Insolvenzstrafrecht. Gerhard Dannecker
strafprozessuales Verwertungsverbot für Aufzeichnungen besteht, die vom Beschuldigten oder in seinem Unternehmen über prozessrelevante Daten angefertigt wurden. Wohl unstreitig ist der Fall, in dem diese Aufzeichnungen freiwillig, das heißt ohne entsprechende gesetzliche Verpflichtung, gemacht wurden; in dieser Konstellation besteht kein Selbstbezichtigungszwang, folglich bleiben die Aufzeichnungen für den Prozess verwertbar.[48] Dies ist auch dann der Fall, wenn der Schuldner eine inhaltsgleiche Auskunft erteilt.[49] Schwieriger gestaltet sich der Fall, in dem die zu verwertenden Unterlagen aufgrund gesetzlicher Verpflichtung erstellt worden sind.[50] Diese Unterlagen enthalten Erkenntnisse, die der Schuldner dem Berechtigten auch im Wege einer Auskunft mitteilen könnte, und grds. dürfen solche Erkenntnisse, die auf einer Auskunft des Schuldners beruhen, nicht verwendet werden. Allerdings soll eine Verwendung dann möglich sein, wenn die entsprechenden Informationen durch die Sichtung der Aufzeichnungen gewonnen wurden;[51] die Vorlage von Geschäftsunterlagen sei kein Teil der Erfüllung der Auskunftspflicht des Schuldners nach § 97 Abs. 1 InsO, sondern stelle vielmehr eine Mitwirkungspflicht im Rahmen des Insolvenzverfahrens dar.[52] Auch gehe aus der Entstehungsgeschichte des § 97 Abs. 1 S. 3 InsO hervor, dass vom Verwertungsverbot lediglich die nach § 97 Abs. 1 S. 1 InsO im Rahmen des Insolvenzverfahrens erzwingbaren Auskünfte erfasst werden, nicht aber bereits existierende Unterlagen oder Aufzeichnungen.[53] Die Plausibilität der Unterscheidung danach, ob die interessierenden Unterlagen bereits vorhanden waren oder erst auf Verlangen des Insolvenzverwalters erstellt wurden, erscheint allerdings eher zweifelhaft.[54]
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Die Einführung von aus Angaben des Schuldners gem. § 97 Abs. 1 InsO gewonnenen Erkenntnissen in die Hauptverhandlung soll nach wohl überwiegender Ansicht[55] jedenfalls dann kein Verwertungsverbot auslösen, wenn dieselben Erkenntnisse in rechtlich zulässiger Weise hätten gewonnen werden können (so genannter hypothetischer Ersatzeingriff).[56] Dem Gesetz selbst kann diese Einschränkung jedoch nicht entnommen werden.
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Die in der Praxis vorkommende Konstellation, dass der Insolvenzverwalter zunächst eine Auskunft durch den Schuldner erlangt und sich dann durch die Lektüre der Unterlagen vergewissert, soll dahingehend gelöst werden, dass zwar die Auskunft des Schuldners nicht verwendbar sein soll, wohl aber die sich aus den Unterlagen ergebenden Erkenntnisse.[57] Begründet wird dies zum einen damit, dass die Vorlage von Geschäftsunterlagen kein Teil der Erfüllung der Auskunftspflichten, die in aller Regel mündlich erfolge, sei[58] und zum anderen dem Schuldner nicht die Möglichkeit eröffnet werden solle, durch eine besonders umfangreiche Auskunftserteilung auch die Verwendung inhaltsgleicher Unterlagen zu verhindern.[59] Ein weiteres Problem wird darin gesehen, dass die Staatsanwaltschaft in ihren Ermittlungen auf die Insolvenzakte zugreifen kann; vereinzelt wird gefordert, dass nach § 97 Abs. 1 InsO „erzwungene“ Auskünfte des Schuldners aus der Insolvenzakte zu entfernen seien, um dem nemo-tenetur-Grundsatz Rechnung zu tragen.[60] Dies wird jedoch mangels Vorliegens einer entsprechenden strafprozessualen Regelung abgelehnt.[61]
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Ebenfalls unter das Verwendungsverbot des § 97 Abs. 1 S. 3 InsO fallen Erkenntnisse, die dem Insolvenzverwalter aus der Kontrolle der Post nach § 99 InsO (so genannte Postsperre),[62] die sich auch auf die Verteidigerpost eines in U-Haft befindlichen Schuldners erstrecken kann, bekannt werden.[63]
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Umstritten ist die Frage, inwiefern Aussagen, die der Schuldner gegenüber einem vom Gericht im Eröffnungsverfahren bestellten Gutachter getätigt hat, einem Beweisverwendungsverbot unterfallen. Bei rein formaler Betrachtung handelt es sich bei einem Gutachter nicht um eine der in § 97 Abs. 1 S. 1 InsO genannten Personen.[64] In teleologischer Hinsicht wird der Schuldner aber zumeist einem mittelbaren Zwang unterliegen, da der Gutachter bei verweigerter Auskunft alsbald durch einen Insolvenzverwalter ersetzt werden würde, demgegenüber der Schuldner dann auskunftspflichtig ist. Daher liegt eine Erstreckung des Verwerndungsverbotes nahe.[65]
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Das Schweigen des Schuldners im Insolvenzverfahren fällt nicht unter das Verwertungsverbot des § 97 Abs. 1 S. 3 InsO, es kann daher unproblematisch zu dessen Lasten verwendet werden.[66]
Ob Auskünfte des Schuldners zu dessen Gunsten verwertet werden können, ist umstritten. Weder aus dem Wortlaut des § 97 Abs. 1 S. 3 InsO noch aus der Gesetzesbegründung ergeben sich Anhaltspunkte für eine mögliche Verwertung der Auskünfte zugunsten des Schuldners. Bei teleologischer Auslegung, die sich am Zweck des § 97 Abs. 1 S. 3 InsO als Ausprägung des nemo-tenetur-Grundsatzes orientiert, müssen allerdings für den Schuldner günstige Auskünfte im Strafverfahren verwendet werden können.[67]
c) Beweisverwertungsverbote bei Urteilsabsprachen
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Auch in Konstellationen von Urteilsabsprachen (den so genannten Deals) ergeben sich vielfältige Probleme. Vor der gesetzlichen Normierung der Urteilsabsprachen[68] in § 257c StPO durch das Gesetz zur Regelung der Verständigung in Strafsachen vom 29.7.2009[69] herrschte Uneinigkeit in Rechtsprechung und Literatur über die Möglichkeit einer Geständnisverwertung bei missglückten Absprachen.[70] Zwar ist das Gericht grds. an die Absprache gebunden, allerdings entfällt gem. § 257c Abs. 4 S. 1 StPO die Bindung an eine Verständigung dann, „wenn rechtlich oder tatsächlich bedeutsame Umstände übersehen worden sind oder sich neu ergeben haben und das Gericht deswegen zu der Überzeugung gelangt, dass der in Aussicht gestellte Strafrahmen nicht mehr tat- oder schuldangemessen ist“. Dies ist bspw. in Konstellationen denkbar, in denen das Gericht wegen schwerwiegender neuer Erkenntnisse von seiner Zusage abweichen möchte. Auch ein Verhalten des Angeklagten im Prozess, das mit dem der Verständigung zugrunde gelegten nicht übereinstimmt, kann gem. § 257c Abs. 4 S. 2 StPO die Bindung an die Absprache entfallen lassen.
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Während der Gesetzesentwurf des Bundesrates zur Regelung von Absprachen im Strafverfahren[71] für diese Fälle in § 243a Abs. 6 S. 3 StPO die Verwertbarkeit eines einmal gemachten Geständnisses vorsah, hat in § 257c Abs. 4 S. 3 StPO ein Verwertungsverbot für das im Rahmen der Absprache getätigte Geständnis Eingang gefunden,[72] so dass sich zumindest die Frage der unmittelbaren Verwertung des Geständnisses nicht mehr stellt. Das Verwertungsverbot soll laut OLG Düsseldorf auch für die nächste Instanz gelten.[73]
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Ungeklärt bleibt allerdings die Frage der Verwertbarkeit von Ergebnissen aus Folgeermittlungen, ob dem Beweisverwertungsverbot also darüber hinaus eine Fernwirkung zukommt und damit etwaige aufgrund des Geständnisses ermittelte weitere Beweise ebenfalls unverwertbar sind. Da nach wohl überwiegender Meinung ein derartiges Fernwirkungsverbot dem deutschen Strafverfahrensrecht grds. fremd ist,[74] wird ein solches auch nicht für ein nach § 257c Abs. 4 S. 3 StPO unverwertbares Geständnis zu begründen sein.[75]
Teil 1 Grundfragen des Insolvenz- und Insolvenzstrafrechts › F. Verzahnung von Insolvenzrecht und Insolvenzstrafrecht › III. Sicherung der Masse durch Außenstehende, Eingriffe in die Unternehmensorganisation
1. Sicherung der Masse durch Außenstehende
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In der Praxis sehen in Schieflage geratene Unternehmen häufig den vermeintlich einzigen Ausweg in der Bestellung von (teilweise dubiosen) Unternehmensberatern, Steuerberatern oder Rechtsanwälten. Diese werden als externe „Sanierer“ mit der Sicherung der Masse beauftragt. Ihnen stehen dazu verschiedene Instrumentarien zur Verfügung. Sie können bspw. auf vorhandene Gläubiger einwirken und sie zur Bildung einer irgendwie gearteten Gläubigervereinigung bewegen. Oftmals schließen sich einzelne Gläubiger zur Verbesserung