Handbuch des Strafrechts. Dennis Bock
Gegensatz zur früheren Rechtsprechung[272] scheidet § 253 StGB im Rahmen eines regulären Arbeitskampfes allerdings aus. Insoweit ist eine „Verwerflichkeit“ nach § 253 Abs. 2 StGB regelmäßig ausgeschlossen, wenn der Arbeitgeber durch den Hinweis auf eine mögliche Arbeitsniederlegung zu einer Lohnerhöhung genötigt werden soll.[273] Eine strafbare Erpressung scheidet auch dann aus, wenn ein Dieb durch die Drohung mit einer Strafanzeige dazu gebracht werden soll, die gestohlene Sache zurückzugeben (hier wird es aber regelmäßig bereits an einem Vermögensschaden fehlen) sowie eine „Bearbeitungsgebühr“ zu bezahlen. Problematisch wird es aber dann, wenn der Dieb durch die Drohung mit der Stellung eines Strafantrages dazu gebracht werden soll, einer gemeinnützigen Einrichtung eine „Spende“ zukommen zu lassen. Auch die Ankündigung des Gläubigers gegenüber dem Schuldner, zur Eintreibung einer fälligen Forderung ein Inkassounternehmen einzuschalten oder eine gerichtliche Klage zu erheben, stellt sich als zulässiges und insoweit nicht verwerfliches Verhalten dar.[274] Die Beurteilung kann sich hier aber ändern, wenn es sich um eine offensichtlich unberechtigte Forderung[275] oder eine offensichtlich rechtswidrige Abmahnung[276] handelt. Auch darf zur Durchsetzung einer an sich berechtigten Forderung nicht mit einem völlig inkonnexen Mittel gedroht werden. Dies ist z.B. dann gegeben, wenn eine willkürliche und sachlich unter keinem Gesichtspunkt gerechtfertigte Verknüpfung von Mittel und Zweck vorliegt.[277] Insgesamt hat allerdings dann, wenn mit einem an sich rechtmäßigen Nachteil gedroht wird, eine besonders sorgfältige Prüfung der Verwerflichkeitsklausel zu erfolgen.[278]
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Wer sich im Rahmen der Einschätzung der Verwerflichkeit des eigenen Handelns im Hinblick auf die Bewertung des Verhältnisses von Mittel und Zweck irrt, unterliegt regelmäßig (nur) einem Verbotsirrtum nach § 17 StGB.[279] Ein Erlaubnistatbestandsirrtum, § 16 StGB analog, liegt hingegen vor, wenn der Täter über tatsächliche Umstände irrt, die als Grundlage für die Verwerflichkeitsbeurteilung anzusehen sind.[280]
a) Beteiligung
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Die Teilnahme des Opfers ist jedenfalls dann eine zwingende Voraussetzung für die Vollendung der Erpressung, wenn man mit der hier vertretenen Ansicht eine Nötigung durch vis absoluta nicht zulässt und dagegen eine Vermögensverfügung des Opfers fordert.[281] Weil die Rechtsgüter des Opfers aber nicht gegen das Opfer selbst geschützt werden sollen, bleibt das Opfer straflos. Es liegt eine sog. „notwendige“ Teilnahme vor.[282] Werden Mittelsmänner zwischen den Erpressungstäter und das Erpressungsopfer eingeschaltet, so ist unstreitig, dass die im Lager des Erpressers stehenden Personen die Erpressung unmittelbar fördern. Die im Lager des Opfers stehenden Personen fördern die Tat hingegen nur mittelbar. Diese mittelbare Förderung würde an sich ausreichen, um auch sie als Gehilfen der Erpressung, §§ 253, 27 StGB, anzusehen. Aus dem Sinn des § 253 StGB ergibt sich allerdings, dass diese Fälle der Hilfeleistung „im Interesse des Opfers“ straflos bleiben müssen. Gleiches muss auch für neutrale Vermittler gelten, wobei hier umstritten ist, ob in diesen Fällen die Rechtsfigur der Einwilligung eingreift[283] oder ein Fall des § 34 StGB vorliegt.[284]
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Eine Mittäterschaft setzt voraus, dass der Betreffende selbst in der Absicht handelt, sich oder einen anderen rechtswidrig zu bereichern.[285] Wirken mehrere Personen zusammen, wobei derjenige, der die Nötigung vornimmt, selbst keine Bereicherungsabsicht hat und auch von der Bereicherungsabsicht der anderen nichts weiß, ist dennoch eine Mittäterschaft anzunehmen, wobei allerdings der Nötigende selbst nicht wegen § 253 StGB, sondern nur wegen § 240 StGB bestraft werden kann.[286] Anstiftung und Beihilfe zu einer Erpressung kann ferner auch derjenige begehen, dem die Bereicherungsabsicht fehlt.[287] Diese Bereicherungsabsicht ist aber kein besonderes persönliches Merkmal, weshalb in diesen Fällen die Strafe nicht nach § 28 Abs. 1 StGB gemildert wird.[288]
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Fraglich ist, ob auch derjenige wegen Beihilfe zu bestrafen ist, der dem Täter zwischen Vollendung und Beendigung der Tat hilft, der also z.B. nach Eintritt des auf der Nötigung basierenden Vermögensschadens dem Täter dabei hilft, die Bereicherung tatsächlich herbei zu führen. Während die Rechtsprechung grundsätzlich eine Beihilfe (ebenso wie die sukzessive Mittäterschaft) zwischen Vollendung und Beendigung für möglich ansieht,[289] lehnt die wohl h.M. in der Literatur[290] dies zutreffend ab.
b) Notwehrbefugnisse des Opfers
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Selbstverständlich kann sich das Opfer gegen den erpresserischen Angriff im Rahmen der Notwehr, § 32 StGB, zur Wehr setzen. Im Hinblick auf die Gegenwärtigkeit des Angriffs und die Erforderlichkeit der Verteidigung muss man jedoch nach den bedrohten Rechtsgütern Vermögen, Willensfreiheit und dem vom Nötigungsmittel alternativ angegriffenen Gut unterscheiden, weil sich entsprechend unterschiedliche Abwehrbefugnisse ergeben können. Droht der Erpresser z.B. einem Opfer damit, Beweismittel bezüglich einer vom Opfer begangenen Straftat der Polizei zu übergeben, wenn das Opfer ihm nicht 1000 Euro zahle, dann kann das Rechtsgut „Vermögen“ hier unproblematisch durch die bloße Nichtzahlung des Geldes verteidigt werden. Die im Nötigungsmittel liegende Bedrohung führt ebenfalls nicht zu einem Notwehrrecht des Opfers, weil dieses kein Recht darauf hat, nicht angezeigt zu werden. Daher kann die Gegenwehr (z.B. die Wegnahme oder Zerstörung der Beweismittel, notfalls auch die Tötung des Erpressers, um ihn an der Anzeige zu hindern) nur auf die Beeinträchtigung der Willensfreiheit des Opfers gestützt werden. In diesem Zusammenhang ist es fraglich, ob der Angriff auf die Willensfreiheit mit dem Ausspruch der Drohung abgeschlossen ist[291] oder noch solange gegenwärtig ist, wie der psychische Zwang aufrechterhalten wird.[292] Zwar wird mit § 154c StPO dem Opfer eine Möglichkeit gegeben, sich den Behörden zu offenbaren (weshalb die Gefahr i.S.d. § 34 StGB „anders abwendbar“ wäre), dies schließt jedoch die Gegenwärtigkeit des Angriffes auf die Willensfreiheit und daher das Notwehrrecht, § 32 StGB, nicht aus. Zu berücksichtigen ist allerdings, dass das Notwehrrecht in diesen Fällen deswegen zumindest eingeschränkt ist, weil der Erpresste die Notwehrlage selbst verschuldet hat.[293]
c) Versuch
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In § 253 Abs. 3 StGB wird die Versuchsstrafbarkeit ausdrücklich angeordnet. Erforderlich ist, dass der Täter zum Versuch unmittelbar ansetzt (§ 22 StGB). Hierzu ist es ausreichend, wenn der Täter zur Nötigungshandlung, d.h. zur Drohung oder Gewalt, unmittelbar angesetzt hat.[294] Im Hinblick auf eine Drohung ist dies z.B. dann der Fall, wenn der Täter den „Erpresserbrief“ in den Briefkasten eingeworfen hat.[295] Darauf, ob er ein zur Drohung oder Gewaltanwendung taugliches Mittel verwendet, kommt es nicht an.[296] Ein Versuch liegt daher auch dann vor, wenn der Täter im vorigen Beispiel vergessen hat, den Drohbrief in das Briefkuvert zu stecken. Ebenso wie beim Raub, § 249 StGB, liegt aber noch keine versuchte (räuberische) Erpressung vor, wenn der Täter mit der schussbereiten Pistole in der Hand in das Haus des Opfers eindringt, um dieses, sobald er es antrifft, mit der Waffe zu bedrohen und Geld zu fordern, da hier mit der nötigenden Handlung selbst gerade nicht begonnen wurde. Typische Fälle lediglich versuchter Erpressung sind diejenigen, in denen das genötigte Opfer die bereits ausgesprochene Drohung nicht ernst nimmt[297] oder diejenigen, in denen der Täter einen Anspruch auf den erpressten Vermögensvorteil besitzt, dies aber verkennt.[298] Ebenfalls lediglich um einen Versuch handelt es sich dann, wenn die Übergabe des Geldes von der Polizei observiert wird, sodass der Täter zu keiner Zeit eine ernsthafte Chance hat, die übergebenen Vermögensgegenstände zu behalten.[299]
d) Besonders schwere Fälle
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§ 253 Abs. 4 StGB enthält eine Regelung über besonders schwere Fälle, die, wie auch sonst im Strafrecht, (erst) auf der Strafzumessungsebene zu berücksichtigen sind und die den Strafrahmen