Die Verfassungsbeschwerde in Strafsachen. Matthias Jahn
Gefühl zu geben, ernst genommen zu werden, ihm aber andererseits trotz der generell besonders hohen Akzeptanz der Verfassungsgerichtsbarkeit in der Bevölkerung – in den letzten vierzig Jahren hatte jeder zweite Deutsche vom Gericht eine gute oder sehr gute Meinung[5] – gleichzeitig die erratischen Erfolgsaussichten deutlich zu machen.[6] Dies kann gerade bei – wie in Strafsachen nicht selten – ausländischen Beschwerdeführern mit anderem kulturellen Hintergrund und Rechtsverständnis nicht nur im buchstäblichen Sinne zu Verständigungsschwierigkeiten führen. Im Ergebnis sollte dem Mandanten näher gebracht werden, dass es trotz des im Einzelfall hohen Aufwandes (und gegebenenfalls vergleichbarer Kosten) letztlich – mit den Worten einer früheren Verfassungsrichterin – nur darum gehen kann, das Unwahrscheinliche etwas wahrscheinlicher zu machen.[7]
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So kritikwürdig die extensive Auslegung insbesondere einzelner Zulässigkeitsvoraussetzungen der Verfassungsbeschwerde durch einige Kammern des BVerfG nach dem „Stolpersteinprinzip“[8] im Einzelfall auch sein mag: Sie muss, um nicht beim Mandanten unbegründete Hoffnungen zu wecken, beachtet und befolgt werden, bis das Gericht seine Rechtsprechung ändert oder – was kaum zu erwarten ist – der Gesetzgeber klarstellend eingreift.[9] Anstöße hierzu versuchen die Autoren im Nachfolgenden im jeweiligen Sachzusammenhang zu geben. Fälschlich geweckte Erwartungen beim Mandanten können sich zudem im Regressprozess Ausdruck verschaffen, insbesondere dann, wenn dem Beschwerdeführer eine Missbrauchsgebühr nach § 34 Abs. 2 BVerfGG auferlegt wurde.[10] Dazu kommt für den Verfahrensbevollmächtigten die deprimierende Gewissheit, „seine“ Sache nicht auf der hell erleuchteten Bühne der mündlichen Verhandlung vor dem Senat, sondern nur in dem grauen Heer erfolgloser Beschwerdeführer vertreten zu haben, ganz zu schweigen von der Aussicht, durch sinnlose Eingaben den guten Ruf und eine stabile Arbeitsbeziehung zu den Fachgerichten – insbesondere zum BGH – und natürlich auch zu den Richtern im Karlsruher Schlossbezirk zu verspielen.
Teil 1 Die Aufgaben des Strafverteidigers im Verfassungsbeschwerdeverfahren › A. Überlegungen vor Mandatsannahme › II. Abgabe der Sache an einen Spezialisten?
II. Abgabe der Sache an einen Spezialisten?
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Es stellt sich so schon im Ausgangspunkt die Frage, ob die Aufgabe nicht besser einem Spezialisten mit Tätigkeitsschwerpunkt im Recht der Verfassungsbeschwerde, möglichst also dem durch einschlägige Erfahrungen und Publikationen ausgewiesenen Fachanwalt für „Strafprozessverfassungsrecht“[11], überlassen werden sollte. Dies vermeidet das Phänomen der Betriebsblindheit, wenn sich der Verteidiger den Prozess im strafgerichtlichen Instanzenzug zu sehr zu Eigen gemacht hat. Oft vermag ein Außenstehender mit forensischer Erfahrung in Karlsruhe und eventuellen Kontakten in das Gericht auch die Erfolgsaussichten realistischer einzuschätzen. Unterschiedliche Gründe können aber gegen ein solches „Outsourcing“ sprechen. Selbst wenn man, was angesichts der geringen – und vermutlich umstrittenen – Mitgliederzahl dieses Kreises schon bezweifelt werden dürfte, die Existenz einer derartigen Quasi-Fachanwaltschaft bejaht, würde sie doch bald an die Grenzen ihrer Belastbarkeit stoßen.[12] Expertentum kann zudem nicht ohne Verlust gegen das zwischen Verteidiger und Mandant gewachsene Vertrauensverhältnis getauscht werden.[13] Zuletzt wird auch die Mandatierung eines Experten nichts daran ändern, dass bereits den Karlsruher Zulässigkeitsanforderungen auch „Spezialanwälte und Rechtsprofessoren nicht immer gewachsen sind“, wie erneut die frühere Richterin Lübbe-Wolff[14] lakonisch angemerkt hat.
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Vieles spricht also dafür, auch noch den – vorbehaltlich besonderer völkerrechtlicher Rechtsbehelfe –[15] „letzten Schritt“ gemeinsam zu gehen. Zum einen die Tatsache, dass niemand den Prozessverlauf so gut kennt wie der ursprüngliche Verteidiger in der Instanz (oder jedenfalls der Revision), was ihn wiederum zur Einhaltung der vom BVerfG an die Begründung einer Verfassungsbeschwerde aufgestellten Anforderungen an die Substantiierung wie niemand anderen qualifiziert. Die einfachrechtliche Problematik muss nicht mehr gesondert aufbereitet werden, auch die mitteilungsbedürftigen Dokumente und sonstigen Unterlagen sind vorhanden oder können mittels (wiederholter) Ausübung des Akteneinsichtsrechts aus § 147 StPO unschwer beschafft werden.[16] Es kann zudem einen erheblichen Vorteil bedeuten, wenn zu einer bestimmten, im Verfassungsbeschwerdeverfahren unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten zur Prüfung gestellten Frage bereits eine Revisionsbegründungsschrift verfasst wurde, an die nunmehr angeknüpft werden kann. In diesem Sinne besteht tatsächlich „eine Art Kooperationsprinzip“ (Gusy) zwischen dem Strafrecht vor dem Fachgericht und dem Strafverfassungsrecht: „Beide Seiten greifen ineinander, und beide Seiten können voneinander lernen“.[17] Und dieser Lernprozess ist sicherlich dort am effektivsten, wo er sich in einer Person vereint. Allerdings umfasst die Beiordnung als Pflichtverteidiger vor dem Fachgericht selbstverständlich nicht mehr die Tätigkeit im Rahmen der Verfassungsbeschwerde. Sie stellt kein Rechtsmittel im Sinne der Prozessordnungen dar, gehört damit also auch nicht mehr zum von der Bestellung umfassten Rechtsweg.[18]
Teil 1 Die Aufgaben des Strafverteidigers im Verfassungsbeschwerdeverfahren › A. Überlegungen vor Mandatsannahme › III. Strategien im Graubereich
III. Strategien im Graubereich
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Misst der Verteidiger nach eingehender Sachprüfung der Sache jedoch keine Erfolgsaussichten zu, sollte er seinen Mandanten darauf auch deutlich hinweisen. Eine für den Laien nachvollziehbare schriftliche Stellungnahme sollte nicht unterbleiben. Beharrt der Mandant dennoch auf seiner Ansicht und besteht weiterhin auf Einlegung der Verfassungsbeschwerde, ist folgende Vorgehensweise zumindest theoretisch und grundsätzlich ohne Verstoß gegen Regeln des Berufsrechts denkbar: Da außerhalb der mündlichen Verhandlung – welche in der Praxis die absolute Ausnahme darstellt – im Verfassungsbeschwerdeverfahren kein Anwaltszwang herrscht, kann sich der Verteidiger gegen ein gesondert zu vereinbarendes Honorar bereit erklären, einen Schriftsatz zu entwerfen, welchen der Beschwerdeführer selbst in eigenem Namen beim Gericht anbringt. Auf einem ganz anderen Blatt steht freilich, ob sich ein Anwalt für solche Ghostwriterdienste zur Verfügung stellen sollte.
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Hinweis
Erscheint eine solche Strategie im Graubereich nicht angängig, besteht zuletzt noch die Möglichkeit, zur Wahrung der Rechte des Beschwerdeführers und zur Vermeidung drohender Verfristung die Verfassungsbeschwerde mit dem Hinweis einzulegen, dass dies zunächst nur zur Fristwahrung geschehe und erst in einem Folgeschriftsatz mitgeteilt werde, ob diese aufrecht erhalten werde. Der Nachteil: Die nachträgliche, d.h. nach Ablauf der Beschwerdefrist eingehende, Ergänzung des Vorbringens ist nur noch in engen Grenzen möglich.[19] Kommt der Anwalt nach reiflicher Überlegung oder weiterer Überzeugungsarbeit am Mandanten zu dem Schluss, die Verfassungsbeschwerde sei aussichtslos, sollte sie mit Zustimmung des Mandanten zurückgenommen werden. Eine Gebühr wird in diesem Fall nicht erhoben; das Verfahren endet durch Austragung aus dem Register.[20] Im äußersten Fall bleibt dem Anwalt schließlich noch die Möglichkeit der Aufkündigung des Mandatsvertrages, im eigenen Interesse unter gleichzeitiger Anzeige gegenüber dem BVerfG.[21]
Teil 1 Die Aufgaben des Strafverteidigers im Verfassungsbeschwerdeverfahren › A. Überlegungen vor Mandatsannahme › IV. Kosten- und Gebührenaspekte