Handbuch des Strafrechts. Jan C. Joerden
anschaulich auf den Punkt gebracht.
6. Abschnitt: Die Straftat › § 27 System- und Begriffsbildung im Strafrecht › B. Methodologische Orientierung
B. Methodologische Orientierung
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Grundbegriff der deutschen Straftatlehre ist der Begriff der „strafbaren Handlung“.[31] Der Begriff wird aufgespalten in die bekannte Stufenfolge Tatbestandsmäßigkeit, Rechtswidrigkeit und Schuld. Diese Stufen bilden die Kernelemente des deutschen Straftatsystems, sie liegen außerdem der Fallprüfung zugrunde. Schon der Ansatz beim Handlungsbegriff macht deutlich, warum bei der Auseinandersetzung mit dem dreistufigen Straftatmodell Fragen der Begriffsbildung so wichtig sind.
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Das Problem wissenschaftlicher Begriffsbildung wird in der juristischen Methodenlehre und der Rechtstheorie selten behandelt, obwohl es für Rechtsdogmatik wie Rechtspraxis von größter Bedeutung ist.[32] Sind uns die Begriffe, die wir bei der juristischen Arbeit verwenden, bindend vorgegeben, so dass wir sie nicht zu ändern vermögen? Oder verhält es sich so, dass Rechtswissenschaft und Rechtspraxis grundsätzlich frei sind, die Bedeutung der von ihnen verwendeten Begriffe festzulegen? Sind Begriffe lediglich menschliche Schöpfungen, sprachliche Zeichen, deren Inhalt von Menschen bestimmt wird? Oder sind Begriffe imstande, ein „Eigenleben“ zu führen, wie es etwa in der Hegel’schen Dialektik[33] angenommen wird?
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Die damit angedeuteten Fragestellungen werden in der Sprachphilosophie und allgemeinen Wissenschaftstheorie häufig mit der Unterscheidung von begrifflichem „Naturalismus“ vs. „Konventionalismus“ zu erfassen gesucht. Für den Naturalismus gibt es eine „von Natur“ vorgegebene Beziehung zwischen Zeichen und Bezeichnetem. Auch wenn diese Position unbewusst nach wie vor eine große Rolle spielt,[34] kann sie doch als sprachphilosophisch überholt gelten. Die auch hier zugrunde gelegte Gegenposition zum sprachphilosophischen Naturalismus nimmt der „Konventionalismus“ ein. Die Bedeutung sprachlicher Zeichen beruht danach auf Konvention, also einer Übereinkunft der den Begriff verwendenden Personen. Eine „naturgegebene“ Bedeutung eines Begriffs oder eines Ausdrucks gibt es nicht.
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Mittels Definition lässt sich die Bedeutung eines Ausdrucks festsetzen. Definitionen sind nicht wahr oder falsch, sondern nur mehr oder weniger zweckmäßig oder „adäquat“.[35] Natürlich lassen sich Definitionen an Adäquatheitsbedingungen messen, die die Brauchbarkeit der Sprachfestsetzung für die angestrebten Zwecke umschreiben, etwa die Eindeutigkeit der Bedeutungsfestsetzung, ihre Verständlichkeit, ihre Widerspruchsfreiheit, ihre Vereinbarkeit mit akzeptierten Randbedingungen oder auch ihre praktische Anwendbarkeit, ein Faktor, der für die Rechtswissenschaft eine besondere Rolle spielt oder zumindest spielen sollte.[36]
6. Abschnitt: Die Straftat › § 27 System- und Begriffsbildung im Strafrecht › C. Geistesgeschichtlicher Hintergrund
C. Geistesgeschichtlicher Hintergrund
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Ein wesentlicher Vorteil eines strukturierten Verbrechensaufbaus liegt in seinen Leistungen zur Sicherstellung der Bindung des Rechtsanwenders an das Gesetz. Geistesgeschichtlicher Hintergrund ist die Rechtsphilosophie der Aufklärung (→ AT Bd. 1: Eric Hilgendorf, Die geistesgeschichtlichen Grundlagen des heutigen Strafrechts in der Aufklärung, § 6). Allerdings hat das aufklärerische Denken nicht in allen Ländern zu einer vergleichbar ausdifferenzierten Strafrechtsdogmatik geführt. Ein wichtiger zusätzlicher Faktor in Deutschland war der systematische Ansatz von Paul Johann Anselm Ritter von Feuerbach, der den Grundstein zur Entwicklung der in besonderem Maße „systemaffinen“ Strafrechtsdogmatik in Deutschland – aber nicht nur dort – gelegt hat.
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Feuerbach verdankte seine Neigung zu systematischem Denken und Darstellen wohl vor allem den Einflüssen der zeitgenössischen Philosophie, denen er als junger Philosophiestudent in Jena ausgesetzt war. Während Feuerbach in seinen kriminalpolitischen und rechtsphilosophischen Ansichten zeit seines Lebens von der französischen Aufklärungsphilosophie beeinflusst blieb,[37] wurde er in seiner Jugend formal entscheidend von Kant geprägt. Darüber, ob er zumindest eine Zeit lang auch inhaltlich Positionen des Königsberger Philosophen vertreten hat, besteht keine Einigkeit.[38]
I. Zum Systemdenken im Recht
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Der Ausdruck „System“ lässt sich vom griechischen Wort „systema“ herleiten, was so viel wie „Zusammenstellung“ bedeutet.[39] Ein wissenschaftliches System ist aber mehr als eine bloße Aneinanderreihung von Gesichtspunkten: es soll das vorhandene Wissen zu einer – im besten Fall logisch strukturierten – Einheit zusammenfügen. Kant nennt das System ein „nach Prinzipien geordnetes Ganzes der Erkenntnis“.[40] Verstanden in diesem Sinne, ist das System bzw. ein systematisches Vorgehen heute kennzeichnendes Merkmal jeder Wissenschaft.[41]
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Ansätze zu juristischer Systembildung finden sich bereits in der Antike, allerdings nicht im griechischen Recht, sondern erst in Rom. Die ersten Formen juristischer Systembildung sind wohl das Ergebnis einer Rezeption der griechischen Philosophie und Wissenschaftslehre durch die römische Jurisprudenz.[42] Ciceros verlorengegangene Schrift „de jure civili in artem redigendo“ soll, so wird heute angenommen, eine Strukturierung des römischen Rechts im Geist der griechischen Wissenschaftslehre eingefordert haben. In der Praxis blieb dieser Ansatz aber weitgehend folgenlos: Die klassischen römischen Juristen orientierten sich ganz überwiegend an Einzelfällen und beschränkten sich auf eine eher „assoziative(…) Stoffanordnung“.[43]
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Die bekannteste Ausnahme ist das für Unterrichtszwecke konzipierte Institutionensystem des Gaius. Es diente der europäischen Zivilrechtswissenschaft bis in das 19. Jahrhundert hinein als Referenzwerk, und immer wieder wurde versucht, auf seiner Grundlage leistungsfähigere Systeme zu entwerfen.[44] Wichtige Etappen der „Arbeit am System“ in der europäischen Rechtsgeschichte bilden die Vernunftrechtswissenschaft der Aufklärung und der wissenschaftliche Positivismus der Begriffsjurisprudenz.[45]
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Als ein Hauptvertreter der Begriffsjurisprudenz gilt der junge Rudolf von Jhering. In den 50er Jahren des 19. Jahrhunderts postulierte er eine „naturhistorische Methode“, wonach rechtsdogmatisches Arbeiten als bloßes Konstruieren mit Begriffen gedeutet werden könne.[46] Jhering hat sich allerdings in späteren Arbeiten entschieden von dieser Ansicht distanziert und das jeweils geltende Recht als Ergebnis von Interessenkonflikten gedeutet.[47] Legt man ein solches Verständnis von Recht zugrunde, so ist auch die Systematik des Rechts grundsätzlich abhängig von den sie bestimmenden Interessen, sie ist also nicht etwa a priori vorgegeben, sondern dem historischen Wandel unterworfen.[48]
II. Varianten des Systemdenkens
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Es ist heute üblich, verschiedene Arten von Systemen zu unterscheiden. Dazu gehört zunächst die Differenzierung zwischen äußerem und innerem System. Ein äußeres System dient vor allem Darstellungszwecken, während ein inneres System die sachliche Struktur eines Gegenstandsbereichs wiederzugeben versucht.[49] Nicht selten findet das innere System im äußeren einen Ausdruck, man denke nur an die heute allgemein übliche Darstellung des Besonderen Teils