Strafrecht Allgemeiner Teil II. Sabine Tofahrn
III. Außertatbestandliche Zielerreichung
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Im Zusammenhang mit sukzessiver Tatbestandserfüllung können Ihnen in der Klausur auch Fälle begegnen, bei denen es dem Täter in erster Linie um eine außertatbestandliche Zielerreichung geht, wobei er den Eintritt des tatsächlich ausgebliebenen tatbestandlichen Erfolges billigend in Kauf nimmt. Bei diesem Versuch handelt es sich nicht um einen fehlgeschlagenen Versuch, bei dem der Erfolg des Täters nicht mehr eintreten kann, sondern im Gegenteil um einen Versuch, bei dem die Herbeiführung des tatbestandlichen Erfolges möglich ist aber keinen Sinn mehr macht. Die rechtliche Behandlung dieser Fallgruppe ist zwischen Rechtsprechung und Literatur umstritten.
Beispiel
A, der von B hintergangen wurde, möchte diesem einen „Denkzettel“ verpassen und sticht mit bedingtem Tötungsvorsatz auf ihn ein. Nachdem er ihn am Arm verletzt hat, genügen ihm die Schmerzensschreie des B als Genugtuung, so dass er von weiteren möglichen Stichen absieht.
Nach Auffassung des BGH sind außertatbestandliche Motive für die Beurteilung des Rücktritts ohne Belang. Abgestellt wird ausschließlich auf die Tat im rechtlichen Sinne gem. § 11 Nr. 5 und deren tatbestandlichen Erfolg. Begründet wird dies, wie bei der Gesamtbetrachtung auch, vor allem mit dem Opferschutz. Wäre es einem Täter in Fällen dieser Art verwehrt, strafbefreiend zurückzutreten, könnte er geneigt sein, das Opfer zur Verdeckung zu beseitigen.[15]
In der Literatur wird hingegen überwiegend vertreten, dass ein Täter, der sein außertatbestandliches Ziel erreicht habe, kein Motiv mehr für eine Tötung habe, so dass auch zugleich sein Vorsatz im Hinblick auf die Tatvollendung entfalle. Da ein Rücktritt allerdings voraussetze, dass der Täter seinen Vorsatz aufgebe, komme eine Strafbefreiung gem. § 24 nicht in Betracht.[16]
JURIQ-Klausurtipp
Auch diese Fallgruppe sollten Sie wie den fehlgeschlagenen Versuch zu Beginn der Rücktrittsprüfung erörtern. Sofern Sie der Literatur folgen wollen, erledigt sich danach eine Prüfung der weiteren Voraussetzungen.
2. Teil Versuch und Rücktritt des Alleintäters › D. Rücktritt vom Versuch › IV. Abgrenzung unbeendeter/beendeter Versuch
IV. Abgrenzung unbeendeter/beendeter Versuch
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Wie bereits ausgeführt wird gem. § 24 Abs. 1 S. 1 der Versuch nicht bestraft, wenn der Täter freiwillig die weitere Ausführung der Tat aufgibt oder deren Vollendung verhindert. Ob ein bloßes Aufgeben der weiteren Tat für einen strafbefreienden Rücktritt ausreicht oder ob der Täter aktiv werden muss, richtet sich nach der Art des Versuchs. Zu unterscheiden sind der unbeendete und der beendete Versuch.
Unbeendet ist ein Versuch, wenn der Täter nach seiner Vorstellung von der Tat davon ausgeht, noch nicht alles getan zu haben, was zu der Vollendung notwendig ist.[17]
Beendet ist der Versuch, wenn der Täter nach seiner Vorstellung von der Tat glaubt, zur Herbeiführung des tatbestandlichen Erfolges alles Notwendige und Mögliche getan zu haben.[18]
Die Unterscheidung zwischen beendetem und unbeendetem Versuch beruht also, ebenso wie die Feststellung, ob der Versuch fehlgeschlagen ist, auf der Vorstellung des Täters. Sie ist demnach nicht anhand objektiver Kriterien vorzunehmen.
Beispiel
Der Täter schüttet, in der irrigen Annahme es handele sich um Gift, ein in Wahrheit harmloses Schlafmittel in den Kaffee seines Freundes und schaut diesem genüsslich beim Trinken zu.
Hier konnte objektiv der Erfolg zu keinem Zeitpunkt eintreten. Subjektiv glaubte der Täter jedoch alles nach seiner Vorstellung Erforderliche getan zu haben, um den Erfolg herbeizuführen. Es handelt sich um einen beendeten (untauglichen) Versuch.
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Zwischen Rechtsprechung und Literatur war lange Zeit umstritten, auf welchen Zeitpunkt bei der Bewertung des Versuchs abzustellen ist. Der BGH ist zunächst vom Tatplanhorizont ausgegangen und hat auf die Vorstellung des Täters bei Tatbeginn zurückgegriffen. Hatte der Täter sich vor Beginn der Tatausführung auf einen bestimmten Plan festgelegt und war das nach diesem Plan vorgesehene Programm durchlaufen, so lag der beendete Versuch vor, auch wenn der Täter nach der letzten Ausführungshandlung nachträglich die fehlende Eignung seines Tuns erkannt und festgestellt hat, dass der Erfolg nicht eintreten kann.[19] Mittlerweile hat die Rechtsprechung die Tatplantheorie ausdrücklich aufgegeben. Die Abgrenzung zwischen beendetem und unbeendetem Versuch wird nunmehr vom sog. Rücktrittshorizont aus vorgenommen. Abgestellt wird auf den Zeitpunkt nach der letzten Ausführungshandlung und auf die in diesem Zeitpunkt vorliegende Vorstellung des Täters.[20] Die Theorie vom Rücktrittshorizont hat in der Literatur überwiegend Zustimmung gefunden.[21]
Beispiel
A und B haben geplant, ein Lebensmittelgeschäft zu überfallen. Sie beabsichtigen, die Inhaberin durch Bedrohung mit einem Messer zur Herausgabe des in den Kassen befindlichen Geldes zu „überreden“. Einen weitergehenden Einsatz des Messers haben sie zum Zeitpunkt der Planung jedoch ausgeschlossen. Nach dem Betreten des Geschäfts geht dementsprechend A auf X, die hinter der Theke stand zu, hält ihr das Messer vor und sagt: „Geld her“. Als X jedoch zur großen Überraschung von A und B entgegnet „Ihr kriegt hier nichts“, entschließen sich beide, das Geschäft unverrichteter Dinge wieder zu verlassen.
Der BGH[22] hat den Vorwurf der versuchten schweren räuberischen Erpressung nicht bestätig. Er hat deutlich gemacht, dass bei der Abgrenzung des unbeendeten vom fehlgeschlagenen Versuch nicht auf den Tatplan, sondern auf den Erkenntnishorizont nach Abschluss der letzten Ausführungshandlung abzustellen sei. Mithin war es unbeachtlich, dass die Täter ursprünglich einen weitergehenden Einsatz des Messers ausgeschlossen hatten. Wesentlich war allein, ob er nach ihrer Vorstellung zum letzten Zeitpunkt noch möglich gewesen wäre. Der BGH hat deswegen einen strafbefreienden Rücktritt gem. § 24 Abs. 2 als möglich angesehen.
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Achten Sie in der Klausur darauf, dass Sie auch tatsächlich den letzten Zeitpunkt der Aufgabe der Ausführungshandlung als Beurteilungszeitpunkt wählen. Es ist denkbar, dass die Vorstellungen des Täters sich währenddessen ändern. Man spricht in diesem Zusammenhang von der „Korrektur des Rücktrittshorizonts“.
Beispiel
A sticht B mit einem Messer nieder und geht nach dem Stich davon aus, B tödlich verletzt zu haben. Tatsächlich steht B aber unmittelbar danach auf. A erkennt nun, dass er B nur am Arm getroffen hat und unterlässt weitere Handlungen.
Beispiel
A sticht erneut B nieder und geht dieses Mal davon aus, dass er ihn nur am Arm verletzt habe. Tatsächlich steht B auch zunächst auf, bricht jedoch keine 30 Meter später bewusstlos zusammen. A erkennt, dass B nur mit ärztlicher Hilfe überleben kann, entschließt sich nun jedoch, B liegen zu lassen.
Sofern