Juristische Methodenlehre. Mike Wienbracke
im Wesentlichen in den nachfolgenden Schritten.[3] Die danach zwingend gebotene Gesetzesanbindung darf keinesfalls etwa gegen eine bloße Wertung anhand der subjektiven Wertvorstellungen des jeweiligen „Rechtsanwenders“ ausgetauscht werden.[4]
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1. | Welche Tatbestandsmerkmale (Voraussetzungen; Rn. 80, 83 ff.) müssen nach der betreffenden Rechtsnorm erfüllt sein, damit die in dieser enthaltene Rechtsfolge (Rn. 81, 94 ff.) zur Anwendung gelangt? |
2. | Was genau bedeutet jedes einzelne dieser jeweils abstrakt-generell formulierten Merkmale (Definition bzw. Gesetzesauslegung; Rn. 120 ff.)? |
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3. | Wird der konkret-individuelle Sachverhalt vom Tatbestand der auf diese Weise zu interpretierenden Rechtsnorm erfasst, d.h. fällt Ersterer unter Letzteren (sog. Subsumtion)? |
4. | (Nur) Bejahendenfalls tritt als Ergebnis der Rechtsanwendung die in der betreffenden Rechtsnorm vorgesehene Rechtsfolge ein.[5] |
„Das gedankliche Verfahren, durch das konkrete Rechtsfolgen aus der abstrakten Norm hergeleitet werden, ist die Subsumtion.“[6] Logisch wird die Subsumtion, die sich im Gutachtenstil (Rn. 276) widerspiegelt, in Form eines Syllogismus vollzogen, wobei der vierschrittige juristische Syllogismus bzw. Justizsyllogismus vom dreischrittigen Syllogismus im Sinne der klassischen Logik[7] abweicht.[8]
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Beispiel[9]
Bevor Z im „Cocktailbar-Fall“ (Rn. 2) dem A dessen Portemonnaie gewaltsam entriss, hatte Z einen der Bleistiftstriche, mit denen Kellner K die Anzahl der von Z bestellten Cocktails auf einem Pappdeckel vermerkt hatte, ausradiert, um später weniger zahlen zu müssen. Hat sich Z hierdurch wegen Urkundenfälschung nach § 267 Abs. 1 Var. 2 StGB strafbar gemacht?
Zusammenfassung
Maßstab für die Beantwortung juristischer Fragestellungen ist das „Recht“, welches in der bundesdeutschen Rechtsordnung überwiegend aus dem geschriebenen Gesetzesrecht besteht. Dieses wiederum lässt sich unterteilen in Gesetze im formellen Sinn (Parlamentsgesetze) und Gesetze im materiellen Sinn (von einem Hoheitsträger erlassene abstrakt-generelle Regelungen). Darüber hinaus existieren außerhalb des nationalen Rechts mit dem Völkerrecht und v.a. dem primären (z.B. AEUV, EUV) sowie sekundären EU-Recht (z.B. Verordnungen, Richtlinien) weitere Rechtsquellen. Die Bedeutung des Gewohnheitsrechts ist demgegenüber gering.
Die vorgenannten Rechtsquellen stehen in einem hierarchischen Verhältnis zueinander (siehe das Schaubild in Rn. 49). Widerspricht eine hiernach rangniedere Rechtsnorm einer ranghöheren, so ist Erstere nach dem lex superior-Grundsatz nichtig (Geltungsvorrang) bzw. bei Verstoß einer Vorschrift des nationalen Rechts gegen das EU-Recht unanwendbar (Anwendungsvorrang). Verletzt ein nachkonstitutionelles Gesetz im formellen Sinn das Grundgesetz, so ist die Nichtigerklärung dem BVerfG vorbehalten (Verwerfungsmonopol, Art. 100 Abs. 1 GG). Konkurrieren zwei Rechtsnormen derselben Hierarchiestufe miteinander, so verdrängt die spezielle Vorschrift die allgemeine (lex specialis-Grundsatz) und die die jüngere die ältere (lex posterior-Grundsatz).
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Anmerkungen
Vgl. Wank, Auslegung, S. 5 f. Zu den Folgen, wenn im konkreten Fall kein Rechtssatz einschlägig ist, siehe Rn. 226 ff.
Zur insoweit uneinheitlichen Terminologie („Rechtsfindung“, „Rechtserkenntnis“, „Rechtsgewinnung“) siehe die Nachweise bei Vogel, Methodik, S. 95, der selbst neutral vom „Umgang mit dem Recht“ spricht.
Vgl. Bitter/Rauhut, JuS 2009, S. 289 (296); Horn, Einführung in die Rechtswissenschaft und Rechtsphilosophie, 6. Aufl. 2016, Rn. 163 f., 167; Vahle, DVP 2012, S. 2 (7 f.). Zum Folgenden vgl. Muthorst, Grundlagen, § 6 Rn. 9, 12; ders., JA 2013, S. 721 (722).
Staake, Jura 2011, S. 177 (183); ders., Jura 2018, S. 661 (673). Demgegenüber handele es sich BVerfGE 34, 269 (287) zufolge speziell bei der Verfassungsanwendung um einen „Akt des bewertenden Erkennens, dem auch willenhafte Elemente nicht fehlen“ (Hervor. d.d. Verf.).
Zum Ganzen siehe Rüthers, JuS 2011, S. 865 (867).
Schmalz, Methodenlehre, Rn. 12. Nach Vogel, Methodik, S. 174 seien „Syllogismus und Subsumtion […] zwingende Struktur (Logik) der Darstellung von Rechtsanwendung“.
Dazu siehe Putzke, ZJS 2014, S. 83 (mit Fn. 1): „Alle Menschen sind sterblich (= Obersatz). Alle Könige sind Menschen (= Untersatz). Deshalb sind alle Könige sterblich (= Konklusion).“
Vgl. Bäcker, JuS 2019, S. 321