Einführung in die Praxis der Strafverteidigung. Olaf Klemke
Er überschreitet jedoch nach der Rspr. die Grenzen zulässiger Verteidigung, wenn er den Sachverhalt aktiv verdunkelt oder verzerrt, insbesondere Beweisquellen verfälscht.[31] Bei einer von ihm sicher als unwahr erkannten Zeugenaussage verdunkelt er dann aktiv den Sachverhalt, wenn er Einfluss auf das Zustandekommen der Aussage nimmt.[32] Dies ist dann der Fall, wenn er den Zeugen zu einer Falschaussage veranlasst[33], wenn er ihn in seinem Entschluss bestärkt[34], wenn er einen zur Falschaussage entschlossenen Zeugen als Beweismittel benennt[35] oder wenn er den Inhalt der Falschaussage mit ihm abstimmt.[36] Hier macht sich der Verteidiger nicht nur wegen Strafvereitelung strafbar, sondern auch wegen Teilnahme an einem Aussagedelikt.
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Dem Verteidiger ist es erlaubt, Strafantragsberechtigte zu bitten, einen Strafantrag zurückzunehmen oder gar nicht erst zu stellen oder einen sonstigen Zeugen zu veranlassen, keine Strafanzeige zu erstatten. Der Bereich des unzulässigen Verhaltens wird erst bei dem Einsatz von rechtswidriger Drohung oder Täuschung betreten. Geldzahlungen sind dann zulässig, wenn sie zumindest auch als Wiedergutmachung geleistet werden.[37] Der Verteidiger darf unter den gleichen Voraussetzungen Zeugen bitten, von einem Zeugnisverweigerungsrecht gem. § 52 StPO oder einem Auskunftsverweigerungsrecht gem. § 55 StPO Gebrauch zu machen.
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Der Verteidiger ist des Weiteren befugt, Zeugen dahin Auskunft zu erteilen, dass sie Ladungen zu Vernehmungen durch die Polizei nicht Folge leisten müssen. Dasselbe muss auch für einen entsprechenden Rat gelten, einer solchen Vernehmung fernzubleiben oder einen übersandten Zeugen-Fragebogen nicht zu beantworten.
c) Unterdrückung, Verfälschung und Vernichtung von Sachbeweisen
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Es ist allgemeine Meinung, dass der Verteidiger selbst keine Spuren oder Beweisstücke vernichten, verstecken oder sonst den Strafverfolgungsorganen aktiv entziehen darf. Ihm ist es auch unter Strafe verboten, unechte Beweisurkunden herzustellen oder echte zu verfälschen. Er darf auch nicht vorsätzlich von derartigen Urkunden Gebrauch machen. Beteiligt sich der Verteidiger an der Fälschung von Urkunden bzw. an strafbarer Urkundenunterdrückung durch den Mandanten oder einen Dritten, macht er sich wegen Anstiftung oder Beihilfe zum jeweiligen Urkundendelikt strafbar. Der Verteidiger darf und muss dem Gericht allerdings auch solche Urkunden vorlegen, an deren Echtheit er Zweifel hegt.
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Anders sieht es jedoch aus, wenn der Verteidiger dem Beschuldigten den Rat gibt, Spuren oder Beweisgegenstände, die nicht den Begriff einer Urkunde oder einer technischen Aufzeichnung erfüllen, zu unterdrücken oder zu beseitigen. Mangels strafbarer Haupttat kann sich der Verteidiger hieran nicht in strafbarer Weise beteiligen. Dies schließt auch eine Bestrafung wegen Strafvereitelung aus. Die h.M. ist anderer Rechtsauffassung. Sie zieht sich zur Begründung der Strafbarkeit des Verteidigers auf folgende, aus dessen Organstellung hergeleitete, schwammige Floskeln zurück:
„Der Verteidiger darf grundsätzlich alles tun, was in gesetzlich nicht zu beanstandender Weise seinem Mandanten nützt (BGHSt 38, 345, 347)... Allerdings muss er sich bei seinem Vorgehen auf verfahrensrechtlich erlaubte Mittel beschränken, und er muss sich jeder bewussten Verdunkelung des Sachverhaltes und jeder sachwidrigen Erschwerung der Strafverfolgung enthalten (BGHSt 2, 375, 377). Ihm ist es insbesondere untersagt, durch aktive Verdunkelung und Verzerrung des Sachverhalts die Wahrheitserforschung zu erschweren, insbesondere Beweisquellen zu verfälschen (BGHSt 9, 20, 22; 38, 345, 348; BGH NStZ 1999, 188).“[38]
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Daher wird der Verteidiger zur Vermeidung eigener Strafverfolgung von derartigen Ratschlägen seinem Mandanten gegenüber Abstand nehmen. Auch hier hat er – bereits zur Sicherung seiner beruflichen Existenz – den sichersten Weg zu gehen und damit die h.M. in Rspr. und Lit. zu berücksichtigen. Im Übrigen sollte er sich immer vor Augen halten, dass es dem Ansehen der Profession des Strafverteidigers abträglich ist und auf lange Sicht zu einer Schwächung der Strafverteidigung führt, wenn er im Hinblick auf seine berufsrechtliche Wahrheitspflicht „zu kühn“ agiert.
Teil 1 Das Mandat des Strafverteidigers › III. Zulässiges und unzulässiges Verteidigerhandeln › 4. Ehrdelikte
4. Ehrdelikte
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Die wichtigsten Berufswaffen des Strafverteidigers sind das Wort und die Schrift.[39] Im Kampf um das Recht kann dies leicht zu einem Einsatz sprachlicher Mittel führen, welcher zumindest von den betroffenen Verfahrensbeteiligten (Staatsanwälten und Richtern) als verletzend empfunden wird. Äußerungen oder Prozesserklärungen des Verteidigers sind nicht schon von vornherein strafrechtlicher Würdigung entzogen, weil sie im Rahmen der Verteidigung abgegeben werden. Grundsätzlich gelten die Straftatbestände für jedermann, mithin auch für den Verteidiger.
a) Meinungsfreiheit nach Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG
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Wertende Äußerungen über Verhalten und Person der anderen Prozessbeteiligten stehen auch im Prozess grundsätzlich unter dem Schutz des Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG. Zusätzlich können auch der Schutzbereich des Art. 12 Abs. 1 GG und der grundrechtlich geschützte Anspruch auf rechtliches Gehör nach Art. 103 Abs. 1 GG betroffen sein.
aa) Werturteile
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Bei Werturteilen handelt es sich stets um von Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG geschützte Meinungsäußerungen, weil sie „immer eine geistige Wirkung erzielen, nämlich andere überzeugen wollen“.[40] Meinungen sind durch die subjektive Beziehung des Einzelnen zum Inhalt seiner Aussage geprägt.[41] Werturteile fallen generell in den Schutzbereich des Grundrechts auf Freiheit der Meinungsäußerung, ohne dass es darauf ankäme, ob die jeweilige Äußerung emotional oder rational,[42] begründet oder grundlos,[43] wertvoll oder wertlos,[44] richtig oder falsch,[45] nützlich oder schädlich,[46] gefährlich oder harmlos[47] ist. Für sie ist das Element der Stellungnahme, des Dafürhaltens[48] und des Meinens im Rahmen einer geistigen Auseinandersetzung kennzeichnend[49] bzw. konstitutiv, so dass sie sich auch nicht als wahr oder unwahr erweisen lassen und es auf den Wert, die Richtigkeit, die Vernünftigkeit der Äußerung nicht ankommt. In den Schutzbereich dieser Verfassungsnorm fallen – namentlich im öffentlichen Meinungskampf – auch scharfe[50], übersteigerte[51], polemische[52] oder verletzende[53] Äußerungen.
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Nicht mehr geschützt sind jedoch beleidigende Äußerungen, in denen es den sich Äußernden nicht mehr um die Auseinandersetzung in der Sache geht, sondern die sich in einer Schmähung anderer Verfahrensbeteiligter erschöpft.
bb) Tatsachenbehauptungen
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Tatsachenbehauptungen unterscheiden sich von den Meinungsäußerungen.[54] „Im Unterschied zu den Werturteilen steht bei ihnen die objektive Beziehung zwischen der Äußerung und der Realität im Vordergrund“[55], weshalb sie auch einer Überprüfung auf ihren Wahrheitsgehalt zugänglich sind.[56] Gerade unabhängig von den subjektiven Auffassungen des sich Äußernden soll etwas als objektiv gegeben hingestellt werden. Tatsachenbehauptungen fallen deswegen aber nicht von vornherein aus dem Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG. Da sich Meinungen in der Regel auf tatsächliche Annahmen stützen oder sich auf tatsächliche Verhältnisse beziehen, sind Tatsachenbehauptungen durch das Grundrecht der Meinungsfreiheit geschützt, weil und soweit sie Voraussetzung der Bildung von Meinungen sind. Auch Tatsachenbehauptungen genießen also den Schutz des Grundrechts, wenn (und soweit) sie meinungsbezogen sind.[57] Der Schutz der Tatsachenbehauptungen durch das Grundgesetz endet (erst)