Handbuch des Strafrechts. Dennis Bock
erzielen (Nötigung zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung). Diese Elemente sind identisch mit denjenigen der (einfachen) Nötigung, § 240 StGB, weswegen in der vorliegenden Abhandlung auf die dortigen Ausführungen verwiesen werden kann.[79] Die dortigen Probleme – insbesondere die Frage der Weite des Gewaltbegriffs[80] – tauchen auch hier in gleicher Weise wieder auf. Im Gegensatz zur Nötigung erfordert der Erpressungstatbestand jedoch ein besonderes Nötigungsziel, nämlich einen speziellen Vermögensbezug: Erforderlich ist, dass durch die Nötigung dem Vermögen des Genötigten (oder eines anderen) ein Nachteil zugefügt wurde. Hier sind Parallelen zur Vermögensbeschädigung beim Betrug, § 263 StGB, und dem Nachteil bei der Untreue, § 266 StGB, erkennbar. Da es sich bei der Erpressung jedoch um ein Vermögensverschiebungsdelikt handelt, ist die bloße Nachteilszufügung, wie bei § 266 StGB, nicht ausreichend. Der Täter muss vielmehr handeln, „um sich oder einen Dritten zu Unrecht zu bereichern“. Die angestrebte Bereicherung ist also für die Vollendung der Tat nicht erforderlich, sie muss nur das Tatziel sein, es handelt sich insoweit um ein sog. „kupiertes Erfolgsdelikt“.
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Die räuberische Erpressung, § 255 StGB, unterscheidet sich von der (einfachen) Erpressung, § 253 StGB, durch eine Verschärfung des Nötigungsmittels. Statt „Gewalt“ muss der Täter „Gewalt gegen eine Person“ anwenden bzw. statt „mit einem empfindlichen Übel“ muss der Täter „mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben“ drohen. Diese Nötigungsmittel sind nun ihrerseits identisch mit denen des Raubes, § 249 StGB, weshalb sich gerade in dieser Konstellation die Abgrenzungsfrage von Raub und (räuberischer) Erpressung stellt. Flankierend existieren mit dem erpresserischen Menschenraub, § 239a StGB, und dem räuberischen Angriff auf Kraftfahrer, § 316a StGB, noch zwei weitere Spezialtatbestände, die erpresserische Elemente enthalten, ebenfalls auf eine Vermögensverschiebung abzielen, aber an anderer Stelle näher erörtert werden.[81]
II. Abgrenzung von Raub und (räuberischer) Erpressung
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Die Abgrenzung von Raub und (räuberischer) Erpressung ist insbesondere in denjenigen Fällen erforderlich, in denen „an sich“ ein Raub vorläge, dieser aber aufgrund weiterer tatbestandlicher Voraussetzungen scheitert. Dies kann von vorne herein aber nur dann der Fall sein, wenn es sich bei dem beeinträchtigten Vermögen um eine „Sache“ handelt. Denn während beim Raub (als klassischem Eigentumsdelikt) das Tatobjekt nur eine „Sache“ sein kann, erfasst die (räuberische) Erpressung (als klassisches Vermögensdelikt) auch andere Vermögensgegenstände, wie z.B. Forderungen. Wird nun dem Tatopfer eine Sache weggenommen, scheitert aber eine Strafbarkeit wegen Raubes aus anderen Gründen, so ist es fraglich, ob subsidiär auf die (räuberische) Erpressung zurückgegriffen werden kann oder nicht.[82] Namentlich betrifft dies Fälle der gewaltsamen Wegnahme einer Sache ohne Zueignungsabsicht zum Zwecke des vorübergehenden Gebrauchs[83] oder der gewaltsamen Wegnahme eigener Sachen, die ein Pfandgläubiger berechtigterweise in seinem Besitz hat (Pfandkehr).[84]
1. Die Ansicht der Rechtsprechung
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Die Rechtsprechung des Reichsgerichts beharrte seit einer Leitentscheidung aus dem Jahre 1881[85] stets auf dem Standpunkt, dass eine Vermögensverfügung gleich welcher Art für das Vergehen der Erpressung nicht nötig sei, mithin auch die vis absoluta dem Tatbestand unterfalle. Der BGH hat diese Rechtsprechungslinie bereits früh rezipiert und hält seitdem an ihr fest.[86] Nur ganz vereinzelt haben Senate des Reichsgerichts oder des Bundesgerichtshofs – nicht tragend – von einer Vermögensverfügung als Tatbestandsmerkmal der Erpressung gesprochen.[87] Die Literatur hat hingegen bereits früh gefordert, für den Tatbestand der Erpressung, ähnlich wie beim Betrug, das (ungeschriebene) Tatbestandsmerkmal der Vermögensverfügung zu verlangen.[88]
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Symbolisch für die Problemlage ist der „Taxifahrerfall“, den der BGH im Jahre 1960 zu entscheiden hatte:[89] Der Täter veranlasste einen Taxifahrer unter Vorhaltung einer Gaspistole und der Abgabe zweier Schüsse, von denen einer das Opfer ins Gesicht traf, das Taxi zu verlassen. Anschließend setzte er sich selbst ans Steuer, bedrohte den Taxifahrer, der ihn daran hindern wollte, erneut mit der Gaspistole und fuhr davon. Nachdem er eine Weile umhergefahren war, stellte er sich der Polizei. Unwiderlegt ließ er sich darauf ein, dass „er so gerne einmal habe Auto fahren wollen“, aber von Anfang an nicht vorhatte, das Taxi zu behalten. Mangels Zueignungsabsicht schied hier ein schwerer Raub, §§ 249, 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB aus. Der BGH gelangte allerdings zu einer Strafbarkeit wegen schwerer räuberischer Erpressung, §§ 253, 255, 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB. Eine „Vermögensverfügung“ des Genötigten, wie dies teilweise von der Literatur gefordert werde, sei für den Straftatbestand der (räuberischen) Erpressung nicht erforderlich. Der bei der Erpressung angestrebte Vermögensvorteil müsse nicht in der Einverleibung der Sache als solcher liegen, der bloße Besitz an der Sache und die damit verbundenen (wenn auch kurzfristigen) Gebrauchsvorteile würden als Gegenstand einer möglichen Bereicherung ausreichen.[90] Korrespondierend hierzu läge auch im Verlust des Besitzes der eingetretene Vermögensnachteil beim Tatopfer. Die gleiche Problemlage stellte sich bereits früher in einem vom Reichsgericht zu entscheidenden Fall, in dem der Täter eine Pfandgläubigerin unter Anwendung von Gewalt zur Duldung der Wegnahme der Pfandsache zwang.[91] Auch hier schied ein Raub aus, da der Täter Eigentümer der Sache war.
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Für diese Lösung spreche als erstes der Wortlaut des § 253 StGB, der eine Vermögensverfügung nicht ausdrücklich verlange. Insoweit sei auch derjenige, der sein Opfer rechtswidrig mit Gewalt oder durch Drohung mit einem empfindlichen Übel dazu nötige, eine Wegnahme zu dulden, vom Wortlaut des § 253 StGB erfasst, sofern der Genötigte oder ein Dritter hierdurch einen Vermögensnachteil erleide.[92] Auch die Entstehungsgeschichte deute darauf hin, dass insbesondere im Rahmen des § 255 StGB mit der „Duldung“ auch Fälle der vis absoluta erfasst werden sollten.[93]
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Als weiteres Argument wird die Parallele zu § 240 StGB angeführt. Vom Wortlaut her würden sich nämlich die Nötigungshandlungen des § 240 StGB und des § 253 StGB decken. Bei § 240 StGB sei es aber unstreitig, dass es auf ein willentliches Verhalten des Opfers nicht ankomme, eine Nötigung also auch dann vorliege, wenn der Täter das Opfer durch vis absoluta zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung zwinge. Warum dies bei § 253 StGB anders sein solle und hier ein willentliches Verhalten des Opfers im Sinne einer Vermögensverfügung gefordert werde, vis absoluta also ausscheide, sei nicht ersichtlich. Gerade wenn man bedenke, dass der mit vis absoluta handelnde Täter die Rechtsgüter des Opfers in der Regel schwerwiegender verletze als derjenige, der „nur“ willensbeugende Mittel einsetze, sei nicht einzusehen, warum diese schwerere Handlungsform aus § 253 StGB herausgenommen und der Täter insoweit privilegiert werde. Gleiches gelte im Hinblick auf den Wortlaut des § 249 StGB, der sich in Bezug auf die Nötigungshandlungen („Gewalt gegen eine Person“ bzw. „Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben“) mit dem Wortlaut des § 255 StGB decke, unzweifelhaft aber auch die vis absoluta erfasse.[94]
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Damit komme man zu dem Ergebnis, dass sich Raub und räuberische Erpressung nicht ausschließen würden, vielmehr umfasse der Tatbestand der Erpressung denjenigen des Raubes mit.[95] Der Tatbestand der (räuberischen) Erpressung sei insoweit als Grundtatbestand anzusehen, während der Tatbestand des Raubes eine Spezialvorschrift (lex specialis) darstelle, die sich durch das zusätzliche Vorliegen einer Wegnahme einer fremden Sache in Zueignungsabsicht auszeichne.[96] Liege eines dieser Elemente nicht vor und komme daher eine Bestrafung wegen Raubes nicht in Betracht, könne auf den Grundtatbestand der (räuberischen) Erpressung zurückgegriffen werden.[97]
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