Unternehmensstrafrecht und Unternehmensverteidigung. Markus Berndt
die in der Leitungsebene eines Unternehmens angesiedelten Personen im Regelfall nicht selbst die rechtsgutsschädigende Handlung, sondern wirken lediglich an Entscheidungen eines Gremiums mit, die erst über ihre Umsetzung durch hierarchisch untergeordnete Mitarbeiter in die eigentliche Rechtsgutsverletzung münden. Die Leitungspersonen können dabei den Inhalt des ihnen in der Regel als Vorlage zukommenden Gremienbeschlusses nur als Ganzes zustimmen oder ablehnen und nicht individuell beeinflussen.[11] Was die Abstimmungsregeln anbelangt, reichen nach den Bestimmungen der einschlägigen Gesetze oder Satzungen üblicherweise bloße Mehrheitsbeschlüsse aus. Selbst dort, wo das Gesetz wie im Falle des Vorstands einer Aktiengesellschaft in § 77 Abs. 1 S. 1 AktG eine einstimmige Entscheidung des Kollegialorgans verlangt, sind zahlreiche Ausnahmen von diesem Grundsatz vorgesehen, da Unternehmen anderenfalls de facto handlungsunfähig wären.
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Können Unternehmen nur über Kollegialentscheidungen einen gemeinsamen Willensentschluss bilden und betätigen, ergibt sich die Frage, unter welchen Voraussetzungen ein konkretes Abstimmungsverhalten zu individueller Schuld oder Vorwerfbarkeit führt. Obwohl die Willensbildung und -betätigung durch das Leitungsorgan als Ganzes erfolgt, muss der Erfolg einem innerhalb dieses Gremiums angesiedelten und an der Abstimmung beteiligten Individuum zugerechnet werden, sofern man das dem Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht zugrunde liegende Konzept individueller Schuld oder Vorwerfbarkeit nicht komplett verabschieden will. Demgegenüber bildet die bloße Zugehörigkeit zu einem Gremium ebenso wenig wie die mit der Teilnahme an der Abstimmung herbeigeführte Beschlussfähigkeit eine ausreichende Grundlage für die Zurechnung.[12]
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Die zentrale Entscheidung BGHSt 37, 106 ff. bezog sich zwar auf die Unterlassungshaftung, kann aber in gleicher Weise im Hinblick auf das aktive Tun Geltung beanspruchen. Für die Einordnung des Verhaltens ist nicht auf den Abstimmungsakt selbst abzustellen. Aufgrund des mit einer Zustimmung verbundenen Energieeinsatzes würde aus einer naturalistischen Sichtweise regelmäßig ein aktives Tun vorliegen; im Übrigen hinge die Einordnung des Verhaltens von der Formulierung der Vorlagefrage ab. Es kommt stattdessen darauf an, ob das durch das Leitungsorgan beschlossene Verhalten normativ als aktives Tun oder Unterlassen zu werten ist und der Beschluss somit in ein aktives Tun oder Unterlassen einmündet.[13] Eine solche Betrachtungsweise rechtfertigt sich daraus, dass das Beschluss- und anschließende Ausführungsverhalten wertungsmäßig eine Einheit bilden und das Ausführungsverhalten nur Folge des Beschlussverhaltens ist.
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Unter Zurechnungsaspekten steht im Zentrum vor allem die Frage, ob das individuelle Abstimmungsverhalten für einen Erfolg kausal geworden ist oder nicht. Auf dem Boden der Äquivalenztheorie bzw. der condicio sine qua non-Formel ist kausal jede Bedingung, die nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg in seiner konkreten Gestalt entfiele.[14]
An diesem Punkt sind verschiedene Konstellationen zu unterscheiden.
a) Beschlussfassung nur einstimmig möglich
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Sofern eine einstimmige Beschlussfassung gefordert ist, ist die Kausalität zwischen dem zustimmenden Votum und dem Erfolg gegeben, weil mehrere unabhängig voneinander vorgenommene Handlungen als jeweils eigenständige Bedingungen in ihrem Zusammenwirken den Erfolg herbeiführen (sog. kumulative Kausalität).[15] Überdies ist die objektive Zurechnung zu bejahen, da mit dem durch das Positivvotum herbeigeführten einstimmigen Beschluss eine rechtlich missbilligte Gefahr geschaffen wird, die sich im späteren Erfolg realisiert.
b) Beschlussfassung erfolgt mit einer Mehrheit von einer Stimme
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Sofern eine Mehrheitsentscheidung betroffen ist, liegt bei einer Mehrheit von nur einer Stimme ebenfalls kumulative Kausalität vor, da das Positivvotum nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg in seiner konkreten Gestalt entfiele.[16] Die objektive Zurechnung ist gleichfalls möglich, da sich das durch die in den Mehrheitsbeschluss einmündende Stimme geschaffene rechtlich missbilligte Risiko im Erfolg realisiert.
c) Beschlussfassung mit einer Mehrheit von mindestens zwei Stimmen
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Die Kausalität wird zum Problem, wenn ein Beschluss mit einer – soliden – Mehrheit von mindestens zwei Stimmen ergeht. Wendet man die condicio sine qua non-Formel an, könnte jeder positiv Votierende darauf verweisen, bei Hinwegdenken seiner Stimme wäre der Erfolg angesichts der Stimmenmehrheit ohnehin eingetreten. Hiergegen wird vorgebracht, dass ein solcher Verweis mit den Prämissen der Formel nicht im Einklang stehe: Denn mit dem Hinwegdenken des Positivvotums sei immer ein Hinzudenken von Gegenstimmen oder Enthaltungen verbunden; stelle man allein auf den Wirkmechanismus der Stimmabgabe ab, sei also Kausalität gegeben.[17] Allerdings wird bei Hinwegdenken einer Bedingung stets eine Welt ohne diese Bedingung hinzugedacht,[18] weshalb das Argument am Ende nicht überzeugt. Die Kausalität kann ebenso wenig mit dem Hinweis auf die konkrete Gestalt des Erfolges angenommen werden, obwohl das Mehrheitsbild bei Hinwegdenken der Einzelstimme modifiziert würde: Denn der für die Kausalitätsfrage maßgebliche Erfolg ist nicht das modifizierte Abstimmungsergebnis, sondern die Schädigung des Rechtsguts; das Gesamtvotum bildet nur einen Zwischenerfolg.[19] Hierfür ist die überzählige Stimme nicht notwendig und kann deshalb entsprechend den Grundsätzen der condicio sine qua non-Formel durchaus hinweggedacht werden.
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Gleichwohl wird bei einer soliden Mehrheit ganz überwiegend Kausalität angenommen. Dies ist schon deswegen einleuchtend, weil ansonsten ungeachtet eines Positivvotums und Mehrheitsbeschlusses niemand für den Erfolg kausal verantwortlich wäre. Über die Begründung besteht jedoch keine Einigkeit.
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Teilweise wird auch in diesem Zusammenhang von kumulativer Kausalität ausgegangen, da nicht die einzelne Stimme, sondern erst das Zusammenwirken mit den anderen Stimmen den Erfolg herbeiführe.[20] Allerdings besteht ein zentraler Unterschied zu den klassischen Fällen kumulativer Kausalität, in denen etwa zwei Täter unabhängig voneinander eine für sich genommen nicht ausreichende Menge Gift in das Glas des Opfers schütten, das dann an der Addition der Giftmengen stirbt. Anders als in diesem Beispiel – der Tod tritt erst als Folge der Kumulation der Tatbeiträge ein – kommt es bei solider Mehrheit gerade nicht auf die einzelne Stimme an,[21] zumal die Votierenden nicht unabhängig voneinander handeln.
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Andere ziehen die Figur der alternativen Kausalität heran, bei der mehrere unabhängig voneinander gesetzte Bedingungen zeitgleich wirken, die für sich bereits den Erfolg herbeigeführt hätten.[22] Wenn unabhängig voneinander zwei Täter eine jeweils tödlich wirkende Giftmenge in das Glas des Opfers schütten, könnte sich bei Anwendung der condicio sine qua non-Formel jeder von ihnen darauf berufen, dass der Tod des Opfers wegen der Giftmenge des anderen eingetreten wäre. Um einen solchen Einwand abzuschneiden, wird die gängige condicio sine qua non-Formel in der Weise abgewandelt, dass von mehreren Bedingungen, die alternativ, aber nicht kumulativ hinweggedacht werden können, ohne dass der Erfolg entfiele, jede für den Erfolg ursächlich ist.[23] Eine vordergründige Parallele zur Kausalität bei soliden Mehrheitsentscheidungen ist gegeben, da sich jeder Positivvotierende auf die weiteren Positivvoten berufen könnte. Ein zentraler Unterschied zu klassischen Fällen alternativer Kausalität liegt jedoch darin, dass jede Stimme für sich genommen nicht genügt, um den Erfolg herbeizuführen.[24] Im Übrigen handeln die Abstimmenden auch nicht unabhängig voneinander.[25]
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Soweit die Problematik über ein Zusammenspiel hinreichender und notwendiger Bedingungen gelöst werden soll,[26] ist einzuwenden, dass ein plausibles Kausalurteil ausscheidet, solange das konkrete Zusammenspiel dieser formallogisch unterschiedlichen Bedingungsarten unklar bleibt.[27] Ebenso sind Ansätze