Handbuch des Strafrechts. Dennis Bock
des Strafgesetzbuches sind die – praktisch besonders relevanten – Delikte zusammengefasst, bei denen der Täter Vermögenverschiebungen unter Einsatz von Nötigungsmitteln bewirkt. Während es sich bei den Erpressungsdelikten (§§ 253, 255 StGB) um Straftatbestände mit Selbstschädigungscharakter handelt, ist der Raub ein Fremdschädigungsdelikt, der zudem – ebenfalls anders als die Erpressungsdelikte – nur die Verletzung des Eigentums erfasst. Der Raub gehört zu den „klassischen“ Vermögensdelikten und ist seit dem Altertum fester Bestandteil des (staatlichen) Strafrechts. Der heute im Strafgesetzbuch geregelte Grundtatbestand des § 249 StGB, der den Einsatz qualifizierter Nötigungsmittel zur Wegnahme einer fremden, beweglichen Sache erfordert, vereinigt Nötigungs- und Diebstahlselemente. Der Qualifikationstatbestand des § 250 StGB weist in Teilen Ähnlichkeit zu § 244 StGB auf. Eine Erfolgsqualifikation des Raubes enthält § 251 StGB (Raub mit Todesfolge).
8. Abschnitt: Schutz des Vermögens › § 30 Raub › B. Historische Bezüge
I. Das griechische und talmudische Recht
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Der Raub galt bereits in frühen Rechtskreisen als eine zu bestrafende Handlung.[1] So steht in der Bibel: „Du sollst Deinem Nächsten nicht unrecht tun, noch ihn berauben“.[2] Ebenso findet sich im griechischen und talmudischen Recht das Delikt des Raubes.[3] Dabei wurde nach talmudischem Recht der „Dieb strenger als der Räuber bestraft, weil jener die Menschen mehr fürchtet als Gott“[4]. Letzteres ist wohl so zu verstehen, dass der Dieb zwar der Entdeckung durch die Menschen entgehen will (heimliche Tat), der Umstand, dass Gott ihn bei seiner Tat sieht, ihn jedoch nicht vom Diebstahl abhält; somit fürchtet er die Entdeckung des Diebstahls durch die Menschen mehr als durch Gott und ist daher schwerer zu bestrafen.
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Bei der Betrachtung der rechtshistorischen Entwicklung des Raubtatbestandes ist es aus heutiger Sicht auch von Interesse, ob bzw. ab wann der Raubtatbestand nicht mehr nur als Unterfall des Diebstahls angesehen, sondern als eigenständiges Delikt (delictum sui generis) behandelt wurde. Hierfür ist auch eine Auseinandersetzung mit der Abgrenzung von Raub und Diebstahl notwendig.
II. Das römische Recht
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Der Raub (rapina, in kriegerischen Zusammenhängen auch praeda oder spolium genannt) war, anders als im heutigen Recht, ursprünglich nicht als ein eigenständiges Delikt ausgestaltet, sondern wurde als ein Unterfall des Diebstahls (furtum) verstanden, dessen Tatbestand „[…] das Ansichnehmen einer beweglichen im Eigenthum stehenden Sache zu eigener Bereicherung und zum Schaden eines Dritten“ umfasste und damit so weit gefasst war, dass er auf eine Vielzahl von deliktischen Handlungen angewendet werden konnte.[5] Da der Raub auch nach römischem Recht durch die Anwendung von Gewalt gekennzeichnet war, galt er somit als ein gewaltsamer Diebstahl.[6]
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Eine wichtige Entwicklungsstufe im römischen Recht war das Edikt des Prätors M. Lucullus (76 v. Chr.).[7] In diesem war für besondere Begehungsformen der gewaltsamen (also „räuberischen“) Eigentumsentziehung eine spezielle Klage, die actio vi bonorum raptorum, vorgesehen.[8] Durch die Einführung dieser Klage begann sich die unmittelbare Verbindung von Raub und Diebstahl etwas zu lösen; der Raub erhielt eine Art „eigenständigen Charakter“.[9]Jedoch war der Anwendungsbereich der Klage auf eine bestimmte Begehungsart begrenzt: Sie erfasste ausschließlich den Fall der vorsätzlichen Wegnahme mit Waffengewalt durch eine Vielzahl von zusammen agierenden Menschen (hominibus armatis coactisque).[10] Dieser enge Anwendungsbereich hatte, wie Cicero schreibt, vorwiegend politische Gründe: Die gewaltsamen Zustände des römischen Bürgerkrieges, in denen Angriffe auf fremdes Eigentum durch Beschädigung oder Raub Überhand zu nehmen drohten, machten die Einführung dieser gesonderten Klage erforderlich.[11] Der Räuber haftete wie bei der actio furti und hatte dem Geschädigten – sofern dieser innerhalb der prätorischen Jahresfrist klagte – nicht nur den einfachen, sondern den vierfachen Wert der geraubten Sache zu ersetzen (quadruplum).[12] Die Geltendmachung des zugefügten Schadens durch den Geschädigten war hier somit untrennbar mit einer Sanktionierung des Räubers durch die Multiplarstrafe verknüpft.[13]
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Im Laufe der Kaiserzeit erfuhr dieses Edikt zahlreiche Anpassungen, die zur weiteren Entwicklung des Raubes beitrugen. Entscheidend war, dass der Anwendungsbereich nun nicht mehr nur auf den Fall der hominibus armatis coactisque beschränkt blieb. So konnte ein Raub nun auch ohne Waffengewalt (armati) begangen werden.[14] Ebenso war aufgrund einer späteren Interpretation des Edikts die Begehung durch mehrere (hominibus coactis) nicht mehr eine zwingende Voraussetzung für die Anwendung der Klage.[15] Nunmehr konnte auch die Begehung durch einen Einzelnen einen Raub darstellen.[16] Darüber hinaus wurde der Anwendungsbereich des Raubes durch neue, beispielhafte Begehungsformen (sog. „crimina extraordinaria“[17]), die eine Wegnahme zu einem Raub machten, erweitert. Zu nennen sind hier vor allem der Raub unter Ausnutzung besonderer Umstände wie einer Feuersbrunst oder eines Schiffbruchs[18] sowie Straßenraub durch Wegelagerer,[19] sog. „grassatores“[20], oder Raubmord[21] („latrocinium“[22]).
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Wegen der Erweiterung des Anwendungsbereichs der actio vi bonorum raptorum war rapina eine „widerrechtliche, gewaltsame Entziehung fremden beweglichen Eigenthums, um sich dasselbe zuzueignen“[23], sodass es damit im römischen Recht durchaus einen mit dem heutigen Tatbestand vergleichbaren „einfachen Raub“ gab,[24] der nicht mehr durch spezielle Begehungsmerkmale oder -umstände gekennzeichnet war. Wenngleich sich damit eine gewisse Verselbstständigung andeutet, ist es aber fraglich, ob diese Weiterentwicklung der ediktischen Klage den Schluss auf eine systematische Eigenständigkeit des Raubes rechtfertigt, denn der raptor haftete nach der actio furti, also gleich einem Dieb. Die immer noch bestehende Nähe des Raubes zum Diebstahl zeigt sich u.a. auch daran, dass Räuber immer noch als „fures atrociores“ („schreckliche Diebe“) bezeichnet wurden.[25]
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Dass sich keine strikte dogmatische Unterscheidung zwischen Diebstahl und Raub im römischen Recht entwickelt hat, zeigt sich weiterhin in einigen in den Institutionen bestehenden Unklarkeiten. Eine Unterscheidung beider Delikte hätte insbesondere am Merkmal „Gewalt“ erfolgen können, wodurch der Raub durch als „gewaltsame Wegnahme“ gegenüber dem „normalen Diebstahl“ eine systematische Eigenständigkeit erlangt hätte. Eine solchermaßen klare Abgrenzung scheint aber nicht vorgenommen worden zu sein. Bei der Lektüre römischer Rechtstexte fällt auf, dass bei Ausführungen zum Diebstahl (furtum) und zum Raub (rapina), etwa in den Institutionen des Iustinian, neben der gewaltsamen auch die beim Diebstahl heimliche Begehung eine Rolle spielt.[26] Problematisch ist hierbei, dass die Kriterien „Heimlichkeit“ und „Gewalt“ auch parallel, „[o]hne strenge Gegensatzbildung“ verwendet wurden.[27] Dies lag vor allem daran, dass die „Abgrenzung zum Raub, Definition und Worterklärung […] beim furtum nicht parallel [liefen]“[28], sondern dass das eine Kriterium etwa als Definitionsmerkmal verwendet wurde, das Definitionskriterium jedoch nicht zwingend das Abgrenzungskriterium darstellte – anders als heute, wo nach unserem Verständnis eine Definition gerade eine präzise Abgrenzung von anderen (wiederum definierten und definierbaren) Termini ermöglichen soll. Dies legt die Vermutung nahe, dass die Römer, die ja einzelne Klagearten und nicht einzelne Tatbestände unterschieden, eine systematische Trennung von Raub und Diebstahl gar nicht vor Augen hatten.
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