Der Pflichtwidrigkeitsvorsatz der Untreue. Lasse Dinter
Anforderungen an die Vermögensbetreuungspflicht in der Missbrauchs- und Treubruchvariante gleichen.
Während mittlerweile Einigkeit darüber herrscht, dass der Relativsatz ein selbstständiges Tatbestandsmerkmal in Form der „Vermögensbetreuungspflicht“ beschreibt und daher nicht etwa bloß formal die Person des Geschädigten bezeichnet,[47] ist die Frage nach den Anforderungen an die Vermögensbetreuungspflicht in der Missbrauchsvariante streitig geblieben. Dieses Rechtsproblem ist Ausdruck der Uneinigkeit darüber, ob die Missbrauchs- und die Treubruchvariante jeweils selbstständige Tatbestände bilden.
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Die Untreuevarianten basieren auf zwei Theorien, mit denen vor Erlass des § 266 in jetziger Fassung im Jahre 1933[48] versucht wurde, das Wesen der Untreue etwa in Abgrenzung zur Unterschlagung herauszustellen: die sog. Missbrauchs- und die Treubruchtheorie.[49] Ausgangspunkt war die umstrittene Auslegung des § 266 Nr. 2 der seit 1871 bis 1933 geltenden Untreue-Fassung. Danach machte sich der „Bevollmächtigte“ strafbar, der „über Forderungen oder andere Vermögensstücke des Auftraggebers absichtlich zum Nachteil desselben [verfügte]“, wobei im Streit stand, ob der Täter rechtsgeschäftlich wirksam über fremde Vermögensstücke verfügt haben musste. Die Anhänger der sog. Missbrauchstheorie sahen das Wesen der Untreue in der Vermögensschädigung durch Missbrauch rechtlicher Vertretungsmacht,[50] bejahten mithin dieses Erfordernis. Demgegenüber fassten die Vertreter der sog. Treubruchtheorie das Wesen der Untreue weiter und erkannten in der Untreue die vermögensschädigende Verletzung der Rechtspflicht zur Fürsorge für fremdes Vermögen.[51] Danach reichte es aus, auch in anderer Weise als rechtsgeschäftlich nachteilig auf das Vermögen des Auftraggebers einzuwirken, um „Beauftragter“ zu sein.
In der Neufassung des § 266 vom 26. Mai 1933[52] wurden die beiden Theorien vom Gesetzgeber in Absatz 1 des § 266 übernommen. Fortan wurden die Untreuevarianten überwiegend als selbstständige Tatbestände qualifiziert[53] (sog. ältere dualistische Theorie[54]), bis der BGH im Jahre 1972 in der Scheckkarten-Entscheidung[55] auch für die Missbrauchsvariante eine dem Treubruchtatbestand entsprechende Vermögensbetreuungspflicht verlangte und damit der Ansicht das Wort sprach, wonach die Missbrauchsvariante lediglich ein Unterfall der Treubruchvariante sei (sog. monistische Theorie)[56]. Diese Ansicht findet bis heute breite Gefolgschaft auch in der Literatur, sodass die monistische Theorie als herrschend bezeichnet werden darf.[57]
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Das Urteil stieß allerdings auch auf erheblichen Widerspruch. In der Literatur ist zwar anerkannt, dass sich der Relativsatz im dritten Satzteil auch auf den Missbrauchstatbestand bezieht und insoweit auch der Täter der Missbrauchsvariante Inhaber einer Vermögensbetreuungspflicht sein muss. Die Untreuevarianten verblieben jedoch selbstständige Tatbestände. Es überrascht daher nicht, wenn in der Literatur geringere Anforderungen an die Vermögensbetreuungspflicht des Missbrauchstäters gestellt werden und sie etwa mit der rechtmäßigen Ausübung der eingeräumten Befugnis gleichsetzen (sog. neuere dualistische Theorie)[58] oder die Fremdnützigkeit der Dispositionsbefugnis des Täters fordern und diese als Inhalt der Vermögensbetreuungspflicht des Täters der Missbrauchsvariante ausreichen lassen.[59]
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Einen anderen Ansatz verfolgt Schünemann. Er konzediert das dualistische Untreuekonzept, möchte dieses jedoch gemeinsam mit der monistischen Theorie zu einer typologischen Theorie weiterentwickeln. Das Untreueunrecht wird danach als ein Typus begriffen. Ein Typusbegriff zeichne sich durch mehrere für sich selbst abstufbare Merkmale aus, die nur durch fallgebundene Ähnlichkeitsregeln konkretisiert werden können. Die Merkmale (auch Dimensionen genannt) können verschiedener Ausprägung sein, sodass ein Merkmal mit besonders starker Ausprägung eines mit schwächerer Ausprägung kompensieren und gleichwohl der Typusbegriff bejaht werden könne.[60]
Die Merkmale des Untreueunrechts erkennt Schünemann in der rücksichtslosen Ausübung von Herrschaft über fremdes Vermögen, welche beide Untreuevarianten gleichermaßen auszeichne.[61] Herrschaft begreift er als „eingeräumte Zugriffsmöglichkeit bei Abwesenheit von Kontrolle“[62]. Lediglich die Art der Herrschaft unterscheide sich in § 266 darin, dass die Missbrauchsvariante eine rechtsgeschäftliche, die Treubruchvariante hingegen eine nichtrechtsgeschäftliche Herrschaft erfordere. Das Verhältnis zwischen der Missbrauchs- und der Treubruchvariante sei sodann vom Einzelfall abhängig.[63] Schünemanns typologische Theorie hat konkrete Auswirkungen bei der Auslegung der Pflichtwidrigkeit des § 266, die seines Erachtens strafrechtsautonom zu erfolgen habe und an gegebener Stelle problematisiert wird.[64]
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Eine erneute Erörterung der Streitfrage nach den Anforderungen der Vermögensbetreuungspflicht in der Missbrauchsvariante kann im Rahmen dieser Untersuchung unterbleiben.[65] Ausreichend ist die Feststellung, dass nach allen Ansichten Täter der Untreue derjenige ist, der in vermögensschädigender Weise eine (irgendwie ausgestaltete) Vermögensbetreuungspflicht vorsätzlich verletzt; in der Missbrauchsvariante durch rechtsgeschäftliches Handeln, in der Treubruchvariante durch sonstiges Verhalten. Daher ist es auch gerechtfertigt, die von § 266 beschriebene Tathandlung verkürzt mit der Pflichtwidrigkeit oder -verletzung zu kennzeichnen.[66] Besteht über die tatbestandliche Struktur der Untreue insoweit Einigkeit, stellt sich nach allen Ansichten die Frage, in welcher Weise § 266 an seine Verweisungsobjekte dogmatisch anknüpft.[67]
Teil 1 Einführung in die Problematik › C › II. Begriffsbestimmung
II. Begriffsbestimmung
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Dass der Rechtsnatur eines Tatbestandsmerkmals im vorsatzrechtlichen Sachzusammenhang eine derart wichtige Bedeutung zukommt, ist auf die Entwicklung der Irrtumslehre seit Beginn des 20. Jahrhunderts zurückzuführen. Die Strafrechtswissenschaft wandte sich seinerzeit von der Dichotomie der Irrtumslehre (Rechts- und Tatirrtum) des Reichsgerichts ab und begann die Verschiedenartigkeit der in den Strafgesetzen vorgefundenen Tatbestandsmerkmale zu typisieren.[68] Heute sind vier Gruppen von Tatbestandsmerkmalen anerkannt, die in deskriptive und normative Merkmale einteilbar sind.[69] Das Tatbestandsmerkmal der Pflichtwidrigkeit des § 266 kann nur unter die Sammelkategorie der normativ geprägten Merkmale eingeordnet werden.[70] Darunter fallen normative Tatbestandsmerkmale, Blankett- und gesamttatbewertende Merkmale.
1. Blankettmerkmale
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Der Begriff „Blankettstrafgesetz“ geht auf Binding zurück, der darunter ein Gesetz verstand, das durch ein Verbot „der Landes- oder Ortspolizeibehörde oder einer sonstigen Behörde oder von der Partikulargesetzgebung“ ausgefüllt werde.[71] Der Begriff wurde vom Reichsgericht[72], später auch vom BGH[73] übernommen und hat sich mittlerweile etabliert[74], nicht aber seine Bedeutung. Der Begriff des Blanketts ist ursprünglich im verfassungsrechtlichen Zusammenhang geprägt worden, mittlerweile ist er jedoch auch eine vorsatzrechtliche Kategorie. Der Sprachgebrauch des Blankettbegriffs ist bereits aus diesem Grund nicht einheitlich. Einigkeit besteht jedenfalls insoweit, als dem Blankettstrafgesetz der Verweis auf andere (traditionell verstanden als Rechts-) Vorschriften zu eigen ist. Dabei werden echte von unechten Blankettstrafgesetzen unterschieden.[75] Zu ersteren gehören die Sanktionsnormen, die auf Ausfüllungsvorschriften einer anderen Instanz Bezug nehmen, zu letzteren solche, die auf Ausfüllungsvorschriften desselben Gesetzgebers verweisen.[76]
2. Normative Tatbestandsmerkmale
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Seit der „Entdeckung“ der normativen Tatbestandsmerkmale Anfang des 20. Jahrhunderts durch Max Ernst Mayer[77] hat man versucht, ihre wesensbestimmende Eigenart herauszuarbeiten.[78] Heute wird überwiegend der normative Bezug bzw. die normative Ergänzungsbedürftigkeit der normativen Tatbestandsmerkmale als Charakteristikum hervorgehoben.[79] Engisch versteht unter normativen Tatbestandsmerkmalen solche Merkmale des Tatbestandes,