Handbuch des Strafrechts. Manuel Ladiges
Zur verfassungsrechtlichen Bedeutung sog. „additiver Grundrechtseingriffe“, denen das BVerfG zu Recht ein erhöhtes Gefährdungspotential mit Blick auf die Freiheitsrechte zuschreibt, vgl. BVerfGE 112, 304, 319 f.; 123, 186, 265 f.; 130, 372, 392; 141, 220, 280 f.; Broß, HFR 2009, 1, 18; Lücke, DVBl 2001, 1469 ff.; monographisch Heu, Kulminierende Grundrechtseingriffe; Ruschemeier, Der additive Grundrechtseingriff, 2019.
Vgl. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Rn. 72 und 317 f.; zur Bedeutung des Topos für das Straf- und Strafprozessrecht vgl. Perron, Hanack-FS, S. 473, 481.
Ausf. dazu bereits Lindemann, in: Kempf/Lüderssen/Volk (Hrsg.), Gemeinwohl im Wirtschaftsstrafrecht, 2013, S. 279, 288 ff. Die in Rede stehende Tendenz scheint kein nationales Phänomen zu sein; vgl. etwa zu ähnlichen Entwicklungen in den Niederlanden Kuiper, Vormfouten. Juridische consequenties van vormverzuimen in strafzaken, 2014. Eine Abwägung der Beschuldigteninteressen mit dem „Gewicht des öffentlichen Interesses an der Verfolgung der konkreten Straftat und der Bestrafung des Täters“ findet im Übrigen auch in der Rechtsprechung des EGMR statt; vgl. EGMR StV 2006, 617, 621 – Jalloh/Deutschland.
Vgl. BVerfGE 33, 367, 383. Der Zweite Senat bemühte das Postulat der Aufrechterhaltung einer funktionstüchtigen Strafrechtspflege, um zu begründen, dass die Einräumung von Aussageverweigerungsbefugnissen aus beruflichen Gründen der besonderen Legitimation bedarf (a.a.O., 383). Verfahrensgegenständlich war eine Vorlage des AG Lüneburg gem. Art. 100 Abs. 1 GG, welche die Nichteinbeziehung von Sozialarbeitern in § 53 Abs. 1 Nr. 3 StPO betraf. Nach Ansicht der Senatsmehrheit existieren keine verfassungsrechtlich zwingenden Gründe, die es gebieten, den Anwendungsbereich der Norm auf Sozialarbeiter zu erstrecken (a.a.O., 376 ff.).
Zur Rezeption der Funktionstüchtigkeitsformel in der Senats- und Kammerrechtsprechung des BVerfG vgl. zunächst BVerfGE 38, 312, 320 f.; 39, 156, 163; 41, 246, 250; 47, 239, 250; 64, 108, 116; 77, 65, 76; 80, 367, 375; NJW 1994, 573; aus der jüngeren Vergangenheit sodann BVerfGE 122, 248, 272 f.; 129, 208, 256; 130, 1, 26; 133, 168, 199; BVerfG NJW 2009, 3225; NJW 2010, 287; NJW 2010, 592, 593; NJW 2010, 925; NJW 2010, 2937, 2938; NJW 2011, 2417, 2419; NJW 2012, 907, 909; NJW 2015, 1083, 1084; NJW 2019, 584, 587; NJW 2019, 2837, 2840. Für eine „Wiedergeburt“ des Funktionstüchtigkeitstopos hatte sich zuvor Landau, NStZ 2007, 121 ausgesprochen, in dessen Berichterstatterzuständigkeit am BVerfG straf- und strafverfahrensrechtliche Fragen fielen. S.a. ders., NStZ 2011, 537, 544 ff. Zuletzt war z.T. unter Bezugnahme auf die vorstehenden Zitate etwas nüchterner, aber ohne Änderung in der Sache von der „verfassungsrechtlich gebotene(n) Effektivität der Strafverfolgung“ die Rede (vgl. BVerfG NJW 2018, 2385, 2388).
Keinen Bedenken begegnet es, wenn die Funktionstüchtigkeitsformel als Chiffre für die aus der Justizgewährleistungspflicht abzuleitende Staatsaufgabe (vgl. BVerfGE 107, 104, 118 f.; 113, 29, 54) der Sicherung des Rechtsfriedens mit den Mitteln der Strafrechtspflege verwendet wird. Die verfassungsrechtliche Verankerung dieser Aufgabe rechtfertigt beispielsweise den immensen Aufwand, der in vielen Umfangssachen aus den Bereichen des Wirtschafts- und des Terrorismusstrafrechts getrieben werden muss. Vgl. zum Vorstehenden Lindemann, in: Kempf/Lüderssen/Volk (Hrsg.), Gemeinwohl im Wirtschaftsstrafrecht, 2013, S. 279, 296 f.; Niemöller/Schuppert, AöR 107 (1982), 387, 395; Rieß, StraFo 2000, 364, 366 f.
„Rational überprüfbare Bewertungskriterien“ vermissend Grünwald, JZ 1976, 767, 773; s.a. ders., StV 1987, 453, 457; Kühne, GA 2008, 361, 368.
Vgl. Dallmeyer, HRRS 2009, 429, 433; Hassemer, StV 1982, 275, 277. Dezidiert gegen die Vereinnahmung des Rechtsstaatsprinzips für die Beschränkung von Beschuldigtenrechten auch Albrecht, NJ 1994, 396, 397; Grünwald, JZ 1976, 767, 772 f.; ders., StV 1987, 453, 457.
Ebenso Dallmeyer, HRRS 2009, 429, 433; Grünwald, StV 1987, 453, 457; Hassemer, StV 1982, 275, 277; Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, § 1 Rn. 7; zurückhaltender MK-StPO-Kudlich, Einl. Rn. 87 ff.; Heyde/Starck-Nehm, S. 173, 181 (bloßer „Hilfsbegriff“).
Vgl. Beulke/Swoboda, Strafprozessrecht, Rn. 457; Meyer-Goßner/Schmitt, Einl. Rn. 55a; Volk/Engländer, Grundkurs StPO, § 28 Rn. 4; s.a. Möstl, HStR BD. VIII, § 179 Rn. 35.
BGHSt 44, 243, 249; 47, 172, 179; 51, 285, 290; 52, 110, 116; 54, 69, 87; 56, 127, 132; BGH NStZ 2007, 601, 602 f.; zur Kritik vgl. Wolter, 50 Jahre BGH-FG, Bd. 4, S. 963, 986 ff.
Vgl. BVerfGE 130, 1, 25 ff.; BVerfG NJW 2009, 3225; NJW 2011, 2417, 2418 f.
BVerfGE 130, 1, 28; BVerfG NJW 2009, 3225; NJW 2011, 2417, 2419; NJW 2012, 907, 910; NJW 2018, 2385, 2388 und 2389; ähnlich BGHSt 56, 127, 132; dagegen zu Recht krit. Dallmeyer, HRRS 2009, 429, 430 f.; Gusy, Paeffgen-FS, S. 407, 414 ff.
Vgl. BVerfGE 96, 27, 40; 104, 65, 73; 107, 395, 414; Bethge, in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge, BVerfGG, § 90 Rn. 377; s. zum (durchaus spannungsreichen) Verhältnis von Strafgerichtsbarkeit und BVerfG auch Möstl, HStR Bd. VIII, § 179 Rn. 51.
Vgl. BVerfGE 100, 289, 304 f.; zu den Grenzen verfassungskonformer Auslegung BVerfGE 118, 212, 234 m.w.N.
Das BVerfG fügt dem in § 90 Abs. 2 S. 1 BVerfGG ausdrücklich normierten Gebot der Rechtswegerschöpfung einen (umfassenderen) Subsidiaritätsgrundsatz hinzu, der voraussetzt, dass der Beschwerdeführer „alle ihm zur Verfügung stehenden prozessualen Möglichkeiten ergreift, um eine Korrektur der geltend gemachten Verfassungsverletzung zu erwirken oder eine Grundrechtsverletzung zu verhindern“ (BVerfGE 115, 81, 91 f. unter Bezugnahme auf BVerfGE 74, 102, 113; 104, 65, 70; ausf. dazu Bethge, in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge, BVerfGG, § 90 Rn. 401 ff.).
Vgl. Jahn et al. (Hrsg.), Die Verfassungsbeschwerde in Strafsachen; MK-StPO-Kudlich, Einl. Rn. 101 ff.
Vgl. MK-StPO-Kudlich, Einl. Rn. 53; Möstl, HStR Bd. VIII, § 179 Rn. 72.