Einführung in die Praxis der Strafverteidigung. Olaf Klemke
oder prägt, indem er detaillierte inhaltliche Vorgaben hinsichtlich des Widerrufs macht. In diesem Fall wird er vom mangels strafbarer Haupttat straflosen „Anstifter“ zum Täter kraft Tatherrschaft.
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Der Rat zum Leugnen der Tat soll nach h.M. ebenfalls unzulässig sein.[16] Auch hier gilt die Straflosigkeit des Verteidigers in Ermangelung einer beteiligungsfähigen Haupttat sowie die Erwägung, dass der Verteidiger nicht für Handlungen bestraft werden kann, die bei der Vornahme durch einen Dritten straflos wären.
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Das Erfinden von Einlassungen für den Beschuldigten ist nach der h.M. Strafvereitelung.[17] Indem der Verteidiger hier den Inhalt der Lügen des Mandanten inhaltlich bestimmt, verlässt er den Bereich der Teilnahme an einer fremden, jedoch straflosen Haupttat. Kraft seines maßgeblichen intellektuellen Einflusses auf den Tatablauf hat er Tatherrschaft und ist somit Täter einer Strafvereitelung.
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Der Rat zur Flucht ist nach h.M. unzulässig.[18] Allerdings soll eine entsprechende Auskunft zulässig sein. Der Unterschied ist marginal. Er besteht im konkreten Fall in einem die Auskunft begleitenden Augenzwinkern. Auch hier fehlt es indes an einer strafbaren Haupttat.
cc) Kontakt mit dem inhaftierten Mandanten
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Die Übergabe bzw. Übernahme jedweder Gegenstände unter Umgehung der Postkontrolle mit Ausnahme aller der Verteidigung dienenden Unterlagen ist nach § 115 OWiG auch dem Verteidiger untersagt. Weiß er, dass dieser Schmuggel der Vereitelung der Strafverfolgung des Mandanten dienen soll, macht er sich gem. § 258 StGB strafbar.
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Erhält der Verteidiger als „Verteidigerpost“ deklarierte Briefsendungen vom Mandanten, die nicht der Verteidigung dienen, sondern nach dem Willen des Mandanten an Dritte weitergegeben werden sollen, darf er diese nicht an den Adressaten weiterleiten. Damit würde er nämlich wenigstens gegen § 115 OWiG verstoßen. Der Verteidiger darf sie aber auch nicht als „Verteidigerpost“ an den Mandanten in die JVA zurücksenden. Auch damit würde er gem. § 115 OWiG die richterliche Postkontrolle umgehen. Er hat die Sendung vielmehr bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens bzw. bis zur Entlassung des Mandanten aus der Untersuchungshaft zu verwahren und diese sodann an den Mandanten herauszugeben.
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Zulässig ist der Austausch der Einlassungen von Mitbeschuldigten über Mitverteidiger.[19]
dd) Information des Mandanten über den Akteninhalt
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Die Information des Mandanten über den Inhalt der Akten ist grundsätzlich zulässig. Der Verteidiger ist hierzu nicht nur berechtigt, sondern in aller Regel sogar verpflichtet. Verboten ist ihm lediglich die Herausgabe der Originalakten. Unbedenklich ist eine Überlassung eines vollständigen Aktenduplikats. Die Beschränkung des originären Akteneinsichtsrechts auf den Verteidiger soll nur die Unversehrtheit der Akten garantieren, nämlich deren Vernichtung, Beschädigung, Unterdrückung und Verfälschung verhindern.
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Kontrovers diskutiert wird die Frage, ob der Verteidiger den Beschuldigten auch dann vollumfänglich über den Akteninhalt informieren darf, wenn sich aus ihm das Bevorstehen von Zwangsmaßnahmen, wie die Verhaftung des Mandanten, Durchsuchungen, Beschlagnahmen etc. ergibt. Der BGH ist der Auffassung, dass der Verteidiger derartige Informationen nicht weitergeben darf.[20] In der Lit. folgen ihm bspw. Beulke/Ruhmannseder und Roxin.[21] Beulke/Ruhmannseder begründen ihre Ansicht mit der Stellung des Rechtsanwaltes als „Organ der Rechtspflege“. Diese Organstellung verpflichte den Verteidiger, auch öffentliche Interessen wahrzunehmen. Insoweit komme ihm in dieser Situation eine „Filterfunktion“ gegenüber dem Mandanten zu.[22] Dieser Auffassung ist entgegenzutreten. Die Vorenthaltung von Informationen wäre geeignet, das notwendige Vertrauensverhältnis zwischen Mandant und Verteidiger zu zerstören. Der Verteidiger ist auch nicht verpflichtet, eine effektive Strafrechtspflege mit zu gewährleisten. Seine Aufgabe in der Strafrechtspflege besteht einzig und allein in der Wahrnehmung der Beistands-, Schutz- und Kontrollfunktion zugunsten des Beschuldigten. Auch hat die StA durch die Gewährung der Akteneinsicht entschieden, dass die Gefährdung des Untersuchungszweckes gem. § 147 Abs. 2 StPO der Akteneinsicht gerade nicht entgegensteht. Der Verteidiger ist zu einer Kontrolle dieser Entscheidung des StA nicht berufen. Schließlich hat der Verteidiger die weiterzugebenden Informationen auf prozessordnungsgemäße Weise erhalten. Es ist nicht nachvollziehbar, warum er dieses auf gesetzmäßige Weise erlangte Wissen nicht für die Verteidigung verwerten können soll. § 258 StGB verbietet dem Verteidiger von vornherein nur ein prozessordnungswidriges Verhalten. Hat der Verteidiger sein Wissen in Ausübung seines Rechts auf Akteneinsicht erlangt, gebührt seiner Schutzaufgabe Vorrang vor seiner Zuordnung zur Rechtspflege.[23] Dies ist wohl auch Auffassung des BVerfG. Es hat in seinem Beschluss vom 17. Juni 2006 eine mögliche – versuchte – Strafvereitelung jedenfalls für den Fall angenommen, dass der Verteidiger dem Mandanten über eine bevorstehende Verhaftung informiert und die Kenntnis hiervon unzulässig, bspw. täuschungsbedingt, erlangte.[24]
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Nicht gesehen wird von der Rspr. offensichtlich die Problematik, dass die Wahrheitspflicht des Verteidigers gem. § 43a Abs. 3 S. 2 BRAO selbstverständlich auch gegenüber dem Mandanten gilt. Pfeiffer bspw. will dieses Dilemma dadurch lösen, dass der Verteidiger seinen Mandanten „aus gegebenen Anlass allgemein auf §§ 112 ff. StPO“ hinweisen dürfe.[25] Keinen Rat hat er jedoch dafür parat, was der Verteidiger antworten soll, wenn der Mandant, durch den „allgemeinen“ Hinweis auf die Möglichkeit eines Haftbefehls konkret hellhörig wird und seinen Verteidiger fragt, ob er einen solchen zu befürchten habe. Soll der Anwalt nunmehr seinen Mandanten unter Verstoß gegen § 43a Abs. 3 S. 2 BRAO in Sicherheit wiegen? Hat der Verteidiger nur die Alternative zwischen einer Bestrafung wegen Parteiverrats oder wegen Strafvereitelung?
b) Kontakt zu Zeugen und Strafantragsberechtigten
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Der Verteidiger darf, selbst wenn dies auch heute noch so mancher Staatsanwalt und Richter nicht zu glauben vermag, Zeugen befragen oder sonstige eigene Ermittlungen anstellen. Die Strafverfolgungsorgane haben kein Erstvernehmungsrecht.[26] Der Verteidiger darf auch solche Tatsachen und Beweismittel einführen, die einen von ihm lediglich für möglich gehaltenen Sachverhalt belegen können. Er ist nicht darauf beschränkt, nur das vorzubringen, von dessen Richtigkeit er voll überzeugt ist. Sonst müsste er alle vom Mandanten aufgestellte Behauptungen, bevor er sie zum Gegenstand von Beweisanträgen macht, eingehend nachprüfen. Könnte er Zweifel an der Richtigkeit der Beweistatsachen nicht ausschließen, würde er gehindert, effektiv die Rechte seines Mandanten wahrzunehmen.[27] Dies gilt insbesondere für die Benennung von Zeugen. Hat er lediglich Zweifel an der Richtigkeit einer potentiell entlastenden Zeugenaussage, ist er zur Stellung eines Beweisantrages in aller Regel verpflichtet. Anderenfalls würde er in Kauf nehmen, ein möglicherweise zuverlässiges entlastendes Beweismittel zu unterdrücken.[28] Besser ist es jedoch, wenn der Verteidiger potentielle Zeugen vorab befragt. So vermeidet er, dass er einen Zeugen benennt, der den Mandant belastende Tatsachen bekunden könnte. Der Verteidigerspruch „frage nie einen Zeugen, wenn du die Antwort nicht kennst“ bewahrheitet sich im Verteidigeralltag immer wieder.
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Der Verteidiger sollte jedoch bei dem Umgang mit Zeugen die größtmögliche Vorsicht walten lassen. Anderenfalls läuft er Gefahr, bald selbst mit einem Ermittlungsverfahren überzogen zu werden. Der Strafverteidiger ist verpflichtet, seinen Mandanten im Rahmen der Gesetze bestmöglich zu verteidigen.[29] Er ist nicht verpflichtet, an der Verwirklichung des staatlichen Strafanspruches mitzuwirken. Er hat schon gar nicht