Handbuch des Strafrechts. Dennis Bock
der Betreffende dem „Erpresser“ kein Schweigegeld zahlt. Ebenso wie die konkrete Mitteilung an die Behörden, ist auch die Ankündigung bzw. Androhung dieser Mitteilung an sich nicht rechtswidrig. Sie wird aber regelmäßig mit einem inkonnexen Vorteil verknüpft, sodass in aller Regel eine Verwerflichkeit nach § 253 Abs. 2 StGB vorliegen wird.[330]
1. Tatbestandliche Voraussetzungen
102
Wie bereits erwähnt, stellt die Vorschrift des § 255 StGB eine Qualifikation des § 253 StGB dar. Von der (einfachen) Erpressung, § 253 StGB, unterscheidet sich § 255 StGB lediglich durch die Verschärfung des Nötigungsmittels. Statt „Gewalt“ muss der Täter „Gewalt gegen eine Person“ anwenden bzw. statt „mit einem empfindlichen Übel“ muss der Täter „mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben“ drohen. Diese Nötigungsmittel sind ihrerseits identisch mit denen des Raubes, § 249 StGB, weshalb sich gerade in dieser Konstellation die bereits mehrfach erwähnte Abgrenzungsfrage von Raub und (räuberischer) Erpressung stellt.[331] Die räuberische Erpressung baut als Qualifikation lediglich auf die Tatbestandserfüllung des § 253 StGB auf, sodass die besondere Bestimmung der Rechtswidrigkeit über die in § 253 Abs. 2 StGB enthaltene Verwerflichkeitsklausel nicht übertragbar ist.[332] Allerdings dürfte eine solche Verwerflichkeit mit Hinblick auf die qualifizierten Nötigungsmittel auch stets vorliegen.
103
Gewalt gegen eine Person zeichnet sich – im Gegensatz zur „einfachen“ Gewalt im Sinne des § 253 StGB – dadurch aus, dass sie sich gegen einen Menschen richten muss.[333] Nach der hier vertretenen Ansicht, die (auch) für die räuberische Erpressung eine Vermögensverfügung voraussetzt,[334] kommt als Gewalt nur vis compulsiva in Betracht. Oben[335] wurde bereits aufgezeigt, dass insoweit eine „einfache“ Gewaltanwendung i.S.d. § 253 StGB, die sich nicht gegen Personen richtet, kaum einmal vorkommen wird. Sie ist an sich nur denkbar, wenn durch die Einwirkung auf Sachen mittelbar auf den Körper des Opfers eingewirkt, d.h. nicht nur eine rein psychische Zwangswirkung ausgelöst wird.[336] Die Gewalteinwirkung muss dabei eine gewisse Erheblichkeitsschwelle überschreiten.[337]
104
Die Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben kann auch konkludent erfolgen,[338] etwa durch das bloße Vorhalten einer Waffe. Sie muss einen Menschen betreffen, die Drohung mit der Tötung eines Hundes (oder eines sonstigen Tieres) reicht also z.B. nicht aus. Zudem ist die Drohung mit einer gegenwärtigen Gefahr erforderlich.[339] Damit ist gemeint, dass die angedrohte Gefahr für Leib oder Leben bei ungehindertem Verlauf nach menschlicher Erfahrung als sicher oder sehr wahrscheinlich anzunehmen ist. Ausreichend ist das Vorliegen einer sog. Dauergefahr, wenn diese zu einem späteren Zeitpunkt in einen Schaden umschlagen kann.[340] Dabei erfordert es der wirksame Schutz von Erpressungsopfern, den Begriff der Gegenwärtigkeit angedrohter Gefahren nicht zu eng zu verstehen.[341] Wie auch bei § 253 StGB kann sich die Gewalt auch gegen dritte Personen richten.[342]
2. Rechtsfolgen
105
Der Täter ist „gleich einem Räuber“ zu bestrafen. Damit ordnet § 255 StGB (auch) für die räuberische Erpressung jedenfalls die Rechtsfolgen des § 249 StGB, also Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr, an. Es handelt sich also auch bei der räuberischen Erpressung um ein Verbrechen (§ 12 Abs. 1 StGB) mit der Folge, dass der Versuch auch ohne gesonderte Anordnung strafbar ist (§ 23 Abs. 1 StGB). Darin erschöpft sich der Verweis jedoch nicht, vielmehr soll die Rechtsfolge: „Bestrafung gleich einem Räuber“ auch zum Ausdruck bringen, dass die Raubqualifikationen der §§ 250, 251 StGB entsprechend auf die räuberische Erpressung anwendbar sind.[343] Es gibt insoweit also begrifflich auch eine „schwere räuberische Erpressung“, §§ 255, 249, 250 StGB, und eine „räuberische Erpressung mit Todesfolge“, §§ 255, 249, 251 StGB. Andererseits gelten aber auch die Milderungsmöglichkeiten nach §§ 249 Abs. 2, 250 Abs. 3 StGB für die räuberische Erpressung entsprechend.[344] § 252 StGB ist hingegen, da dieser nicht an einen Raub, sondern an einen Diebstahl anknüpft, nicht auf §§ 243, 255 StGB anwendbar.[345]
8. Abschnitt: Schutz des Vermögens › § 32 Erpressung und räuberische Erpressung › D. Rechtsvergleich
I. Strafrecht der DDR
106
Das Strafgesetzbuch der DDR vom 12. Januar 1968 zählte Raub und Erpressung zu den „Straftaten gegen die Persönlichkeit“.[346] Den Tatbestand der Erpressung nach § 127 DDR-StGB erfüllte, wer „einen Menschen rechtswidrig mit Gewalt oder durch Drohung mit einem schweren Nachteil zu einem Verhalten zwingt, um sich oder andere zu bereichern und dadurch dem Genötigten oder einem anderen einen Vermögensschaden zufügt“. Der Tatbestand – der mit „Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Verurteilung auf Bewährung“ eine geringere Strafdrohung wie das bundesdeutsche Strafrecht vorsah – setzte damit gleichfalls eine Nötigungshandlung voraus, die kausal für den Nötigungserfolg sein musste. Im Unterschied zum bundesdeutschen StGB bestand jedoch Einigkeit darüber, dass der Tatbestand eine Vermögensverfügung voraussetzte. Des Weiteren schloss das Vorliegen eines zivilrechtlichen oder anderen Anspruchs die Rechtswidrigkeit grundsätzlich nicht aus, da eine eigenmächtige, gewaltsame Durchsetzung von Rechten (bis auf wenige normierte Ausnahmen) gesetzlich nicht zulässig war.[347] Einen besonderen Tatbestand der räuberischen Erpressung kannte das StGB der DDR hingegen nicht. Vielmehr waren in § 128 DDR-StGB einheitlich für Raub und Erpressung die „schweren Fälle“ normiert. Hier wurde – recht milde – mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren bestraft, wenn „(1.) die Tat unter Verwendung von Waffen oder anderen Gegenständen, die als Waffe benutzt werden, begangen wird; (2.) die Tat von mehreren gemeinschaftlich begangen wird, die sich zusammengeschlossen haben, um unter Gewaltanwendung Verbrechen gegen die Person zu begehen; (3.) durch die Tat eine schwere Körperverletzung fahrlässig verursacht wird; (4.) der Täter mehrfach eine Straftat nach den §§ 126 [= Raub] oder 127 begangen hat oder bereits wegen einer solchen Straftat bestraft ist“.
II. Österreichisches und schweizerisches Strafrecht
107
Das österreichische Recht[348] regelt in § 144 öStGB die „einfache“ und in § 145 öStGB die schwere Erpressung. Eine besondere „räuberische Erpressung“ kennt das österreichische Strafrecht hingegen nicht. Mit dem deutschen Recht vergleichbar ist dabei die Regelung des § 144 Abs. 1 öStGB. Hiernach macht sich strafbar, wer „jemanden mit Gewalt oder durch gefährliche Drohung [vgl. hierzu die Legaldefinition in § 74 Abs. 1 Nr. 5 öStGB] zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung nötigt, die diesen oder einen anderen am Vermögen schädigt“. Die Tat ist nach § 144 Abs. 2 öStGB allerdings nicht rechtswidrig, wenn die Anwendung der Gewalt oder Drohung als Mittel zu dem angestrebten Zweck nicht den guten Sitten widerstreitet. Erforderlich ist aber der Vorsatz des Täters, sich oder einen Dritten durch das Verhalten des Genötigten unrechtmäßig bereichern zu wollen. Abweichend zum deutschen Recht („Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe“) ist der Täter „mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren zu bestrafen“, das österreichische Recht kennt also nicht die Möglichkeit der Verhängung einer Geldstrafe. Abweichend vom deutschen Recht, welches über § 255 i.V.m. §§ 250, 251 StGB eine abgestufte Qualifikationsregelung mit unterschiedlichem Strafmaß kennt, wird in Österreich die „schwere Erpressung“ in § 145 öStGB einheitlich geregelt und mit einer Freiheitsstrafe von einem bis zu zehn Jahren bedroht. Dabei kommen als qualifizierende Merkmale sowohl Tatmodalitäten