Kraftverkehrs-Haftpflicht-Schäden. Kurt E. Böhme
hier so schwerwiegend, dass die Betriebsgefahr des Kfz zurücktritt.
OLG Oldenburg VersR 2005, 807.
BGHZ 38, 270; OLG Hamm VersR 2002, 1254; OLG Celle VersR 1976, 448; OLG Hamm VersR 1976, 393.
v. Gerlach DAR 1995, 221 (233); BGH VersR 1995, 96 = NJW 1995, 452.
1. Kapitel Die Haftung des Kraftfahrzeughalters und -führers › III. Der gestellte sowie der provozierte Unfall
III. Der gestellte sowie der provozierte Unfall
1. Kapitel Die Haftung des Kraftfahrzeughalters und -führers › III. Der gestellte sowie der provozierte Unfall › 1. Der „gestellte“ Unfall
1. Der „gestellte“ Unfall[1]
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Führen Schädiger und Geschädigter abredegemäß („in bewusstem und gewolltem Zusammenwirken“) einen Schadenfall herbei – oder täuschen diesen vor –, so steht dem „Geschädigten“ kein Schadensersatzanspruch zu, da er in die Rechtsgutverletzung eingewilligt hat.[2]
Der Versicherer ist für das Vorliegen eines gestellten, manipulierten Unfalls beweispflichtig. An diesen Beweis sind keine überzogenen Ansprüche zu stellen; es genügt ein für das praktische Leben brauchbarer Grad an Gewissheit, der sich aus der Gesamtwürdigung von Indizien und aus der Häufung von ungeklärten, für einen fingierten Unfall typischen Umständen ergeben kann; ein mathematischer lückenloser Grad an Gewissheit ist nicht erforderlich.[3]
Für einen manipulierten Unfall sind z.B. folgende Umstände typisch: Das Schadensbild passt nicht in allen Bereichen zum geschilderten Unfall; der Unfall, insbesondere die Endstellung der Kfz, wurde nicht polizeilich aufgenommen; Unfallverursachung durch ein „schweres“ Mietfahrzeug; Geschädigter und Schädiger sind gute Bekannte; es sind keine Zeugen vorhanden; objektive Unfallspuren fehlen.[4] Gegen einen gestellten Unfall können hingegen bspw. die Uhrzeit und Örtlichkeit des Geschehens sowie insbes. das Einnehmen einer aktiven Prozessrolle eines Unfallverursachers sprechen.[5]
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Es bleibt allerdings bei dem allgemeinen Grundsatz, dass der Geschädigte den Beweis für den Eintritt des Unfallgeschehens zu führen hat, wenn der Versicherer des angeblichen Schädigers das behauptete Unfallgeschehen bestreitet.[6] Wird die gegen den Versicherer gerichtete Klage des Geschädigten abgewiesen, weil der Geschädigte den Eintritt des Unfallgeschehens nicht nachweisen konnte, steht auf Grund der Bindungswirkung des § 124 VVG auch im Verhältnis zum mitverklagten Fahrer fest, dass dem Geschädigten auch dem Fahrer gegenüber ein Ersatzanspruch nicht zusteht. Dies gilt sogar dann, wenn der Fahrer den Unfall zugestanden hat.[7]
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Dem an der Manipulation unbeteiligten Halter kann gegen den KH-Versicherer ein Haftpflichtanspruch in Höhe von 50 %[8] zustehen. Dieser Versicherer ist aber nur dann eintrittspflichtig, wenn auch sein VN an der Manipulation unbeteiligt war.
Behauptet der mitverklagte Versicherer eine Manipulation, kann er dem mitverklagten VN und dessen Fahrer als Streithelfer beitreten und für sie Berufung einlegen.[9] Bestätigt sich der Verdacht der Unfallmanipulation gegen den mitversicherten und mitverklagten Fahrer nicht, hat der KH-Versicherer den Fahrer von den Kosten für die Vertretung durch einen eigenen Rechtsanwalt freizustellen, obwohl er ihm als Streithelfer beigetreten ist und sein Prozessbevollmächtigter auf diesem Wege für beide Klageabweisung beantragt hat.[10]
Hat der Versicherer geleistet, so steht ihm ein Rückforderungsrecht nach § 812 BGB zu.[11]
Er kann Ersatz der zur Aufklärung der Manipulation entstandenen und erforderlichen Kosten verlangen.[12]
1. Kapitel Die Haftung des Kraftfahrzeughalters und -führers › III. Der gestellte sowie der provozierte Unfall › 2. Der provozierte Unfall
2. Der provozierte Unfall
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Bei einem provozierten Unfall legt es der „Geschädigte“ darauf an, vom redlichen „Schädiger“ einen Schaden zugefügt zu bekommen. Ihm steht kein Ersatzanspruch zu, da er die Rechtsgutverletzung herbeigeführt hat. Steht fest, dass nicht alle Schäden, die das Unfallfahrzeug aufweist, auf den Unfall zurückzuführen sind, ist dem Geschädigten auch für die kompatiblen Schäden kein Ersatz zu leisten, da es nicht ausgeschlossen werden kann, dass auch diese durch das frühere Ereignis verursacht worden sein können.[13]
Typische Indizien: Mehrere Vorunfälle in letzter Zeit; kostengünstige Behebung der Vorschäden bzw. Abrechnung derselben aufgrund SV-Gutachten; Unfall innerhalb gleichberechtigter Kreuzung; ungewöhnlich langsame Beschleunigung.[14] Ebenso, wenn ein Pkw auf freier Strecke ohne ersichtlichen Grund bis zum Stillstand abgebremst wird, sodass ein sich längere Zeit dahinter befindliches Kfz trotz sofortigen Abbremsens auffährt.[15] Auch die unwahre Schilderung des Unfallablaufs durch den angeblich Geschädigten kann den Schluss rechtfertigen, dass er den Unfall bewusst herbeigeführt hat.[16]
Auf die Ausführungen zum manipulierten Unfall darf Bezug genommen werden.
1. Kapitel Die Haftung des Kraftfahrzeughalters und -führers › III. Der gestellte sowie der provozierte Unfall › 3. Verschweigen von Vorschäden
3. Verschweigen von Vorschäden[17]
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Angesprochen sind die Fälle, die auf einem echten oder behaupteten Verkehrsunfall basieren. Weist das Fahrzeug des Schädigers Vorschäden auf, stellt sich mitunter die Frage nach der Kompatibilität der Schäden und ob und in welchem Umfang diese erstattungspflichtig sind. Von Bedeutung sind hier insbes. die Fragen nach der haftungsbegründenden (§ 286 ZPO) und haftungsausfüllenden (§ 287 ZPO) Kausalität sowie des Betrugs.
Die überwiegende Rechtsprechung[18] kommt zu dem Ergebnis, dass die Ansprüche insgesamt abzuweisen sind, wenn bewiesen ist, dass nicht alle Schäden auf das (behauptete) Unfallereignis zurückzuführen sind, und der Geschädigte zu den nicht kompatiblen Schäden bzw. Vorschäden schweigt. Die Gerichte stellen hierzu fest, dass in solchen Fällen auch die möglicherweise kompatiblen Schäden nicht zu ersetzen sind, weil nicht ausgeschlossen werden könne, dass auch diese auf Vorereignisse zurückzuführen sind.
Anmerkungen
Arendt NJW-Spezial 2005, 447; Born NZV 1996, 257; Birkner zfs 1994, 113; Verheyen zfs 1994, 313; Empfehlung VII d. 28. Deutschen Verkehrsgerichtstags, VersR 1990, 362.