Arbeitsrecht. Jean-Martin Jünger
Das BAG befand die Kündigungen für unwirksam gem. § 138 BGB. Die Frage nach abgeschlossenen Ermittlungsverfahren sei für die Bewerbung nicht erforderlich und nicht durch § 29 Datenschutzgesetz – DSG-NRW gestattet gewesen. Der Kläger habe die abgeschlossenen Verfahren verschweigen dürfen. Ein berechtigtes Interesse einer Auskunft nach anhängigen Straf- und Ermittlungsverfahren i.S.d. DSG sei anerkannt, wenn ein solches bei einer Bewerbung bei einem öffentlich-rechtlichen Arbeitgeber bereits ein solches Verfahren Zweifel an der persönlichen Eignung des Bewerbers für die in Aussicht genommene Tätigkeit begründen könne. An der Informationsbeschaffung durch die unspezifizierte Frage nach eingestellten Verfahren bestehe hingegen grundsätzlich kein berechtigtes Interesse des potentiellen Arbeitgebers. Dies ergebe sich aus der Wertentscheidung des § 53 BZRG[31].
• | Religions-/Parteizugehörigkeit Diese Frage dürfen wegen der Grundrechte aus Art. 4, 9 Abs. 3 GG nur Tendenzbetriebe wie kirchliche Einrichtungen, Parteien und Gewerkschaften stellen.[32] |
3. Das fehlerhafte Arbeitsverhältnis
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Eine Besonderheit im Arbeitsverhältnis stellt das sog. „fehlerhafte Arbeitsverhältnis“ dar. Stellt sich nach Vollzug des Arbeitsverhältnisses heraus, dass dieses unwirksam oder nichtig ist, so entfaltet dies grundsätzlich nur Wirkung für die Zukunft. Eine wirksame Anfechtung wirkt daher abweichend von § 142 Abs. 1 BGB nur ex nunc.[33] Auch ohne Anfechtung findet keine Rückabwicklung statt, lösen sich die Parteien vom unwirksamen Vertrag.
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Vollzogen wurde das Arbeitsverhältnis dann, wenn die Parteien schon vertragstypische Leistungen ausgetauscht haben, der Arbeitnehmer also tatsächlich gearbeitet hat.
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Hintergrund dieser Besonderheit ist die Überlegung, dass eine Rückabwicklung bereits erbrachter Arbeitsleistungen höchst unpraktisch wäre. Der Arbeitgeber müsste den gezahlten Arbeitslohn gem. §§ 812 ff. BGB zurückfordern, wobei er Gefahr liefe, dass sich der Arbeitnehmer auf die Entreicherung gem. § 818 Abs. 3 BGB beruft. Der Arbeitnehmer hingegen müsste seine erbrachte Arbeitsleistung kondizieren, was erhebliche Schwierigkeiten bei der Berechnung des Nutzungsersatzes gem. § 818 Abs. 1 BGB mit sich brächte. Daher kann der Arbeitgeber sich nicht auf die Nichtigkeit für die Vergangenheit berufen, das Arbeitsverhältnis wird als wirksam behandelt.
Hinweis
Zulasten eines Minderjährigen sind diese Grundsätze nicht anzuwenden, ebenso wenig zugunsten des arglistig Täuschenden. Es muss also stets überprüft werden, ob der Anwendung der Lehre vom fehlerhaften Arbeitsverhältnis höherrangige Schutzprinzipien entgegenstehen.
4. Übungsfall Nr. 2
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„Die Schwangerschaftsvertretung“
Arbeitgeber A benötigt für sein Schmuckgeschäft aufgrund eines schwangerschaftsbedingten Ausfalls einer seiner Verkäuferinnen eine Vertretung.
Nachdem sich B auf die Stelle beworben hat, wird sie zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen. Diese freut sich immens über die Einladung, da sie bereits seit vielen Monaten einen Arbeitsplatz sucht. Während des Vorstellungsgesprächs fragt A, ob B schwanger sei. Auf diese Frage antwortet B nicht wahrheitsgemäß mit Nein.
Beide einigen sich, ein Arbeitsvertrag wird unterzeichnet.
A ist sehr erbost, als er später erfährt, dass B entgegen ihrer Angaben im Vorstellungsgespräch doch schwanger ist. Daraufhin erklärt er gegenüber B, dass er den Vertrag anfechten möchte, aus finanziellen Gründen könne er nicht noch eine Schwangere „beschäftigen“, bei vorheriger Kenntnis hätte er sie niemals eingestellt.
Kann sich A durch Anfechtung vom Arbeitsvertrag lösen?
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Lösung
A. Anfechtung des Arbeitsvertrages
Von dem Arbeitsvertrag könnte sich A durch Anfechtung lösen, wenn ihm ein Anfechtungsrecht nach §§ 119 ff. BGB zustünde.
Zunächst ist zu klären, ob die Anfechtungsregeln auf den Arbeitsvertrag anwendbar sind. In Betracht kommt ein Vorrang des Kündigungsrechts als speziellere Lösungsmöglichkeit vom Vertrag. Dabei bliebe aber unberücksichtigt, dass nach besonderen Schutzvorschriften eine Kündigung ausgeschlossen sein kann, vgl. etwa § 9 MuSchG. Eine Unanwendbarkeit der Anfechtungsregeln würde weiter dazu führen, dass Willensmängel bei Eingehung des Arbeitsvertrages unberücksichtigt blieben. Daher sind die Anfechtungsregeln anzuwenden.
Eine Anfechtung setzt eine Anfechtungserklärung binnen der Anfechtungsfrist und einen Anfechtungsgrund voraus.
Eine wirksame Anfechtungserklärung (§ 143 BGB) des A, in der zum Ausdruck kommt, dass er sich von dem Vertrag aufgrund der unwahren Beantwortung der Frage nach der Schwangerschaft seitens der B lösen möchte, liegt vor.
B. Anfechtungsgrund nach § 123 Abs. 1 Alt. 1 BGB
Fraglich ist allerdings, ob A ein Anfechtungsgrund zusteht.
Ein Anfechtungsgrund könnte sich zunächst aus § 123 Abs. 1 Alt. 1 BGB ergeben. Danach steht demjenigen ein Anfechtungsrecht zu, der zur Abgabe seiner Willenserklärung durch arglistige Täuschung bestimmt worden ist.
I. Arglistige Täuschung
Erste Voraussetzung ist eine Täuschung des A seitens der B. Eine Täuschung ist jedes Verhalten, das bei dem anderen einen Irrtum hervorruft. Nach der Falschbeantwortung der Frage war A der Annahme, die B sei nicht schwanger. In Wirklichkeit stellte sich die Situation aber anders dar. A befand sich also aufgrund des Verhaltens der A über diesen Umstand im Irrtum. Eine Täuschung lag folglich vor. Diese Täuschung sollte A auch zum Abschluss des Arbeitsvertrages mit B veranlassen, was er bei richtiger Würdigung der Sachlage unterlassen hätte. B handelte also auch arglistig. Tatsächlich hat A die B auch deshalb eingestellt, weil er davon ausging, dass eine Schwangerschaft der B nicht vorliege, die erforderliche Kausalität zwischen Täuschung und Vertragsschluss ist mithin zu bejahen.
II. Widerrechtlichkeit der Täuschung
Zweifelhaft scheint allerdings, ob die Täuschung auch widerrechtlich war. Dies ist nur dann der Fall, wenn die Frage des A überhaupt zulässig war. Bei der Beantwortung der Frage, ob eine Frage zulässig ist, ist stets das Interesse des Arbeitgebers, sich ein persönliches und fachliches Bild vom Bewerber zu machen, gegen das Interesse des Bewerbers am Schutz seiner Persönlichkeitsrechte (Art. 1, 2 GG) abzuwägen.
Zwar hat der Arbeitgeber ein Interesse an der Beantwortung der Frage, gerade im Hinblick auf die Einsatzfähigkeit einer schwangeren Arbeitnehmerin. Dennoch ist die Frage nach der Schwangerschaft als unzulässig zu erachten. § 3 Abs. 1 S. 2 AGG regelt eindeutig, dass eine unmittelbare Benachteiligung wegen des Geschlechts auch bei einer ungünstigen Behandlung wegen Schwangerschaft oder Mutterschaft gegeben ist. A durfte die Frage demnach nicht stellen, die Lüge der B auf die Frage bleibt für sie daher ohne Konsequenz. Ein Anfechtungsrecht des A nach § 123 Abs. 1 Alt. 1 BGB besteht also nicht.
C. Anfechtung