Handbuch des Strafrechts. Dennis Bock
b) Final- oder Kausalzusammenhang?
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Umstritten ist, in welchem Zusammenhang die qualifizierte Nötigung und der Diebstahl stehen müssen. Gefordert wird insofern teils ein Kausalzusammenhang (objektive Betrachtung), teils ein Finalzusammenhang (subjektive Betrachtung) zwischen dem qualifizierten Nötigungsmittel und der Wegnahme. In der Literatur wird von einer Mindermeinung ein Kausalzusammenhang zwischen qualifizierter Nötigung und Wegnahme gefordert, in dem Sinne, dass die Wegnahme durch die Anwendung des Nötigungsmittels ermöglicht oder zumindest erleichtert wird.[323] Nach ständiger Rspr.[324] und h.L.[325] ist ausreichend, dass aus der ex-ante-Sicht des Täters ein Finalzusammenhang besteht. Hierfür spreche, dass der spezifische Unrechtsgehalt des Raubes bereits gegeben ist, wenn der Täter die qualifizierten Nötigungsmittel anwendet, um eine Sache wegzunehmen.[326] Es könne hierbei keinen Unterschied machen, ob deren Einsatz wirklich erforderlich ist oder nicht.[327] Hingewiesen wird auch auf § 252 StGB, der den Einsatz von Raubmitteln zur Beutesicherung erfasst, was nahelegt, dass § 249 StGB den Einsatz von Raubmitteln zur Beutewegnahme unter Strafe stellt, sodass bei beiden Tatbeständen der Unwertgehalt in der finalen Verknüpfung zwischen qualifizierten Nötigungsmitteln und Begehung des Diebstahls (bei § 249 StGB) bzw. dessen Beendigung (bei § 252 StGB) liege.[328] Die Gegenmeinung verweist auf die Versuchsstrafbarkeit (mit einer bloß fakultativen Strafmilderung und in Tateinheit mit einem vollendeten Diebstahl)[329] sowie auf §§ 177 Abs. 1, 255 StGB, die beide weitgehend unstreitig einen Kausalzusammenhang erfordern.[330] Für die h.M. spricht auch der Wortlaut, der zumindest in der zweiten Alternative („unter Anwendung von Drohungen“ und nicht „durch“) auf die Notwendigkeit einer finalen Verknüpfung hindeutet.[331] Weniger überzeugend ist der Hinweis auf praktische Beweisprobleme bei dem Erfordernis eines Kausalitätsnachweises,[332] denn diese sollten nicht entscheidend für dogmatische Fragestellungen sein und stellen sich im Übrigen auch bei dem Erfordernis eines Finalzusammenhangs.[333]
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Wer (mit beachtlichen Argumenten) bei § 249 StGB einen Kausalzusammenhang fordert,[334] sollte diesem ein Kausalitätsverständnis zugrunde legen, wonach es im Einklang mit den gängigen Kausalitätstheorien stets auf den Erfolg in seiner konkreten Gestalt ankommt (condicio sine qua non-Formel). Damit ist nicht entscheidend, ob die Gewalt objektiv „erforderlich“ oder „unerlässlich“ für die Wegnahme (in ihrer abstrakten Gestalt) ist.[335] Es reicht aus, wenn die Wegnahme durch den Einsatz des Nötigungsmittels ermöglicht oder erleichtert wird.[336] Insofern wird auch nicht (wie argumentiert wird[337]) der besonders brutale Täter privilegiert, der „überschießend“ qualifizierte Nötigungsmittel anwendet.[338] Entsprechend besteht bzgl. des Inhalts des Finalzusammenhangs zum Teil Unklarheit:[339] Nach einer Ansicht muss aus der Sicht des Täters die Nötigung die Wegnahme ermöglichen.[340] Nach einer a.A. soll es genügen, wenn der Täter auch nur die Erleichterung der Wegnahme anstrebt.[341] Maßgeblich ist, dass sich der Täter vorstellen muss, durch die Nötigung den Erfolg in seiner konkreten Gestalt herbeizuführen. Der Einsatz des qualifizierten Nötigungsmittels muss also nach der Vorstellung des Täters nicht „unerlässlich“ oder „erforderlich“ für die Wegnahme (in ihrer abstrakten Gestalt) sein. Damit reicht es aus, wenn der Täter nach seiner Vorstellung durch die Nötigung die Wegnahme in ihrer konkreten Gestalt erleichtern möchte.[342] Auch dies entspricht den gängigen Grundsätzen strafrechtlicher Kausalität i.S.d. Äquivalenztheorie.[343] Aus dem Vorgesagten wird deutlich, dass die praktische Bedeutung dieses Streites bei einem zutreffenden engen Kausalitätsverständnis sowohl beim Kausal- als auch Finalzusammenhang eher gering ist und sich auf wenige Ausnahmefälle beschränkt.[344] Im Folgenden wird mit der h.M. und der gefestigten Rspr. davon ausgegangen, dass gerade im Hinblick auf den Unrechtsgehalt des § 249 StGB ein Finalzusammenhang zu fordern ist, hierbei aber ein enges Kausalitätsverständnis zugrunde zu legen ist.
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Bei einer rein subjektiv-finalen Interpretation lassen Abweichungen des tatsächlichen vom vorgestellten (Final-)Verlauf, etwa bei einem Irrtum über die Wirkungsweise der Gewalt, den Finalzusammenhang nicht entfallen.[345] Hierzu bedarf es nicht des Rückgriffs auf die Grundsätze der Rechtsfigur der unerheblichen Abweichung vom vorgestellten Kausalverlauf.[346] Damit sind auch erhebliche Abweichungen vom vorgestellten Verlauf unbeachtlich.[347]
c) Zeitlich-räumlicher Zusammenhang
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Str. ist, ob zwischen dem Einsatz der Nötigungsmittel und der Wegnahme neben dem Final- oder Kausalzusammenhang zudem (objektiv) ein enger zeitlich-räumlicher Zusammenhang derart bestehen muss, dass der Einsatz des Nötigungsmittels unmittelbar auf die nachfolgende Erlangung der zu entwendenden Sache erfolgt. Dies wird von der Rspr.[348] bejaht, denn nur dann sei der gegenüber Diebstahl und Nötigung erhöhte Strafrahmen des § 249 StGB gerechtfertigt. Aus der unrechtssteigernden Funktionalisierung von Nötigungsmitteln für den Eingriff in fremdes Eigentum folge, „dass der subjektiv-final auf ‚Wegnahme mit Gewalt gegen eine Person oder unter Anwendung von Drohungen mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben‘ gerichtete Tatentschluss sich auch tatsächlich in einer ‚Wegnahme mit Gewalt‘ oder ‚unter Anwendung von Drohungen‘ realisieren muss und die den Raub konstituierenden Elemente der Nötigungshandlung und der Wegnahme eine raubspezifische Einheit bilden.“[349] Für diesen Zusammenhang soll allerdings nicht erforderlich sein, dass der Ort der Nötigungshandlung und der Ort des Gewahrsamsbruchs identisch sind.[350] Auch ließen sich verbindliche Werte zu einem zeitlichen Höchstmaß zwischen Einsatz des Nötigungsmittels und Wegnahme nicht benennen.[351] Vielmehr seien die Umstände des Einzelfalls entscheidend.[352] Für die raubspezifische Einheit von qualifizierter Nötigung und Wegnahme sei danach maßgeblich, ob es zu einer nötigungsbedingten Schwächung des Gewahrsamsinhabers in seiner Verteidigungsfähigkeit oder -bereitschaft gekommen ist[353] bzw. zu einer nötigungsbedingten Einschränkung der Dispositionsfreiheit des Gewahrsamsinhabers über das Tatobjekt.[354]
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Für das Erfordernis eines zeitlich-räumlichen Zusammenhangs könnte sprechen, dass auch der mit dem Raub verwandte § 252 StGB einen solchen im Rahmen des Tatbestandsmerkmals „auf frischer Tat betroffen“ verlangt (→ BT Bd. 5: Wittig, § 31 Rn. 50 ff.).[355] Andererseits könnte der Unterschied im Wortlaut im Wege eines Umkehrschlusses auch als Argument gegen eine solche (ungeschriebene) Einschränkung dienen. In der Literatur wird das Kriterium eines engen zeitlich-räumlichen Zusammenhangs als nicht durch den Wortlaut geboten, als zu unbestimmt und mit dem Raubtatbestand nicht vereinbar abgelehnt.[356] Es wird deshalb ergänzend oder präzisierend gefordert, dass die Nötigungshandlung unmittelbar der Wegnahme dienen müsse.[357] Das Unmittelbarkeitskriterium ist jedoch ebenfalls unbestimmt und gewinnt lediglich Bedeutung bei der Abgrenzung zwischen §§ 253, 255 StGB und § 249 StGB im Hinblick auf das ungeschriebene Tatbestandsmerkmal der Vermögensverfügung, vermag aber nicht zeitlich-räumliche Grenzen der Raubbegehung festzulegen (Rn. 109).[358] Nach einer a.A. ist Voraussetzung, dass durch die Raubmittelanwendung zur Wegnahme unmittelbar angesetzt werden müsse.[359] Dieses Verständnis ist jedoch zu eng im Hinblick auf die zweiaktige Struktur des Raubes.[360] Nach a.A. müssen Nötigungsmittel und Nötigungsziel eine natürliche Handlungseinheit bilden.[361] Auch diese vermeintliche Präzisierung ist gerade im Hinblick auf die Unstimmigkeiten der Konkurrenzlehre nicht geeignet, dem unbestimmten Kriterium eines engen zeitlich-räumlichen Zusammenhangs hinreichend Konturen zu verleihen.[362]
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Aber auch das Kriterium der Einschränkung der Dispositionsfreiheit oder die Schwächung der Verteidigungsfähigkeit und -bereitschaft des Gewahrsamsinhabers wirft als inhaltliche Ausfüllung des Erfordernisses eines objektiven zeitlich-räumlichen Zusammenhangs inhaltliche und systematische Probleme auf. Die Einschränkung