Gesellschaftsrecht I. Recht der Personengesellschaften. Ulrich Wackerbarth
angelegten Willensbildungsorgan, vermag zu überzeugen. Hinzu kommt, dass auch im Hinblick auf Vereinsbeschlüsse das Bedürfnis vorhanden ist, zwischen nichtigen Beschlüssen einerseits und nur anfechtbaren Beschlüssen andererseits zu unterscheiden.
a) Aufgabenbereich
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Der von der Mitgliederversammlung durch Beschluss bestellte Vorstand besteht in der Regel aus mehreren Personen. Er ist das Geschäftsführungs- und Vertretungsorgan des Vereins. Er vertritt diesen gerichtlich und außergerichtlich (§§ 26 ff. BGB). Handlungen und Willensäußerungen des Vorstandes sind die des Vereins. Grundsätzlich ist der Umfang der Vertretungsmacht des Vorstandes gem. § 26 Abs. 2 S. 1 BGB unbeschränkt; er kann allerdings gem. § 26 Abs. 2 S. 2 BGB mit Wirkung gegen Dritte durch die Satzung beschränkt werden. Eine entsprechende Bestimmung in der Satzung muss allerdings eindeutig die Beschränkung der Vertretungsmacht des Vorstandes erkennen lassen[19].
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Häufig ist es zweckmäßig, in die Satzung Bestimmungen über die Art und Weise der Beschlussfassung im Vorstand aufzunehmen und – je nach Art des Vereins – den Vorstandsmitgliedern bestimmte Aufgabengebiete zuzuweisen. Diese Fragen können jedoch auch durch eine Geschäftsordnung für den Vorstand geregelt werden.
Beispiel:
Der Vorstand eines Sportvereins kann nach der Satzung z. B. aus dem ersten Vorsitzenden und dessen Stellvertreter, dem Schatzmeister, dem Sportwart und dem Jugendbeauftragten bestehen.
b) Die Haftung des Vorstandes gegenüber dem Verein
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Auf die Geschäftsführung des Vorstandes finden die §§ 664 bis 670 BGB über den Auftrag Anwendung (§ 27 Abs. 3 BGB). Für die Verletzung von Pflichten, die sich aus dem organschaftlichen Rechtsverhältnis zwischen Verein und Vorstand ergeben können, haften die Vorstandsmitglieder dem Verein gegenüber aus § 280 BGB für den daraus erwachsenden Schaden. Daneben können auch Ansprüche aus unerlaubter Handlung entstehen. Der Haftungsmaßstab ergibt sich grundsätzlich aus § 276 BGB. Jedoch ist eine beschränkte Vorstandshaftung durch § 31a BGB eingeführt worden. Vorstandsmitglieder, die unentgeltlich tätig sind oder für ihre Tätigkeit eine Vergütung erhalten, die jährlich 500 € nicht übersteigt, haften dem Verein für einen in Wahrnehmung von Vorstandsaufgaben verursachten Schaden nur bei Vorliegen von Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit.
Beispiel:
Vorstandsmitglied A, welches die Aufgaben eines Kassenwartes ehrenamtlich wahrzunehmen hat und in dieser Eigenschaft auch für die Bezahlung von Rechnungen zuständig ist, vergisst es wegen starker beruflicher Inanspruchnahme, eine Handwerkerrechnung in Höhe von 23.000 € rechtzeitig zu begleichen. Der Handwerker macht zu Recht einen Verzugsschaden in Höhe von 345 € dem Verein gegenüber geltend. Diesen Schaden könnte der Verein von A gem. § 280 BGB ersetzt verlangen, es sei denn A hat, wovon hier auszugehen ist, nur leichte Fahrlässigkeit zu vertreten (§ 31a BGB).
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Bei Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung des Vereins hat der Vorstand die Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu beantragen. Versäumt der Vorstand dies, so haftet er dem Verein gegenüber aus § 280 BGB auf Ersatz des dadurch entstandenen Schadens. Den Gläubigern gegenüber ist er aus § 42 Abs. 2 S. 2 BGB unmittelbar für den daraus entstehenden Schaden verantwortlich[20].
c) Die Haftung des Vereins für zum Schadenersatz verpflichtende Handlungen seiner Organe
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Der Verein ist zum Ersatz derjenigen Schäden verpflichtet, die seine Organe in Ausführung einer ihnen zustehenden Verrichtung durch zum Schadensersatz verpflichtende Handlungen einem Dritten zugefügt haben (§ 31 BGB). Da diese Regelung jede Möglichkeit der Entlastung, wie sie etwa § 831 BGB zulässt, ausschließt, wird der Verein durch § 31 BGB so gestellt, als ob er die zum Schadensersatz verpflichtende Handlung selbst begangen hätte[21].
§ 31 BGB allein ist keine Anspruchsgrundlage. Er erlegt nur dem Verein die Schadensersatzpflichten auf, die nach anderen Vorschriften der Person oder den Personen entstanden wären, wenn diese für sich und nicht als Organ für den Verein gehandelt hätten. Eine Schadensersatzpflicht des Vereins für Handlungen seiner Organe entsteht also über § 31 BGB nur in Verbindung mit anderen Anspruchsgrundlagen, seien sie vertraglicher Art, wie z. B. § 280 BGB, oder aus dem Deliktsbereich, wie z. B. §§ 823 ff. BGB[22].
Beispiel:
Das dafür zuständige Vorstandsmitglied zahlt den Kaufpreis aus einem Kaufvertrag nicht, der zwischen dem Verein und V zustande gekommen ist. V entsteht dadurch ein Verzugsschaden, den er gem. §§ 280, 286 BGB i. V. m. § 31 BGB von dem Verein fordern kann.
Dem § 31 BGB kommt über den Bereich des eingetragenen Vereins hinaus große Bedeutung zu, weil er auf alle juristischen Personen und auch auf die BGB-Gesellschaft, die OHG und die KG entsprechend angewandt wird.
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Lösung zu Fall 19:
Fraglich ist, ob die Klausel in der Satzung des Vereins, nach der Änderungen der Satzung ausschließlich durch Rechtsverordnung der Evangelisch-Lutherischen Kirchengemeinschaft in den Ländern der Bundesrepublik Deutschland (Augustana-Gemeinde) erfolgen können, gegen den Grundsatz der Vereinsautonomie verstößt, was als Rechtsfolge die Nichtigkeit bewirken könnte. Für den bürgerlich-rechtlichen Verein gilt der Grundsatz der Vereinsautonomie, der als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal aus § 40 BGB abgeleitet wird. Vereinsautonomie bedeutet, dass Verbände, also auch die Vereine befugt sind, ihre Struktur und ihre inneren Verhältnisse selbst zu gestalten; notwendiger Bestandteil ist die Satzungsautonomie, die durch die Mitgliederversammlung ausgeübt wird. Aus dem Grundsatz der Vereinsautonomie wird abgeleitet:
– | Der Verein soll die Freiheit genießen, seine eigenen Angelegenheiten unabhängig, d. h. ohne Fremdeinfluss, bestimmen zu können („Selbstbestimmungsrecht“). |
– | Für die Ausübung dieser Freiheit soll, von zulässigen Delegationsmöglichkeiten abgesehen, die Mitgliederversammlung zwingend zuständig sein (Gebot der „Letztzuständigkeit der Mitgliederversammlung“)[23]. |
Die Gestaltungsfreiheit findet ihre Grenze jedoch dort, wo die Privatautonomie allgemein endet; diese Grenzen ergeben sich insbesondere aus den §§ 134, 138, 242 und 826 BGB. Die Grenze des Erlaubten ist jedenfalls dann überschritten, wenn die Satzung den Verein so stark unter fremden Einfluss bringt, dass er zu einer eigenen selbstständigen Willensbildung nicht mehr in der Lage ist[24]. Durch die hier in Frage stehende Satzungsbestimmung ist die Möglichkeit einer eigenen Willensbildung nicht nur zugunsten eines Dritten eingeschränkt, was nach Auffassung mancher[25] zulässig wäre; vielmehr wird durch die entsprechende Satzungsbestimmung dem Verein die Möglichkeit entzogen, sein Recht selbst zu setzen. Darin ist ein Verstoß gegen den im Vereinsrecht bestehenden Grundsatz der Vereins- und Satzungsautonomie zu sehen. Die Satzungsbestimmung verstößt infolgedessen gegen § 138 Abs. 1 BGB. Sie ist nichtig.
Anmerkungen
OLG Zweibrücken MDR 2006, 219 f.
OLG Zweibrücken MDR 2006, 219, 220.