Einführung in das Verfassungsrecht der USA. Guy Beaucamp
Branum, Journal of Legislation 28 (2002), 1, 5 u. 19.
B. Zentrale Institutionen der US-amerikanischen Verfassung › I. Der Präsident › 3. Das Amtsenthebungsverfahren
3. Das Amtsenthebungsverfahren
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Schwache Parallelen lassen sich beim Amtsenthebungsverfahren, im US-Verfassungsrecht als impeachment bezeichnet, feststellen. Beiden Präsidenten kann dieses drohen (Art. 61 GG bzw. Art. I, section 2 cl. 5, section 3 cl. 6, 7, Art. II, section 4 USC), wenn sie das Recht brechen, nicht aber aus rein politischen Gründen[1]. Die amerikanische Verfassung ist weiter gefasst und erlaubt ein Amtsenthebungsverfahren auch bei Fehlverhalten (misdemeanor), also etwa einer Falschaussage[2]. Während die deutsche Verfassungsnorm nie praktisch angewandt wurde[3], das Bundesverfassungsgericht also nie mit einer Präsidentenanklage befasst war, hat es vier ernsthafte Versuche der Amtsenthebung in den USA gegeben und zwar gegen die Präsidenten Andrew Johnson (1868), Richard Nixon (1974), William Clinton (1998) und Donald Trump (2020)[4]. In solchen Verfahren fungiert das Repräsentantenhaus als Ankläger (Art. I, section 2 cl. 5 USC). Für die Anklageentscheidung reicht bereits eine einfache Mehrheit aus. Der Senat arbeitet dann als Gericht unter der Leitung des obersten Richters (Art. I, section 3 cl. 6 USC). Zu einer Amtsenthebung kommt es aber nur, wenn Zwei-Drittel der Senatorinnen und Senatoren dafür stimmen. Diese qualifizierte Mehrheit wurde in den Fällen Johnson, Clinton und Trump nicht erreicht. Im Fall Nixon kam ein Rücktritt der Entscheidung im Senat zuvor[5].
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Wenn sich ein US-Präsident keines gravierenden Fehlverhaltens schuldig macht, kann er vom Parlament nicht aus dem Amt gedrängt werden, er braucht – da selbst direkt gewählt – als Regierungschef das Vertrauen des Parlaments nicht[6]. Deshalb lässt sich die US-Verfassung als Präsidialsystem charakterisieren[7]. Die deutsche Regierungsspitze – Bundeskanzlerin oder -kanzler – ist dagegen von ihrer parlamentarischen Mehrheit abhängig. Verliert sie diese, so kann der Bundestag nach Art. 67 GG einen neuen Kanzler bzw. eine neue Kanzlerin wählen. Weil das Parlament die Möglichkeit hat, die Regierung zu stürzen, wird das deutsche System als parlamentarische Demokratie eingeordnet[8].
Anmerkungen
Currie, S. 6; Levinson, S. 115; bzw. Jarass/Pieroth, Art. 61, Rn. 2; Nierhaus, in: Sachs, Art. 61, Rn. 8.
Brooks auf https://foreignpolicy.com/2017/01/30/3-ways-to-get-rid-of-president-trump-before-2020-impeach-25th-coup/; Brugger, S. 91.
Jarass/Pieroth, Art. 61, Rn. 1.
Einzelheiten zum letztgenannten Verfahren bei en.wikipedia.org/wiki/Impeachment_of_Donald_Trump.
Currie, S. 6.
Levinson, S. 116 f.; Heringa, S. 26.
Kommers, German Law Journal 20 (2019), 524, 526; Heringa, S. 26 u. 34.
Heringa, S. 26 f., 34 u. 171; Kommers, German Law Journal 20 (2019), 524, 526.
B. Zentrale Institutionen der US-amerikanischen Verfassung › I. Der Präsident › 4. Der Vizepräsident
4. Der Vizepräsident
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Die großen Unterschiede zwischen den Präsidentenämtern in Deutschland und den USA werden an der Figur des Vizepräsidenten besonders deutlich.
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Der Vizepräsident wird in den USA mit dem Präsidenten zusammen vom Volk gewählt. Die Verfassung widmet ihm eine Reihe von Vorschriften etwa Art. I, section 3, cl. 4, Art. II, section 1, cl. 1 und cl. 6, 25th amendment USC. Das Grundgesetz sieht einen Vizepräsidenten schlicht nicht vor. Wird ein Bundespräsident seines Amtes enthoben (Art. 61 GG), erkrankt, tritt zurück oder stirbt, vertritt ihn der Präsident des Bundesrates (Art. 57 GG). Angesichts der geschilderten geringen Bedeutung des Bundespräsidenten für das Funktionieren des Staates sind genauere Regelungen nicht nötig. Dies sieht beim US-Präsidenten anders aus. Selbst kurzzeitig wäre es fatal, wenn die Armee keinen Befehlshaber – man denke nur an die Entscheidung über den Einsatz von Atomwaffen – und die Regierung keine Führung hätte. Deshalb übernimmt der Vizepräsident nach 25th amendment, section 1 USC die Aufgaben des Präsidenten in den Todes- oder Rücktrittsfällen sowie nach erfolgreicher Amtsenthebung. Eine solche Situation ist in der US-Geschichte mehrfach aufgetreten, z.B. nach den Attentaten auf Abraham Lincoln und John F. Kennedy sowie dem Rücktritt von Richard Nixon.
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Sollte der Vizepräsident vorzeitig ausfallen, sorgt der Präsident mit Zustimmung beider Kammern für Ersatz (25th amendment, section 2 USC). Im Fall einer vorübergehenden Erkrankung kann die Amtsmacht auf schriftlichen Wunsch des Präsidenten hin – ebenfalls vorübergehend – auf den Vizepräsidenten übertragen werden, der dann als „Acting President“ bezeichnet wird (25th amendment, section 3 USC)[1].
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Die letzte Regelung im 25. Verfassungszusatz ermöglicht dem Vizepräsidenten sogar eine Palastrevolution, obwohl dieses Verfahren noch nie praktisch angewandt wurde[2]. Ist der Präsident z.B. bewusstlos, verschollen oder geistesgestört, sodass die kurzfristige Übertragung der Amtsgeschäfte nach 25th amendment, section 3 USC, keine Lösung bietet, erlaubt 25th amendment, section 4 USC es dem Vizepräsidenten, die Amtsgeschäfte zu übernehmen, wenn die Mehrheit der Kabinettsmitglieder einem solchen Vorgehen schriftlich gegenüber dem Sprecher des Repräsentantenhauses und dem zeitweiligen Vorsitzenden des Senats zustimmt. Ein solcher Präsidentensturz erscheint indes sehr unwahrscheinlich, da der Präsident und nicht der Vizepräsident die Kabinettsmitglieder aussucht.[3] Sollte der Präsident befürchten, vom Vizepräsidenten und einer Kabinettsmehrheit gestürzt zu werden, hat er im Vorfeld noch die Möglichkeit, ihm unzuverlässig erscheinende Ministerinnen und Minister zu entlassen, so dass dem Vizepräsidenten die Mehrheit für sein Vorhaben abhandenkommt. Außerdem kann der Präsident seine Amtsunfähigkeit bestreiten. Tut er dies schriftlich muss der Vizepräsident erneut eine Kabinettsmehrheit hinter sich bringen. Gelingt ihm dies ein zweites Mal, entscheiden die beiden Parlamentskammern über die Sache (25th amendment, section 4 USC). Der Präsident gewinnt, wenn nicht eine Zwei-Drittel-Mehrheit in Senat und Repräsentantenhaus mit dem Vizepräsidenten der Meinung ist, eine Amtsunfähigkeit liege vor.
Anmerkungen