Handbuch des Strafrechts. Dennis Bock
des Täters nicht ein und hält der Drohung bzw. der Gewalt stand, hat dieser nämlich keine Möglichkeit, an das im Safe lagernde Geld zu kommen. Insoweit läge, erfüllt das Opfer die Forderung des Täters, eine „freiwillige“, d.h. willentliche Vermögensverfügung und damit eine räuberische Erpressung vor, da es sich hier aus der Sicht des Opfers um einen unerlässlichen Mitwirkungsakt handelt.[167]
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Umstritten sind in diesem Zusammenhang aber diejenigen Fälle, in denen sich der Täter nach der erzwungenen Preisgabe der Safekombination (bzw. der erzwungenen Preisgabe des Verstecks des Geldes) das Geld oder die Wertgegenstände selbst nimmt. Zwar liegt in der Preisgabe der Safekombination bereits eine Vermögensgefährdung, der endgültige Vermögensschaden wird allerdings erst durch die Wegnahme des Geldes erreicht, weshalb es bei der bloßen Preisgabe der Kombination an der Unmittelbarkeit von Vermögensverfügung und Vermögensschaden fehlt. Insoweit liegt in diesen Fällen keine räuberische Erpressung durch Abnötigen der Safekombination, sondern ein Raub durch spätere Wegnahme des Geldes oder der Wertgegenstände vor, sofern die Gewalt oder Drohung zu diesem Zeitpunkt noch fortwirkt.[168] Andere hingegen gehen in einer solchen Situation allerdings davon aus, dass in der Eröffnung der faktischen Zugriffsmöglichkeit auf das Geld bereits eine schadensgleiche Vermögensgefährdung zu sehen ist, mithin die Vermögensverfügung bereits zu einem Schaden führe und eine spätere Entnahme des Geldes keine Wegnahme mehr darstelle (insoweit läge nur eine räuberische Erpressung, §§ 253, 255 StGB, vor).[169] Schließlich wäre eine Lösung auf Konkurrenzebene in der Weise möglich, dass sowohl eine räuberische Erpressung als auch ein nachfolgender Raub angenommen wird, wobei die räuberische Erpressung bei Vollendung des Raubes (d.h. bei einer späteren tatsächlichen Wegnahme) als mitbestrafte Vortat zurücktritt. Nach dieser Konkurrenzlösung würde es also auch dann zu einer Bestrafung (wegen vollendeter räuberischer Erpressung) kommen, wenn es nach Erlangung der Safekombination durch den Täter nicht zu einer Wegnahme kommt, sei es, dass der Täter freiwillig die spätere Wegnahme unterlässt (da die räuberische Erpressung bereits vollendet ist, läge hier kein strafbefreiender Rücktritt vom Versuch, § 24 StGB, sondern nur eine strafrechtlich irrelevante tätige Reue vor, die nur auf Strafzumessungsebene zu berücksichtigen wäre), sei es, dass der Täter zuvor von der Polizei gestellt wird.
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Probleme ergeben sich nach der hier vorgeschlagenen Lösung allerdings in manchen Fällen des Irrtums. Wenn der Täter glaubt, das Opfer habe eine Geldbörse in der Manteltasche und er das Opfer auffordert, ihm „das Geld“ zu geben, erstrebt er eine unfreiwillige Herausgabe und insofern einen Raub, § 249 StGB. Wenn das Opfer unter dem Eindruck der Drohung daraufhin überraschend zum Schreibtisch geht und das Geheimfach öffnet, in welchem sich das Geld befindet, so liegt objektiv eine freiwillige (im Sinne einer „willentlichen“) Vermögensverfügung und daher eine räuberische Erpressung, §§ 253, 255 StGB, vor (denn der Täter hätte sich das Geld in Unkenntnis des Verstecks nicht nehmen können). Konsequenterweise ist in diesen Fällen nur eine Bestrafung wegen eines versuchten Raubes, §§ 249, 22 StGB, möglich.
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Auf eine weitere Besonderheit ist allerdings an dieser Stelle noch hinzuweisen: Zieht man bei der Abgrenzung von Raub (als Fremdschädigungsdelikt) und räuberischer Erpressung (als Selbstschädigungsdelikt) eine Parallele zur Abgrenzung von Diebstahl und Betrug und verlangt man insoweit sowohl für den Betrug als auch für die (räuberische) Erpressung eine (bewusste) Selbstschädigung, so ist es fraglich, ob dies nur für Sachen oder auch für Forderungen gilt, da für einen Forderungsbetrug (im Gegensatz zum Sachbetrug) gerade kein Verfügungsbewusstsein verlangt wird. Daher wollen manche bei der Forderungserpressung auf eine Vermögensverfügung verzichten,[170] während andere die bei § 263 StGB entwickelten Grundzüge über die unbewusste Selbstschädigung bei § 253 StGB für unanwendbar erklären.[171] Die Rechtsprechung geht hingegen davon aus, dass auch der erzwungene Verzicht auf die Geltendmachung einer Forderung, sofern diese tatsächlich besteht und werthaltig ist, eine Erpressung darstellen kann,[172] wobei in diesem Zusammenhang umstritten ist, ob eine Forderung bereits wegen einer Vermögenslosigkeit des Schuldners von vorne herein wertlos sein kann.[173]
5. Nötigungsziel: Vermögensschaden
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Im Gegensatz zur Nötigung erfordert der Erpressungstatbestand jedoch ein besonderes Nötigungsziel und weist somit einen konkreten Vermögensbezug auf: Erforderlich ist nämlich, dass durch die Nötigung dem Vermögen des Genötigten (oder eines anderen) ein Nachteil zugefügt wurde. Hier sind Parallelen zur Vermögensbeschädigung beim Betrug, § 263 StGB, und dem Nachteil bei der Untreue, § 266 StGB, erkennbar. Die Begriffe decken sich hier weitgehend.[174] Entscheidend ist, dass sich die Vermögenslage des Opfers nach der Tat unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten als ungünstiger erweist als vorher. Da es sich bei § 253 StGB um ein Vermögensdelikt handelt, kommt es nicht auf das Abhandenkommen einzelner Sachen (im Sinne von körperlichen Gegenständen), sondern auf die Vermögenslage als Ganzes an. Insoweit kann auch bei der Erpressung die Vermögensminderung durch einen anderweitigen Vermögenszufluss im Wege der Gesamtsaldierung ausgeglichen werden.[175] Dies kann z.B. dann der Fall sein, wenn das Opfer durch Drohungen dazu genötigt wird, einen bestimmten Gegenstand zu kaufen, der sein Geld wert und für das Opfer auch nicht ganz unbrauchbar ist.[176]
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Gegenleistungen, die der Täter erbringt, stellen keinen saldierungsfähigen Vorteil für das Opfer dar, wenn der Täter zu einem entsprechenden Verhalten auch ohne Gegenleistung verpflichtet gewesen wäre. Wer also dem Opfer einen wertvollen Gegenstand (z.B. ein Kunstwerk) entwendet und diesen Gegenstand dem Opfer später gegen ein „Lösegeld“ zum Rückkauf anbietet, verbunden mit der Drohung, den Gegenstand andernfalls zu vernichten, begeht eine Erpressung, auch wenn der Gegenstand wesentlich mehr wert ist, als das erpresste „Lösegeld“.[177] Denn der Täter ist nach §§ 861, 985 BGB zur sofortigen unentgeltlichen Rückgabe des Gegenstandes verpflichtet (genau betrachtet liegt hier allerdings eine Einschränkung der wirtschaftlich-objektiven Betrachtung des Vermögens durch rechtliche Erwägungen vor!). Zweifelhaft ist, inwieweit dies auch bei der Rückgabe einer zuvor entwendeten Sache an eine Versicherung gilt, um einen von der Versicherung ausgelobten Betrag zu erlangen. Mit der Auslobung eines Betrages, der auch dem Dieb zugutekommen soll, bewegt sich die Versicherung nämlich am Rande des § 257 StGB. Eine Auslobung, die auf den Dieb zielt, ist normalerweise zwar keine wirklich freiwillige Leistung, doch ist eine Erpressung deshalb zweifelhaft, weil die Initiative zur Zahlung in diesen Fällen vom Opfer, d.h. der Versicherung ausgeht.
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Die Einschränkung des Vermögensschadens auf rechtlich geschütztes Vermögen hat zur Folge, dass eine Ganovenerpressung mit dem Ziel, eine Beuteteilung, eine Schmiergeldzahlung oder ähnliche auf Straftaten beruhende Vereinbarungen durchzusetzen, nicht unter § 253 StGB fällt. So führte der BGH aus, dass „bei der gebotenen wirtschaftlichen Gesamtbetrachtung mit zu berücksichtigen“ sei, dass der Vermögenszufluss beim unter Druck gesetzten Komplizen von vornherein mit dem Teilungs- oder Schmiergeldversprechen belastet sei.[178] Andererseits ist zu berücksichtigen, dass auch ein Vermögensgegenstand, der illegal erlangt wurde oder der von der Rechtsordnung nicht toleriert wird, einen Vermögenswert darstellen und daher Objekt einer Erpressung sein kann: Wer einen anderen dazu nötigt, von diesem illegal erlangte oder illegal besessene Betäubungsmittel oder kinderpornographische Darstellungen herauszugeben, kann sich daher wegen einer Erpressung strafbar machen, auch wenn die genannten Gegenstände rechtlich nicht verkehrsfähig sind.[179] An einem Vermögensschaden fehlt es auch dann, wenn eine Geldübergabe im Rahmen einer Erpressung von der Polizei überwacht wird, sodass dem Täter keine Möglichkeit bleibt, mit dem Geld zu entkommen.[180] Hier liegt lediglich ein Versuch vor.
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Erpresst der Täter vom