Handbuch des Strafrechts. Jan C. Joerden
target="_blank" rel="nofollow" href="#ulink_4cc5d7a0-d848-51c9-9861-1fe3cafa3a19">Der Neukantianismus52 – 54
IV.Politisch motivierte „Ganzheitsbetrachtung“55
V.Der Finalismus56, 57
VI.Rückkehr zur teleologischen Begriffs- und Systembildung58 – 61
VIII.Zusammenfassende Bewertung63 – 68
F.Zur systematischen Trennung von Unrecht und Schuld69 – 82
I.Die Kritik Michael Pawliks72 – 76
II.Die Kritik Wolfgang Frischs77 – 82
G.„Normativ“ und „Normativismus“ – Kritik zweier Modevokabeln83 – 101
I.Bedeutungsvarianten von „normativ“85 – 97
II.Normativismus98 – 101
6. Abschnitt: Die Straftat › § 27 System- und Begriffsbildung im Strafrecht › A. Systematik und Rechtsstaatlichkeit
A. Systematik und Rechtsstaatlichkeit
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„Die Systembildungen der deutschen Strafrechtswissenschaft erscheinen dem gebildeten Laien oft absonderlich, dem Studenten unverständlich und dem Praktiker überflüssig; und dennoch bilden sie heute eines der wichtigsten ‚Exportgüter‘ der deutschen Rechtswissenschaft und geradezu deren internationales Renommierstück“ schrieb Bernd Schünemann schon vor über 30 Jahren in der Einleitung zu seiner „Einführung in das strafrechtliche Systemdenken“.[1] Bis heute ist die deutsche Strafrechtswissenschaft – sofern sie sich noch mit Systemfragen beschäftigt – zu Recht stolz auf ihre Straftatlehre und die darin gefasste Systematik.
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Allerdings findet sich gerade in der Auseinandersetzung um das „richtige System“ gelegentlich die Neigung, die Entwicklungen der letzten 100 Jahre als mehr oder weniger zwingenden Aufstieg zu den Höhen der eigenen Systematisierungslehre zu interpretieren, wobei die vorgestellte Entwicklungsgeschichte nicht immer einer kritischen Prüfung standhält. Ein zweiter Problemfaktor ist die verbreitete Ausblendung des Beitrags, den die Zivilrechtswissenschaft, insbesondere Rudolf von Jhering, für die Herausbildung der strafrechtswissenschaftlichen Verbrechenslehre geleistet hat. Problematisch ist drittens ein jedenfalls bei einem Teil der Diskussionsteilnehmer festzustellender bedenklicher Hang zu begrifflichen Hypostasierungen und unausgewiesenen Ableitungen.
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Dennoch ist der Ertrag der deutschsprachigen[2] strafrechtswissenschaftlichen Diskussion zum Aufbau der Straftatlehre sehr beachtlich: Der internationale Einfluss der deutschen Strafrechtsdogmatik beruht zu einem guten Teil auf der Klarheit und Konsistenz des „Standardmodells“ aus Tatbestandsmäßigkeit, Rechtswidrigkeit und Schuld, wie er heute von der ganz h.M. der deutschsprachigen Strafrechtswissenschaft vertreten wird.[3] Der strukturierte und hochgradig differenzierte Aufbau der Verbrechensanalyse zwingt den Rechtsanwender zu Sorgfalt und Gewissenhaftigkeit; die Strafrechtsanwendung wird transparent und in der Folge kontrollierbar. Damit wird die deutsche Strafrechtsdogmatik in besonderer Weise den Vorgaben des Rechtsstaatsprinzips, insbesondere dem Postulat der Bindung des Rechtsanwenders an das Gesetz, gerecht.[4]
I. Terminologie
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Zu unterscheiden sind Straftheorie, Verbrechensbegriff, und Straftatsystem. Die Straftheorie beschäftigt sich mit der Frage nach der Legitimation von Strafe. Traditionell werden hier auf Vergeltung abstellende „absolute“ Theorien von „relativen“ Ansätzen unterschieden, die den Sinn der Strafe in der Prävention künftiger Straftaten sehen (→ AT Bd. 1: Tatjana Hörnle, Straftheorien, § 12 Rn. 3 ff.). Die Frage nach dem richtigen „Verbrechensbegriff“ zielt darauf ab, was als „Verbrechen“ im Sinne des Strafrechts gelten soll. Der heute am meisten verwendete Verbrechensbegriff ist das Verständnis des Verbrechens als tatbestandsmäßige, rechtswidrige und schuldhaft begangene Handlung.[5] Es geht hierbei nicht um eine inhaltliche Bestimmung,[6] sondern um die Struktur des Verbrechens.
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Das Straftatsystem schließlich lässt sich, jedenfalls nach dem in Deutschland vorherrschenden Verständnis, als Explikation des Verbrechensbegriffs in seine begrifflichen Details hinein deuten.[7] Es legt also nicht bloß eine didaktisch zweckmäßige Prüfungsabfolge fest, sondern soll dem Anspruch genügen, dass seine Teile in einem begrifflich-logischen Zusammenhang miteinander stehen. Metaphorisch gesprochen, „entfaltet“ das Straftatsystem den zugrunde gelegten Verbrechensbegriff.
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Davon zu unterscheiden ist die strafrechtliche Legalordnung. Darunter ist mit Oehler[8] die „äußerliche Reihenfolge der verschiedenen Verbrechensgruppen in einem Gesetz“ zu verstehen. Man könnte auch von der „Systematik des Besonderen Teils“ sprechen. Es ist offenkundig, dass die Legalordnung in besonderem Maße dem historischen Wandel unterworfen ist und wesentlich von den Werten und dem Denkstil der jeweiligen Gesellschaft bestimmt wird, in der die Strafrechtsordnung entstanden ist. In der Entwicklung der Legalordnungen spiegelt sich häufig die allmähliche Ablösung des Kriminalsystems von seinen meist religiösen Wurzeln.[9]
II. Der Verbrechensbegriff
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In der nachfolgenden Darstellung wird mit der ganz h.M. ein dreistufiger Verbrechensbegriff zugrunde gelegt. Ein Verbrechen ist danach eine tatbestandsmäßige, rechtswidrige und schuldhaft begangene Handlung.[10] Dieser Verbrechensbegriff orientiert sich an vollendeten Erfolgsdelikten wie der vorsätzlich begangenen vollendeten Körperverletzung oder der vorsätzlich begangenen vollendeten Tötung, aber auch die Unterlassungs-, Versuchs- und Fahrlässigkeitsdelikte werden auf seiner Grundlage diskutiert.[11]
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Diesem