Einführung in das Verfassungsrecht der USA. Guy Beaucamp
dass der Präsident keine Handlungsmöglichkeiten haben solle[10]. Vielmehr sei aus den Regelungen über die Präsidentschaft und aus historischen Argumenten[11] abzuleiten, dass Präsidenten in Krisensituationen auch ohne parlamentarische Ermächtigung handeln dürften[12]. So stelle sich auch die Verfassungspraxis sowie eine Reihe von Präzedenzfällen dar; Beschlagnahmen durch Präsidenten in Kriegszeiten seien bislang durchgehend gebilligt worden[13]. Präsident Truman habe den Kongress überdies rechtzeitig über die Zwangsverwaltung der Stahlbetriebe informiert, der aber keine (gesetzlichen) Gegenmaßnahmen für nötig gehalten habe[14].
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Von den sechs Richtern, die von der Verfassungswidrigkeit der Zwangsverwaltung überzeugt waren, wurden sehr unterschiedliche Begründungen vorgelegt. Zunächst wurde eine Ermächtigung des Präsidenten aus seiner Funktion als Oberbefehlshaber abgelehnt, weil es nicht direkt um die Streitkräfte, sondern um einen arbeitsrechtlichen – und damit einen innenpolitischen – Konflikt ging, der nur indirekt Folgen für die Streitkräfte hatte[15]. Aber auch die sonstigen exekutiven Befugnisse des Präsidenten wurden nicht als ausreichende Ermächtigung angesehen, weil es hier um Gesetzgebung gehe – wie andere Gesetze über die Zulässigkeit von Enteignungen zeigten[16] – und dies die Aufgabe des Kongresses darstelle[17]. Der Wortlaut der Verfassung (Art. I, section 1 USC) ordne alle gesetzgeberischen Befugnisse dem Parlament zu; Art. I, section 8, cl. 18 USC bekräftige diese Gesetzgebungsaufgabe des Parlaments[18]. Justice Douglas ergänzt diese Überlegungen mit einem systematischen Argument[19]: Die Zwangsverwaltung der Stahlunternehmen stelle ein zeitweise Enteignung dar, die nach dem 5. Zusatzartikel entschädigungspflichtig sei. Weil der Präsident allein, d.h. am Kongress vorbei, überhaupt keine finanziellen Leistungen bewilligen dürfe, seien ihm Enteignungen untersagt, da diese ohne gleichzeitige Entschädigung verfassungswidrig seien.
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Eine vermittelnde Lösung bildet drei unterschiedliche Modelle[20]:
– | Handelt der Präsident mit gesetzlicher Ermächtigung, ist seine Macht am stärksten und die gerichtliche Kontrolle muss sehr zurückhaltend ausfallen. |
– | Fehlt ein Gesetz, kann sich der Präsident nur auf seine eigenen Befugnisse stützen. Hier gibt es Raum für Zweifel, ob die Legislative oder die Exekutive zuständig ist. Je nach Situation und Problematik kann ein Handeln des Präsidenten hier zulässig oder unzulässig sein. |
– | Wendet sich der Präsident gegen den ausdrücklichen oder konkludent erkennbaren Willen des Parlaments, hat er die geringsten Handlungsmöglichkeiten. Hier ist eine sorgfältige gerichtliche Kontrolle angebracht, um die Rechte des Parlaments zu wahren. |
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Der Zwangsverwaltungsfall wird dann in die letztgenannte Kategorie eingeordnet und als verfassungsrechtlich unzulässig bewertet[21]. Aus deutscher Perspektive ist es erstaunlich, dass die dritte Kategorie überhaupt existiert, dass es also als grundsätzlich möglich betrachtet wird, dass ein Exekutivorgan sich gegen den Willen der Legislative stellt.
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Justice Frankfurter bringt eine weitere, ganz anders strukturierte Begründung für die Verfassungswidrigkeit[22]: Wenn es keine textlich eindeutige Kompetenzverteilung gebe, müsse nach einer langjährigen Verfassungspraxis gefahndet werden. Wenn diese zugunsten des Präsidenten nachweisbar sei, seien seine Anordnungen verfassungsrechtlich zulässig. Diese ständige Verfassungspraxis existiere indes für die Anordnung von Zwangsverwaltungen nicht[23].
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David Currie leitet aus der geschilderten Entscheidung ab, dass der Präsident nicht gegen das Gesetz handeln dürfe und dass er im Allgemeinen eine gesetzliche Grundlage für sein Handeln benötige[24]. So eindeutig ist der Steel-Seizure-Case jedoch nicht. Sowohl die abweichende Meinung als auch eine Reihe von Richtern der Mehrheitsmeinung lassen dem Präsidenten zumindest Notfallbefugnisse, wenn nicht sogar noch mehr Legislativmacht. Es fehlt ferner eine klare Aussage darüber, wo die Notfallkompetenz des Präsidenten endet[25].
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Erica Newland hat über 150 Entscheidungen US-amerikanischer Gerichte, die sich auf präsidentielle Verfügungen beziehen, im Detail analysiert[26]. Sie stellt zusammenfassend fest, dass die Gerichte die Rechtssetzung durch executive orders des Präsidenten auf Kosten der Rechtssetzungskompetenzen des Kongresses in verschiedener Hinsicht gestärkt haben[27].
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So wurde es als verfassungsrechtlich zulässig bewertet, dass ein späteres Parlamentsgesetz eine vorausgehende Durchführungsanordnung des Präsidenten nachträglich legitimierte[28]. Fehlt eine ausdrückliche gesetzliche Ermächtigung oder nachträgliche Billigung des Kongresses, wird die Finanzierung einer präsidentiellen Verfügung als konkludente Zustimmung angesehen[29]. Selbst das Schweigen des Parlaments in Kenntnis einer Durchführungsanordnung des Präsidenten wird bisweilen als Zustimmung gedeutet[30]. Die letztgenannte Variante ist besonders dann bedenklich, wenn, wie im Bereich der nationalen Sicherheit üblich, eine Durchführungsanordnung zwar grundsätzlich bekannt ist, die Details ihrer Nutzung aber gerade geheim gehalten werden[31].
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Wenn Durchführungsanordnungen des Präsidenten und Bundesgesetze in Konflikt geraten, wäre die Erwartung, dass sich die gesetzliche Regelung durchsetzt. Entscheidungen in diese Richtung gibt es auch. So hob ein Berufungsgericht eine präsidentielle Verfügung auf[32], die Bundesbehörden verbot, Verträge mit Unternehmen abzuschließen, die rechtmäßig streikende Arbeitnehmer dauerhaft ersetzten; denn diese Ersetzungsbefugnis war im National Labor Relations Act vorgesehen[33].
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Es gibt jedoch ebenfalls Entscheidungen, die beide Rechtsakte auf eine Ebene stellen und einen möglichst harmonischen Ausgleich zwischen ihnen anstreben[34]. Der Durchführungsanordnung wird so der gleiche Rang wie einem Bundesgesetz gegeben[35]. Auch im Verhältnis zu Gesetzen der Bundesstaaten sollen präsidentielle Durchführungsanordnungen stärker sein[36]. Hier wird die supremacy clause des Art. VI, section 2 USC herangezogen, die allerdings von verfassungsgemäß zustande gekommenen Gesetzen spricht, nicht von Verfügungen des Präsidenten.
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In einer weiteren Entscheidung wird die Rückwirkung einer präsidentiellen Verfügung dadurch gerechtfertigt, dass dies die Absicht des Präsidenten gewesen sei[37]; ungeklärt bleibt, ob das Gesetz, welches zu Durchführungsanordnungen ermächtigte, ebenfalls eine Rückwirkung zugelassen hätte[38]. Solche Judikate drängen die Rechtssetzungsmacht des Kongresses zurück[39].
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Diese Entscheidungen überraschen auch deshalb, weil es ansonsten unumstritten ist, dass Gesetze nur vom Kongress und nicht vom Präsidenten aufgehoben oder geändert werden dürfen[40]. Die Gewaltenteilung wäre nach Auffassung des Supreme Court schwer gefährdet, wenn der Präsident allein Gesetze aufheben dürfte[41]. Der Präsident darf ferner die Ausführung eines Gesetzes nicht verweigern. Denn er hatte vorher die Möglichkeit, durch sein Veto das Gesetz zu verhindern, deshalb wäre die nachträgliche Nichtbefolgung ein Widerspruch zur Systematik der US-Verfassung[42]. Hinzu kommt, dass es Fälle geben kann, in denen der Kongress ein Gesetz beschlossen hat, um die Befugnisse des Präsidenten in einem bestimmten Sektor einzuschränken. Könnte der Präsident dieses Gesetz missachten, wäre die Gewaltenteilung unterminiert[43].
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Executive orders werden auch für die Interpretation von Gesetzen herangezogen, obwohl die Urheber verschieden sind; so hat es der Präsident in der Hand, durch den Erlass von Verfügungen die Anwendung eines unklar formulierten Gesetzes in seinem Sinne zu steuern[44].
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Ein letztes Problem der präsidentiellen Durchführungsanordnungen besteht in der Bindungswirkung für Bürgerinnen und Bürger und den Präsidenten selbst. Hier gilt, dass