Handbuch Ius Publicum Europaeum. Adam Tomkins

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Das zweite Szenario liegt vor, wenn die Regierung und die Zweite Kammer der Auffassung sind, dass ein Vertrag von Verfassungsbestimmungen abweicht, die Erste Kammer aber zu einer anderen Schlussfolgerung kommt und die Zustimmung zu dem Vertrag mit einer einfachen Mehrheit erteilt. In diesem Fall muss die Regierung die Ratifikation des Vertrages verweigern, es sei denn, sie stimmt der Auffassung der Ersten Kammer nachträglich zu. Das dritte Szenario tritt ein, wenn die Regierung und die Erste Kammer übereinstimmend der Auffassung sind, dass der Vertrag gegen die Verfassung verstößt, die Zweite Kammer aber anderer Meinung ist und das Zustimmungsgesetz nach Änderung der Abweichungsklausel mit einfacher Mehrheit verabschiedet. Nach der Auffassung des Staatsrats und in Übereinstimmung mit der hierzu herrschenden Meinung in der Literatur[99] sollte die Erste Kammer sich in diesem Fall entweder gar nicht mit dem Gesetz befassen, es ablehnen oder dem Vertrag trotz allem mit einfacher Mehrheit zustimmen, da sie nicht die Befugnis zur Änderung von Gesetzen hat. Im vierten Szenario beschließt die Regierung, dass kein Verfassungsverstoß vorliegt, während die beiden Kammern die gegenteilige Auffassung vertreten. In diesem Fall können beide Parlamentskammern das Gesetz mit einer qualifizierten Mehrheit verabschieden, nachdem die Zweite Kammer die Abweichungsklausel entsprechend geändert hat.[100]

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      Nach den obigen Darstellungen galt in den Niederlanden bereits gewohnheitsrechtlich die Regel der unmittelbaren Wirksamkeit internationaler Verträge. Dies wurde im Zuge der Verfassungsänderung im Jahre 1953 normativ festgeschrieben. Dadurch sollte unter anderem die parlamentarische Mitwirkung bei der Zustimmung zu Verträgen gewährleistet werden. Schließlich wurde zur damaligen Zeit deutlich, dass internationale Verträge sich auf die niederländische Rechtsordnung auswirken könnten und somit ein ernstzunehmendes Demokratiedefizit entstehen könnte, wenn die reguläre Mitwirkung des Parlaments am Gesetzgebungsverfahren unterlaufen würde. Mit geringfügigen Änderungen blieb Art. 91 in der Verfassung aus dem Jahr 1983 erhalten, der nun wie folgt lautet:

„1. Ohne vorherige Zustimmung durch die Generalstaaten ist das Königreich nicht an Verträge gebunden und werden Verträge nicht gekündigt. Die Fälle, in denen keine Zustimmung erforderlich ist, bezeichnet das Gesetz.
2. Durch Gesetz wird bestimmt, in welcher Weise die Zustimmung erteilt wird. Das Gesetz kann eine stillschweigende Zustimmung vorsehen.
3. Enthält ein Vertrag Bestimmungen, die von der Verfassung abweichen bzw. eine solche Abweichung erforderlich machen, können die Kammern ihre Zustimmung durch Zweidrittelmehrheit der abgegebenen Stimmen erteilen.“

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„a. die Ablehnung eines bestimmten Vertrages gesetzlich geregelt ist;
b. der Vertrag lediglich der Ausführung eines anderen Vertrages dient (sofern das Parlament keine andere Entscheidung trifft; siehe Art. 8 Abs. 2);
c. der Vertrag keine gewichtigen finanziellen Folgen und eine Laufzeit von höchstens einem Jahr hat;
d. außergewöhnliche Umstände und dringende Gründe die Geheimhaltung des Vertrages erfordern;
e. mit dem Vertrag offensichtlich ein bereits bestehender Vertrag verlängert werden soll (sofern das Parlament keine andere Entscheidung trifft); und
f.