905, 346.
181 Nedopil 2006.
182 Dittmann 1999.
183 Kritisch Stratenwerth 2002.
184 Nedopil 1995, 83 ff.
185 Deutsche Bearbeitung von Müller-Isberner/Gonzalez Cabeza/Jöckel 1998.
186 Nedopil 2006, 122 ff.
187 Deutsche Bearbeitung von Müller-Isberner/Gonzalez Cabeza/Eucker 2000.
188 Schneider 2006, 101.
189 Nedopil/Müller 2012, 245 ff.
190 Nedopil 1995, 90.
191 Haas 1996.
192 Nedopil 1997, 79.
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