Strafrecht Allgemeiner Teil II. Sabine Tofahrn
stellt sich die Frage, ob A von der versuchten Tötung der F strafbefreiend zurück getreten ist, indem er nach Abgabe der ersten drei Schüsse keine weiteren Schüsse mehr auf sie abgab. Dies hat der BGH[29] verneint. Er hat ausgeführt, dass A lediglich „anderweitig“ beschäftigt war, indem er versuchte, B abzuwehren, dass daraus aber noch nicht geschlossen werden könne, dass A die Ausführung der Tat aufgegeben habe. Nachdem das Magazin leer geschossen war, kam ein Rücktritt nicht mehr in Betracht, da ab diesem Zeitpunkt ein fehlgeschlagener Versuch vorlag.
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Nach überwiegender Auffassung ist – wie beim beendeten Versuch auch – ein Rücktritt nur dann möglich, wenn der Erfolg ausgeblieben ist.[30] Nach einer teilweise in der Literatur vertretenen Auffassung soll allerdings ein Rücktritt auch dann noch in Betracht kommen, wenn der Täter sich über die Wirksamkeit seines bisherigen Tuns irrt und von einem vermeintlich unbeendeten Versuch zurücktritt, der letztlich jedoch zum Erfolg führt (misslungener Rücktritt beim unbeendeten Versuch). Dabei wird überwiegend verlangt, dass zu dem Zeitpunkt des „Aufgebens der Tat“ der tatbestandliche Erfolg noch nicht eingetreten ist. In diesen Fällen des „misslungenen Rücktritts“ wird § 24 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 analog angewendet[31].
Dem wird jedoch von der h.M. entgegengehalten, dass eine Regelungslücke nicht erkennbar und es zudem unbillig sei, wenn das Risiko des Erfolgseintritts zwar beim beendeten Versuch nicht aber beim unbeendeten Versuch zu Lasten des Täters gehe. Zudem sei der bloße Rücktrittswille bedeutungslos, wenn es zur Tatvollendung komme.[32]
Beispiel
A gibt einen Schuss auf den im Auto fahrenden B ab, der jedoch zunächst ohne erkennbare Reaktion weiter fährt, weswegen A glaubt, B nicht getroffen zu haben. Aufgrund einer plötzlich aufkommenden mitleidigen Regung nimmt er von dem Abgeben weiterer Schüsse Abstand und kehrt um. Tatsächlich hat er B getroffen, welcher 2 Kilometer später tot am Steuer zusammensackt.
In der Klausur würden Sie vollendeten Totschlag prüfen. Nach der Schuld könnten Sie nunmehr die Frage aufwerfen, wie es sich auswirken könnte, dass A davon ausging, er habe B nicht getroffen und weitere Schüsse unterließ. Es könnte analog § 24 Abs. 1 S. 1 ein Rücktritt von einem zu diesem Zeitpunkt unbeendeten Versuch in Betracht kommen. Da der tatbestandliche Erfolg noch nicht eingetreten war und zudem nur auf die Vorstellung des Täters abgestellt wird, glaubte A zu diesem Zeitpunkt tatsächlich, er habe noch nicht alles Erforderliche getan und gab die weitere Ausführung der Tat auf. Die o.g. Literaturauffassung würde zur Straflosigkeit wegen Mordes gelangen und A nur wegen vollendeter Körperverletzung bestrafen. Die herrschende Meinung würde dem Täter wie beim beendeten Versuch auch das Risiko des Erfolgseintritts auferlegen, so dass für eine Analogie kein Raum ist.
2. Teil Versuch und Rücktritt des Alleintäters › D. Rücktritt vom Versuch › VI. Rücktritt vom beendeten Versuch
VI. Rücktritt vom beendeten Versuch
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Da ein beendeter Versuch vorliegt, wenn der Täter alles getan zu haben glaubt, was nach seiner Vorstellung von der Tat zur Herbeiführung des tatbestandlichen Erfolges ausreichend ist, reicht ein bloßes Aufgeben weiteren Handelns nicht aus, weil eben dieses Aufgeben ja zur Tatvollendung führen würde. Ein Rücktritt vom beendeten Versuch erfordert infolge dessen, dass der Täter die Vollendung aktiv verhindert. Welche Maßnahmen der Täter zur Verhinderung treffen muss, ist umstritten.
Nach herrschender Meinung reicht es für die Verhinderung aus, dass der Täter seinen Tatvorsatz aufgibt und bewusst und gewollt eine neue Kausalkette in Gang setzt, die für das Ausbleiben des Erfolges mitursächlich wird. Sofern andere, von seinem Willen unabhängige Umstände ebenfalls zur Nichtvollendung der Tat beitragen, soll dies einem strafbefreienden Rücktritt nicht entgegenstehen. Schaltet der Täter Dritte zur Rettung ein, ist wesentlich, dass bis zur Erfolgsverhinderung durch diese der Rettungswille des Täters fortbesteht.[33] Begründet wird diese, sehr großzügige Anforderung an die Rettungsbemühungen zum einen mit dem Wortlaut, der nur von der „Verhinderung“ spricht und zum anderen wiederum mit dem Opferschutz. Würde man vom Täter das Bestmögliche verlangen, könnte dies dazu führen, dass der Täter sich selbst belasten muss und aus diesem Grund die Rettung unterlässt.[34]
In der Literatur wird hingegen teilweise verlangt, dass der Täter ernsthaft und unter Ausschöpfung der optimalen Verhinderungsmöglichkeiten die Vollendung verhindern müsse. Sofern der Täter Dritte mit der Rettung betraue, müsse er diese als Anstifter initiiert oder mit Tatherrschaft gesteuert haben. Begründet wird dies im Hinblick auf § 24 Abs. 1 S. 2 mit der Vermeidung vor Wertungswidersprüchen. Müsse der Täter beim untauglichen Versuch sich ernsthaft bemühen, so könne es beim beendeten Versuch, welcher tatsächlich gefährlich sei, nicht ausreichen, wenn er nur irgendeine belanglose Handlung vornehme.[35]
Beispiel
A hat in dem Haus der abwesenden Eheleute B und C Feuer gelegt, als ihn wegen der im oberen Geschoss schlafenden Kinder plötzlich Gewissensbisse plagen. Er ruft aufgrund dessen in der Gaststätte an, in der sich die Ehefrau B befindet und erklärt ihr, dass sie sofort nach Hause kommen möge. Den Grund, warum sie nach Hause kommen soll, teilt er ihr nicht mit. Gleichwohl eilt B sofort nach Hause, entdeckt den Brand, der alsdann durch die Feuerwehr, die von B herbeigerufen wird, gelöscht werden kann, bevor er von den Gardinen auf das Haus übergreift. Um sicherzugehen, dass der Brand rechtzeitig entdeckt wird, ist A darüber hinaus selbst zur Brandstelle geeilt, wo er vor der Feuerwehr eintrifft.[36]
Der BGH hat hier zu Gunsten des A einen strafbefreienden Rücktritt vom beendeten Versuch angenommen. Von einem beendeten Versuch war auszugehen, da nach der Vorstellung des A alles Erforderliche getan war, um den Erfolg herbeizuführen. Durch das Anrufen der Ehefrau B habe A eine Kausalkette in Gang gesetzt, welche mitursächlich wurde für das Ausbleiben des Erfolges. Das darüber hinaus das weitere Tätigwerden der B den Erfolg herbeigeführt hat, soll sich nicht zu Lasten des Täters auswirken, zumal der Rettungswille bis zum Ende fortbestand, was auch daraus zu ersehen ist, dass A zur Brandstelle zurückkehrte, um zu kontrollieren, ob tatsächlich Rettungsmaßnahmen ergriffen werden.
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Wesentlich für den strafbefreienden Rücktritt ist jedoch nach allen Auffassungen, dass dieser erfolgreich war. Misslingen die Bemühungen beim beendeten Versuch, geht das Risiko des Erfolgseintritts und der Bestrafung wegen vollendeter Tat zu Lasten des Täters.[37]
Dies gilt jedoch nicht, wenn der Erfolg aufgrund von Umständen eingetreten ist, die dem Täter objektiv nicht zurechenbar sind und der Täter Verhinderungsbemühungen eingeleitet hat, die grundsätzlich für einen Rücktritt ausreichend gewesen wären („misslungener Rücktritt“ beim beendeten Versuch). In diesen Fällen soll der Täter allerdings nicht gem. § 24 Abs. 1 S. 1 Alt. 2, sondern nach § 24 Abs. 1 S. 2 analog strafbefreiend zurücktreten.[38]
Hinweis
Eine Analogie ist hier unproblematisch, da sie sich zu Gunsten des Täters auswirkt!
Beispiel
A sticht mehrfach auf B ein, bis dieser bewusstlos zusammenbricht. A glaubt