Unternehmensstrafrecht und Unternehmensverteidigung. Markus Berndt
von kumulativer und für die darüber hinaus reichenden Stimmen von alternativer Kausalität ausgegangen wird.[28] Denn hier lassen sich bezogen auf beide Formen der Kausalität jene Einwände vorbringen, die gegen die ausschließliche Verwendung dieser Kausalitätsformen sprechen. Auch die Lehre von der gesetzmäßigen Bedingung hilft nicht weiter, nach der Kausalität vorliegt, wenn zwischen der Handlung und dem Erfolg ein nach bekannten Naturgesetzen erklärbarer Zusammenhang besteht und die konkrete Handlung deshalb im konkreten Erfolg wirksam wurde.[29] Zwar ist das Positivvotum im Erfolg wirksam geworden, jedoch wird der Umstand ausgeblendet, dass bei solider Mehrheit eben jener Stimmenüberschuss vorliegt und es auf diese Stimme gar nicht ankam – das Grundproblem bleibt bestehen. Ein Rückgriff auf die Risikoerhöhungslehre scheidet gleichfalls aus,[30] da der Rekurs auf die durch die Stimmabgabe bewirkte Risikoerhöhung die Bejahung eines Kausalzusammenhanges voraussetzt. Anders wäre es, wenn man auf das Erfordernis der Kausalität komplett verzichtet und allein die durch das Positivvotum herbeigeführte Risikoerhöhung die Zurechnung tragen soll; dies läuft freilich de facto auf bloße Verdachtsstrafen hinaus, so dass die generell gegen die Risikoerhöhungslehre sprechenden Kritikpunkte wie die Aushöhlung des in dubio pro reo Grundsatzes sowie die Uminterpretation von Verletzungs- in Gefährdungsdelikte nur umso stärkeres Gewicht bekommen.
36
Vor diesem Hintergrund spricht einiges dafür, auf § 25 Abs. 2 StGB zurückzugreifen und jedem der Zustimmenden die Stimme der anderen zuzurechnen; Kausalität ist dann zwischen der durch das solide Mehrheitsvotum begründeten Gesamttat und dem Taterfolg gegeben.[31] Dem Gebot individueller Zurechnung wird dadurch Rechnung getragen, dass an die in dem soliden Mehrheitsvotum enthaltene einzelne Stimmabgabe angeknüpft wird. Akzeptiert man ferner die Figur einer fahrlässigen Mittäterschaft,[32] kann die Vorschrift auf Vorsatz- wie auf Fahrlässigkeitstaten angewendet werden. Dennoch wird kritisiert, der Rekurs auf § 25 Abs. 2 StGB enthalte einen Zirkelschluss, da Mittäterschaft die Erbringung eines kausalen Tatbeitrages voraussetze und diese Kausalität gerade zweifelhaft sei.[33] Die Kausalität muss aber allein, und dies verkennt gerade der Einwand, zwischen der durch das solide Mehrheitsvotum begründeten Gesamttat und dem Erfolg, nicht aber zwischen der in der Gesamttat enthaltenen Einzelstimme und dem Erfolg bestehen.[34] Denn die eigentliche Pointe der Mittäterschaft liegt darin, dass die Beteiligten die Tat „gemeinschaftlich“ begehen und ihre Tatbeiträge in jene „Gesamttat“ eingehen, die ihnen in toto zugerechnet wird. Eine Besonderheit bei Gremienentscheidungen besteht freilich: Die beiden für eine Mittäterschaft zentralen Voraussetzungen – die gemeinsame Tatausführung und der gemeinsame Tatplan – fallen im Akt des Beschließens zusammen, was aber nicht entscheidend gegen die Konstruktion spricht.[35] Die Kausalität des Einzelbeitrages ist dabei aus einer ex ante-Perspektive zu bestimmen: Auf der Grundlage des gemeinsamen Tatentschlusses muss der Beitrag für das Gelingen der Tat prospektiv von zentraler Bedeutung sein.[36] Selbst wenn sich im Nachhinein herausstellt, dass es angesichts der soliden Stimmenmehrheit gar nicht auf die Einzelstimme ankam, war jedenfalls im Zeitpunkt der Abstimmung die abgegebene Stimme für das Gelingen der Tat wesentlich. Über § 25 Abs. 2 StGB wird schließlich auch keine Kausalität Unbeteiligter begründet, indem im Anschluss an die Behauptung der Mittäterschaft eine Zurechnung der Kausalbeiträge der anderen sein Kausalwerden begründen sollen.[37] Denn die Zurechnung darf von vornherein nur auf der Grundlage eines gemeinsamen Tatplanes stattfinden.[38]
d) Geheime Stimmabgabe
37
Ein Sonderproblem ergibt sich bei geheimen Abstimmungen, indem die Anwendung des § 25 Abs. 2 StGB im Hinblick auf das Erfordernis eines gemeinsamen Tatplanes zweifelhaft wird. Ohne die Möglichkeit zur Kommunikation bestehe – so das Argument – kein gemeinsamer Tatplan, der der eigentlichen Tatausführung in Gestalt der Beschlussfassung vorausgehe.[39] Ein solches Vorausgehen wird im Regelfall der Mittäterschaft zwar anzunehmen sein, es ist für deren Annahme aber keineswegs konstitutiv.[40] Dass die Dogmatik der Mittäterschaft wesentlich offener ist, wird belegt durch die zumindest vor Tatvollendung nach allgemeiner Ansicht bestehende Möglichkeit einer sukzessiven Mittäterschaft, die man sich in vielen Fällen auch nicht als Ergebnis eines vorab verbalisierten Tatplanes vorzustellen hat.[41] Dann aber ist es unproblematisch, wenn Tatplan und -ausführung im Akt der geheimen Stimmabgabe zusammenfallen.[42] Für die hier relevante Problematik kann von einem gemeinsamen Tatplan jedenfalls in der Form ausgegangen werden, als allen Abstimmenden bewusst ist, bei ausreichender Mehrheit „gemeinschaftlich“ (vgl. § 25 Abs. 2 StGB) eine entsprechende und in der Folge auch umgesetzte Entscheidung herbeizuführen.[43]
38
Diese Grundsätze gelten jedoch nur bei einem einhelligen Positivvotum. Fehlt es hieran, ist in dubio pro reo davon auszugehen, dass jeder potentielle Zurechnungsadressat eine Gegenstimme abgegeben hat.[44] Dies mag insbesondere unbefriedigend sein, wenn Gegenstimmen gezielt zur Verschleierung eines positiven Gesamtvotums eingesetzt werden oder es zu konspirativ abgestimmten Verhaltensweisen kommt, kann aber an der grundsätzlichen Geltung des Zweifelssatzes nichts ändern.
e) Gegenstimme
39
Soweit ein Mitglied des Kollegialorgans erfolglos gegen eine auf rechtswidriges Verhalten abzielende Beschlussvorlage stimmt, ist ihm der Beschluss nicht zuzurechnen, da alles andere auf eine mit dem Konzept von Schuld und Vorwerfbarkeit unvereinbare Kollektivzurechnung hinausliefe.[45] Die Haftung kann insbesondere nicht auf die Mitwirkung an der Abstimmung selbst sowie die damit herbeigeführte Beschlussfähigkeit des Gremiums gestützt werden (siehe Rn. 25 ff.). In diesem Sinne argumentierte in der Vergangenheit allerdings das OLG Stuttgart:
[OLG Stuttgart MDR 1981, 163, 164]
„(...) denn für Kollektiventscheidungen ist kennzeichnend, dass im Zweifel – also unter Berücksichtigung des Grundsatzes von in dubio pro reo – die Einzelstimme sich immer wegdenken ließe, ohne dass der Erfolg entfiele. Doch würde damit wiederum das Wesen der Kollektiventscheidung verfehlt; denn bei diesem Entscheidungsverfahren begibt sich der einzelne in der Regel gerade der Möglichkeit, dass seine Stimme allein etwas bewirkt: Er will zwar mitentscheiden, sich jedoch gegebenenfalls der Mehrheitsentscheidung unterwerfen“.[46]
40
Stellt man richtigerweise allein auf das Abstimmungsverhalten ab, wird deutlich, dass der Negativvotierende den Boden der Mittäterschaft verlässt oder gar nicht erst betritt, weshalb eine auf ihn bezogene Zurechnung des rechtswidrigen Beschlusses als Gesamttat ausscheidet: Es fehlt sowohl an einem gemeinsamen Tatplan als auch an einer gemeinsamen Tatausführung, weil die Gegenstimme die Nichtidentifizierung des Betreffenden mit der Gesamttat deutlich macht.[47]
41
Ist der Erfolg dem Negativvotierenden unter Referenz auf die Abstimmung nicht zurechenbar, gilt anderes für die Frage, ob ein Verhalten jenseits des Beschlusses einen Anknüpfungspunkt für eine strafrechtliche Haftung bildet.[48] Ist dies der Fall, kann auch ihm der Erfolg zugerechnet werden, jedoch eben nicht aufgrund der Teilnahme an der Abstimmung, sondern wegen eines anderen Verhaltens, das insbesondere im Falle eines Unterlassens in der Verletzung einer Erfolgsabwendungspflicht bestehen kann. Es reicht daher nicht aus, in dem Kollegialorgan lediglich eine Gegenstimme abzugeben, um sich auf diese Weise von jedweder mittäterschaftlichen Haftung zu dispensieren. Stattdessen muss der Betreffende entsprechend den in BGHSt 37, 106 ff. aufgestellten Grundsätzen alles ihm Mögliche und Zumutbare tun, um den tatbestandlichen Erfolg abzuwenden, was konkret auf eine Gegenvorstellung und Information des Aufsichtsrates hinauslaufen kann. Die Frage, ob über die gesellschaftsrechtlichen Maßnahmen hinaus weitere Schritte ergriffen werden müssen – etwa die Stellung einer Strafanzeige oder die Information der Öffentlichkeit – ist zu verneinen.[49] Aus Verteidigungssicht kommt es darauf an, deutlich zu machen, wo die rechtlichen Grenzen einer auf die Verhinderung von Straftaten und Ordnungswidrigkeiten bezogenen Pflicht verlaufen, zumal jede darüber hinausgehende