Handbuch des Strafrechts. Dennis Bock
I. Historische Entwicklung des Erpressungstatbestands
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Die Straftatbestände der Erpressung und der räuberischen Erpressung sind in ihrer heutigen Form vergleichsweise jung.[2] Zwar gab es durchaus Vorläufer, die auch bereits im römischen Recht zu finden sind, die damaligen Tatbestände sind jedoch mit den heutigen kaum vergleichbar, da sie den spezifisch vermögensstrafrechtlichen Aspekt noch nicht in den Mittelpunkt stellten. Ebenso wie der Betrug, ist die Erpressung als Vermögens(verschiebungs)delikt daher ein Kind der vermögensstrafrechtlich geprägten Entwicklung des 19. Jahrhunderts.[3]
1. Ursprünge des Erpressungsstrafrechts
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Das römische Recht kannte nur den schillernden Tatbestand der „concussio“ bzw. der „concussio publica“[4], dessen Anwendungsbereich allerdings auf das Erlangen von ungerechtfertigten Vermögensvorteilen durch Amtsmissbrauch oder durch die Androhung von Kriminalstrafen beschränkt war.[5] Im gemeinen Recht wurde die „concussio“ nur vereinzelt rezipiert,[6] ein allgemeiner Erpressungstatbestand als Schutz gegen Angriffe auf das Vermögen als solches war dem deutschen Recht aber lange fremd.[7] Zu einer Kodifizierung der Erpressung kam es im deutschsprachigen Rechtsraum erstmals mit der Normierung der Concussion in § 1254 II 20 im Preußischen Allgemeinen Landrecht von 1794. Dabei handelte es sich um einen Spezialfall der Nötigung (zum Abschluss eines nachteiligen Vertrags) durch „Concussion“ als crimen extraordinarium, sofern dadurch entgeltlos Geld oder andere Sachen hingegeben wurden. In § 1255 II 20 ALR ebenfalls bereits vorgesehen war, dass eine Erpressung unter Anwendung von Raubmitteln zur Verwirkung der Raubstrafen führen sollte.
2. Die Erpressung in den Partikularstrafgesetzen des 19. Jahrhunderts
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Auf eine sehr unterschiedliche Art – und teilweise sehr voneinander abweichend – war die Erpressung in den Partikularstrafgesetzen des Deutschen Bundes im 19. Jahrhundert geregelt.
a) Die Erpressung in den außerpreußischen Kodifikationen des 19. Jahrhunderts
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Im bayrischen StGB von 1813 fand sich eine Regelung über die Erpressung in Art. 241, wobei sich die Vorschrift eher wie eine kasuistische Aufzählung verschiedener Eigentumsbeeinträchtigungen liest. In Art. 243 bayStGB finden sich allerdings auch Gedanken über den Landzwang.[8]
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Etwas umständlich mutet die Art und Weise der Regelung der Erpressung im Strafgesetzbuch des Großherzogthums Baden von 1845 an. Ausgangspunkt der dortigen Regelung war ein raubähnlich ausgestalteter Tatbestand der gewaltsamen Abnötigung der Urkundsausstellung (§ 417 badStGB). Dieser Tatbestand wird dann durch § 418 badStGB dahingehend erweitert, dass er alle qualifizierten Nötigungen erfasst, die auf eine nachteilige Vermögensverfügung des Geschädigten oder eines Dritten zielen. Ergänzend zu diesen raubähnlichen Delikten wird in § 419 badStGB die Chantage, d.h. die Schweigegelderpressung durch Drohung der Enthüllung strafbarer oder unsittlicher Vorwürfe, speziell normiert. Damit hatte sich der Gesetzgeber – im Gegensatz zu den meisten anderen Partikularstaaten – dafür entschieden, auch die klassische Chantage unter Strafe zu stellen. In §§ 420, 421 badStGB finden sich dann Qualifikationen für die erpresserische Drohung mit Mord und Brandstiftung. Hinweise für die Abgrenzung zwischen erlaubtem Druck und verbotener Erpressung finden sich im Gesetz indes nicht.[9]
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Klarer war die Regelung im Königreich Württemberg. Dort wurden in Art. 314 Nr. 1 württStGB zwei Fälle der Erpressung erfasst. Erstens kannte man die räuberische Erpressung, falls die Tat durch einen tätlichen Angriff oder durch Drohung mit Angriffen auf Leib und Leben oder Brandstiftung begangen wird, zweitens war die sonstige Erpressung erfasst, die zum einen Fälle „unbestimmter Drohungen“ mit künftigen Misshandlungen, zum anderen aber auch die klassische Chantage betraf. In Art. 315 württStGB wurde zudem die Erpressung durch Drohung mit Brandlegung gegenüber verschiedenen Personen qualifiziert. Zwischen Raub und räuberischer Erpressung wird im württembergischen Strafgesetzbuch schließlich im Hinblick auf das Tatobjekt unterschieden. Tatobjekt des Raubes sind allein Sachen, Tatobjekt der Erpressung alle Gegenstände, die keine Sachen sind.[10]
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Im Königreich Sachsen kam es im 19. Jahrhundert zu drei Strafrechtskodifikationen.[11] Im Criminalgesetzbuch von 1838 wurde in Art. 166 Abs. 1 die räuberische Erpressung mit den Raubstrafen belegt und die „einfache Erpressung“ durch Bedrohung mit sonstigen Nachteilen mit derselben Strafe wie beim Diebstahl bedroht.[12] Im Strafgesetzbuch von 1855 wurde hingegen zwischen räuberischer Erpressung und der schlichten Erpressung schon systematisch strikt unterschieden. Die räuberische Erpressung war in Art. 178 sächsStGB den Delikten gegen die persönliche Freiheit zugeordnet und erfasste jede räuberische Nötigung zur Erzielung eines Vermögensvorteils. Die Abgrenzung zum Raub erfolgte – in der Terminologie der heutigen Konkurrenzlehre – durch die Anordnung formeller Subsidiarität der räuberischen Erpressung gegenüber dem Raubtatbestand.[13] Die schlichte Erpressung, die in Art. 282 sächsStGB bei den Eigentumsdelikten geregelt war, erfasste dagegen jede „Bedrohung mit Nachteilen“, die einen anderen in der Absicht, einen rechtswidrigen Vermögensvorteil zu erzielen, zu einem Tun, Dulden oder Unterlassen nötigte. Die Notwendigkeit, zwischen erlaubten und unerlaubten Nötigungsmitteln zu unterscheiden, wurde im zeitgenössischen Schrifttum nur in Ansätzen anerkannt.[14]
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Einer anderen gesetzgeberischen Technik bediente sich das Strafgesetzbuch des Großherzogthums Hessen von 1841. Dort ist in Art. 349 zunächst die Erpressung als Nötigung mittels Gewalt oder Drohungen zur Erzielung eines Vermögensvorteils definiert, ohne dass jedoch eine Strafe hierfür angedroht wurde. Strafandrohungen finden sich vielmehr erst in Art. 350 hessStGB. Geregelt ist hier die gewalttätige Erpressung für den Fall, dass Art. 349 hessStGB durch räuberische Handlungen erfüllt wird. In diesem Fall ist dieselbe Strafe wie für einen entsprechenden Raub verwirkt. Dagegen regelt Art. 352 hessStGB die „einfache Erpressung“, die dort als Form der Chantage erfasst wird. Die Abgrenzung zwischen Art. 349, 350 hessStGB und den Raubdelikten erfolgte über die Anordnung der Subsidiarität der Erpressungstatbestände.[15]
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Das Strafgesetzbuch für die Thüringschen Staaten von 1848 beruhte in weiten Teilen auf dem Sächsischen Criminalgesetzbuch von 1838.[16] Inhaltlich war es deshalb eng an Art. 166 sächsStGB 1838 angelehnt, doch wurde in den Art. 155–158 thürStGB äußerlich strikter zwischen der räuberischen und der einfachen Erpressung unterschieden und zudem klargestellt, dass der Täter mit der Absicht der Erzielung eines Vermögensvorteils handeln muss.
b) Die Erpressung im Preußischen Strafgesetzbuch von 1851
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Unmittelbare Vorläufer des heutigen Erpressungsstrafrechts sind die §§ 234 bis 236 des Preußischen Strafgesetzbuches von 1851. Hier war die heute bekannte Unterteilung in einen „Grundtatbestand“ der Erpressung, nämlich eine qualifizierte Nötigung zur Erlangung eines (Dritt-)Vorteils in § 234 prStGB 1851, und eine qualifizierte sog. gewaltsame Erpressung in § 236 prStGB 1851, die weitgehend der heutigen räuberischen Erpressung entspricht, vorgesehen. Die Vorschriften lauteten:
§ 234: Wer, um sich oder Dritten einen rechtswidrigen Vortheil zu verschaffen, einen Anderen zu einer Handlung oder Unterlassung dadurch zwingt oder zu zwingen versucht, daß er denselben schriftlich oder mündlich mit der Verübung eines Verbrechens oder Vergehens bedroht, macht sich der Erpressung schuldig.
§ 235: Die Erpressung wird mit Gefängniß