Handbuch des Strafrechts. Dennis Bock
Vollendung des Raubtatbestandes. Maßgeblich für die Verwirklichung des Delikts war danach allein die Zufügung von Gewalt gegen eine Person, die in Entwendungsabsicht verübt werden musste. Folglich galt der Raub unabhängig von einer tatsächlich erfolgten Wegnahme als vollendet.
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Von besonderem Interesse ist aus heutiger Sicht auch hier die Abgrenzung von Raub und Erpressung. Das Bayerische StGB unterscheidet zwei Erpressungstatbestände, Art. 241 und Art. 242.[101] Während sich Art. 241 auf eine Erpressung im Zusammenhang mit Rechtsgeschäften oder Schulderlass bezieht, schließt Art. 242 auch die Sacherpressung mit ein.[102] Neben den Bezugspunkten der Erpressungstatbestände unterscheiden sich zudem die angewandten Erpressungsmittel.[103] Während Art. 241 sich auf das Raubmittel der Gewalt bezieht („thätliche Mißhandlung“), spricht Art. 242 von der Drohung mit „künftiger Mißhandlung“, wodurch deutlich wird, dass das Bayerische StGB lediglich eine Unterscheidung hinsichtlich der vom Täter angewandten Mitteln kennt, eine Unterscheidung im Hinblick auf das Verhalten des Opfers (Geben oder Nehmen) aber nicht gemacht wird.“[104]
VI. Entwicklung vom preußischen StGB (1851) bis 1945
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Der heute gültige Tatbestand des Raubes kristallisierte sich erst Mitte des 19. Jahrhunderts heraus, als auch die Drohungsalternative auf Drohungen mit gegenwärtiger Gefahr gegen Leib oder Leben beschränkt wurde,[105] wobei als ein für die Strafrechtsentwicklung entscheidender Schritt das Strafgesetzbuch für die Preußischen Staaten von 1851 angesehen wird. So ist wohl Vogel zu verstehen, wenn er ausführt: „[Der] Durchbruch zum modernen Recht gelang mit dem preuß. StGB 1851 über Raub und Erpressung.“[106] Der Raubtatbestand wurde im preußischen StGB in § 230 wie folgt formuliert: „Einen Raub begeht, wer mit Gewalt gegen eine Person, oder unter Anwendung von Drohungen mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben, eine fremde bewegliche Sache einem Anderen in der Absicht wegnimmt, sich dieselbe rechtswidrig zuzueignen.“[107] Als schweren Raub qualifizierte dabei § 232 den Raub mit Waffen, Banden und den Straßenraub, § 233 sah für den Raub mit schwerer Körperverletzung oder Todesfolge lebenslange Freiheitsstrafe vor.[108]
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Das preußische StGB enthielt damit im Wesentlichen die heutige Fassung des Raubtatbestandes.[109] Gleichzeitig diente es als Vorläufer des Strafgesetzbuches des Norddeutschen Bundes, das als Reichsstrafgesetzbuch[110] vom 1. Januar 1872 an im gesamten Reich galt und mit dem das Deutsche Reich damit ein einheitliches Strafgesetzbuch erhielt.[111] Der Raubtatbestand war in § 249 RStGB dabei im zwanzigsten Abschnitt wie folgt formuliert: „Wer mit Gewalt gegen eine Person oder unter Anwendung von Drohungen mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben eine fremde bewegliche Sache einem Anderen in der Absicht wegnimmt, sich dieselbe rechtswidrig zuzueignen, wird wegen Raubes mit Zuchthaus bestraft. Sind mildernde Umstände vorhanden, so tritt Gefängnißstrafe nicht unter sechs Monaten ein.“[112] Die in § 250 RStGB geregelten Raubqualifikationen fassten dabei die §§ 232, 233 des prStGB 1851 zusammen und fügte den Raub zur Nachtzeit in einem bewohnten Gebäude hinzu.[113] Nach § 251 RStGB wurde der Räuber mit Zuchthaus nicht unter zehn Jahren oder mit lebenslänglichem Zuchthaus bestraft, wenn beim Raub „ein Mensch gemartert oder durch die gegen ihn verübte Gewalt eine schwere Körperverletzung oder der Tod desselben verursacht worden ist“. Mit „Gewalt“ war die Gewalt zur Überwindung von Widerstand gegen die Wegnahme gemeint.[114] Für den qualifizierenden Erfolg hatte der Täter stets einzustehen („objektive Erfolgshaftung“).[115]
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Betrachtet man die reformgeschichtliche Entwicklung des Raubtatbestandes seit Einführung des RStGB von 1871, so sind dessen „Grundzüge […] im Großen und Ganzen bis heute beibehalten worden.“[116] So erfuhr der Tatbestand des § 249 RStGB während des Kaiserreichs und der Weimarer Republik keine Änderungen.[117] Zentraler Gegenstand juristischer Diskussionen war vielmehr das Verhältnis von Raub und (räuberischer) Erpressung, im Zuge derer verschiedene Reformvorschläge für das RStGB entwickelt wurden.[118] So wurde etwa vorgeschlagen, Raub und räuberische Besitzerpressung durch den Passus „wegnimmt und abnötigt“ in einem einheitlichen Tatbestand zusammenzufassen.[119]
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Auch zur Zeit des Nationalsozialismus erfuhr der Raubtatbestand selbst keine Änderungen.[120] Anders der Strafrahmen. Die Verordnung gegen Gewaltverbrecher vom 5. Dezember 1939[121] („Gewaltverbrecherverordnung“) ermöglichte eine „Aufstockung“ von Raubdelikten zur sog. Gewaltverbrechertat, welche die Todesstrafe als Rechtsfolge vorsah. Tatbestandsvoraussetzung des § 1 Gewaltverbrecherverordnung war das Vorliegen bestimmter Ausführungsmodalitäten;[122] daneben bildete die Einordung des Täters als „Gewaltverbrecher“ ein ausschlaggebendes Strafbarkeitskriterium.[123] Hierin zeigt sich beispielhaft die im Nationalsozialismus übliche Anwendung der Tätertypenlehre.[124]
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Hinzuweisen ist auch auf das Sonderstrafrecht für Polen und Juden im Reichsgebiet[125] und den besetzten Ostgebieten. Die Verordnung über die Strafrechtspflege gegen Polen und Juden in den eingegliederten Ostgebieten vom 4. Dezember 1941[126] („Polenstrafrechtsverordnung“) regelte nicht nur die Anwendbarkeit des deutschen Strafrechts in den eingegliederten Ostgebieten, sondern führte zudem ein Sonderstraf- und Strafprozessrecht[127] für Juden und Polen ein, das in erster Linie durch eine massive Verschärfung der Strafrahmen sowie völlige Missachtung sämtlicher Verfahrensrechte gekennzeichnet war.[128] Dies zeigt sich auch am Raub, der, sofern er gegen einen Deutschen begangen wurde, nunmehr mit der Todesstrafe geahndet wurde.[129]
VII. Entwicklung von 1945 bis heute
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Was Änderungen des zwanzigsten Abschnitts nach Gründung der Bundesrepublik Deutschland betrifft, ist vor allem die Neugestaltung des § 250 StGB und des § 251 StGB durch das EGStGB 1974[130] zu nennen.[131] Hinsichtlich des § 250 StGB wurde statt der Raubqualifikationen „Raub auf öffentlichen Wegen, zur Nachtzeit oder im Rückfall“ der „Raub mit Schusswaffen, Waffen oder sonstigen Werkzeugen oder Mitteln, um den Widerstand eines anderen zu überwinden“, sowie der „Raub mit Gefahr des Todes oder einer schweren Körperverletzung“ eingeführt.[132] Auch der Tatbestand der Raubqualifikation des § 251 StGB wurde verändert. Nun machte sich wegen Raubes mit Todesfolge nur noch derjenige strafbar, wer durch den Raub „leichtfertig den Tod eines anderen“ verursacht. Die für schwere Folgen geltende objektive Erfolgshaftung war bereits zuvor mit der Änderung des § 56 StGB a.F. (heute § 18 StGB) durch das 3. StrÄndG[133] beseitigt worden, da dem Täter hinsichtlich der qualifizierenden Folge nun zumindest Fahrlässigkeit zur Last fallen musste.
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Die heute gültige Fassung des zwanzigsten Abschnitts geht auf das 6. StrRG 1998[134] zurück. Seitdem genügt für Raub und räuberischen Diebstahl insbesondere auch das Handeln in Drittzueignungsabsicht.[135] Modifiziert wurde auch § 250 Abs. 1 StGB, in dem vor allem die Qualifikationen der Begehung mit Waffen und Werkzeugen verändert wurden (Abschaffung des speziellen Qualifikationstatbestandes „Raub mit Schusswaffen“). Die Qualifikationen in § 250 Abs. 2 StGB wurden neu eingefügt. Die Mindeststrafe für den schweren Raub nach § 250 Abs. 1 StGB wurde von fünf auf drei Jahre verringert und gleichzeitig die Höchststrafe für minder schwere Fälle nach (jetzt) § 250 Abs. 3 StGB von fünf auf zehn Jahre erhöht. In § 251 StGB wurde neben einer geringfügigen (stilistischen) Änderung das Wort „wenigstens“ eingefügt, um deutlich zu machen, dass die Tat auch vorsätzlich begangen werden kann.[136]
8. Abschnitt: Schutz des Vermögens › § 30 Raub › C. Kriminologische Bedeutung der Erscheinungsformen des Raubes