Handbuch des Strafrechts. Jan C. Joerden
Grundfragen
I. Grundlagen
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Zwar handelt es sich bei dem Strafanwendungsrecht um nationales Recht (Rn. 5). Es darf aber nicht außer Blick geraten, dass sich der dadurch festgelegte räumliche Geltungsbereich der eigenen Strafrechtsordnung (angesichts der gesellschaftlichen und technischen Entwicklungen: zunehmend) auch auf Sachverhalte erstrecken kann, die ebenso die Strafgewalt anderer souveräner Staaten betreffen. Bei der Setzung und Interpretation strafanwendungsrechtlicher Normen darf daher nicht eine rein nationale Perspektive angelegt werden, sondern sind auch völkerrechtliche Prinzipien hinreichend zu beachten.
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Grundlegend ist zunächst das sog. Territorialitätsprinzip (Rn. 17 ff.) mit seiner Anknüpfung an das Staatsgebiet zur Bestimmung wie Beschränkung der nationalen Strafgewalt. Sofern ein Staat seine Strafgewalt darüber hinaus auf fremdes Territorium ausweiten will, indem auch dort begangene Taten dem eigenen Recht unterstellt werden, setzt das sog. Nichteinmischungsprinzip, das auf der souveränen Gleichheit sämtlicher Staaten beruht, Grenzen. Schließlich bedeutete eine solche Ausdehnung, sich in die inneren Angelegenheiten des anderen Staates einzumischen und ihm die ausschließliche Zuständigkeit zur Strafverfolgung auf seinem Hoheitsgebiet abzusprechen.[19] Dieses Interventionsverbot verkörpert eine allgemeine Regel des Völkerrechts, die gemäß Art. 25 GG zwar Bestandteil des Bundesrechts ist, aber gegenüber den einfachen Gesetzen einen Anwendungsvorrang genießt.[20]
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Um die nationale Strafgewalt auch für Auslandstaten zu beanspruchen, bedarf es stets eines sog. „genuine link“, eines völkerrechtlich zulässigen „sinnvollen“[21] oder „legitimierenden Anknüpfungspunkts“.[22] Kein Staat darf seine nationale Strafgewalt somit nach Belieben ausdehnen.[23] So hat schon die wegweisende Lotus-Entscheidung des Internationalen Strafgerichtshofs vom 7. September 1927 hervorgehoben, dass es einem Staat zwar nicht grundsätzlich verwehrt ist, auch „Personen, Vermögen und Handlungen ausserhalb ihres Gebietes durch ihre Gesetze zu erfassen und der Gerichtsbarkeit ihrer Gerichte zu unterwerfen“.[24] Allerdings dürfe ein Staat nicht die Grenzen überschreiten, die das internationale Recht seiner Zuständigkeit ziehe.[25]
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Als „genuine link“ kommen verschiedene Kriterien in Betracht. So wird unter Anknüpfung an den Begehungsort der Tat bei Straftaten auf Schiffen und Luftfahrzeugen unter eigener Flagge das Flaggenprinzip (Rn. 20) bemüht, um einen inländischen Tatort auch außerhalb des eigenen Staatsgebiets zu fingieren. Außerdem kann die Zugehörigkeit des Täters bzw. Opfers zum eigenen Staatsvolk herangezogen werden; wird auf die Staatsangehörigkeit des Täters verwiesen, um nationale Strafgewalt zu beanspruchen, ist von dem aktiven Personalitätsprinzip die Rede (Rn. 22), bei der Staatsangehörigkeit des Opfers vom passiven Personalitätsprinzip oder auch Individualschutzprinzip (Rn. 24). Des Weiteren kann nach dem Realprinzip oder auch Staatsschutzprinzip (Rn. 26 f.) der Schutz des Staates bzw. inländischer Rechtsgüter einen legitimierenden Anknüpfungspunkt darstellen. Ist ein Rechtsgut weltweit anerkannt, so dass für dessen Schutz kein Staat allein, sondern nur die Staatengemeinschaft insgesamt zuständig ist, streitet das sog. Weltrechtsprinzip für die Ausübung originärer Strafgewalt (Rn. 28 f.).
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Verzichtet werden kann auf einen „genuine link“, wenn ein Staat seine Gerichtsbarkeit im Einverständnis mit einem anderen Staat ausübt und sich somit gerade nicht unzulässig in dessen Angelegenheiten einmischt.[26] Das Prinzip der stellvertretenden Strafrechtspflege gestattet in diesem Fall, subsidiär eine von einem anderen Staat abgeleitete Strafgewalt wahrzunehmen (Rn. 30 f.).
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Ob und ggf. in welcher Reihenfolge bzw. in welchen Kombinationen ein souveräner Staat auf diese oder andere legitimierende Anknüpfungspunkte zurückgreift, steht ihm grundsätzlich frei. Er hat nicht nur über die Strafbarkeit eines Verhaltens, sondern ebenso über die Reichweite der Strafgewalt bei Sachverhalten mit Auslandsbezug zu entscheiden.[27] Insoweit wird auch von der Kompetenz-Kompetenz der Staaten gesprochen.[28] Der beträchtliche Entscheidungsspielraum eines Staates bei Rückgriff, Kombination und Änderung der legitimen Anknüpfungspunkte für seine Strafgewalt findet seine Grenzen nur in einem allgemeinen Willkür- und Rechtsmissbrauchsverbot.[29] Demnach steht es nicht in der Kompetenz eines Staates, seine Zuständigkeit zur Verfolgung von Straftaten willkürlich zu begründen.[30]
1. Territorialitäts- und Ubiquitätsprinzip
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Auf der Erstreckung der Staatsgewalt auf das eigene Staatsgebiet beruht das völkerrechtlich allgemein anerkannte Territorialitätsprinzip (oder auch Gebietsgrundsatz). Es gewährt einem souveränen Staat als Ausdruck seiner Gebietshoheit das Recht, seine Strafgewalt auf sämtliche Taten zu erstrecken, die auf dem eigenen Staatsgebiet begangen werden.[31] Dies beinhaltet zunächst, auf seinem Territorium grundsätzlich nach Belieben bestimmte Handlungen zu untersagen oder zu fordern und bei Fehlverhalten auch im Rahmen seiner Strafgewalt strafrechtliche Sanktionen auszusprechen. Primärer und unumstrittener Anknüpfungspunkt ist somit der Ort, an dem der Täter handelt bzw. etwas unterlässt.[32] Die Staatsangehörigkeiten von Täter und Opfer sind ohne Belang.[33]
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Eine territoriale Anknüpfung gestatten aber nicht nur die Handlungen eines Täters, sondern auch die dadurch verursachten Folgen. Nach dem sog. Auswirkungsgrundsatz („effects principle“)[34] können die Wirkungen einer Tat (z.B. der durch einen Schuss über die Grenze herbeigeführte Tod eines Menschen) ebenso als Anknüpfungspunkt für die nationale Strafgewalt herangezogen werden. Da entscheidend auf den Ort abgestellt wird, an dem die jeweiligen Wirkungen eintreten, wird letztlich wiederum die nationale Strafgewalt eines Staates über dessen Gebietshoheit begründet. Es erscheint daher angebracht, den Auswirkungsgrundsatz als Ausprägung des Territorialitätsprinzips anzusehen.[35]
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Um die eigene Strafgewalt auf seinem Territorium ausüben zu können, bleibt festzustellen, ob dort überhaupt eine Straftat begangen wurde. Ohne diese Vorfrage zu beantworten kann das Territorialitätsprinzip nicht bemüht werden.[36] Um den Begehungsort einer Tat zu bestimmen, existieren verschiedene Ansätze, die – alternativ oder kumulativ – auf die Handlung selbst oder auf deren Auswirkungen abstellen. Am weitaus verbreitetsten ist hierbei das sog. Ubiquitätsprinzip, wonach eine Straftat sowohl am Handlungs- bzw. Unterlassensort (so allein die sog. Handlungstheorie) als auch am Erfolgsort (lediglich hierauf stellt die sog. Erfolgstheorie ab) begangen wird.[37]
2. Flaggenprinzip
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Nach dem sog. Flaggenprinzip darf ein Staat seine Staats- und Strafgewalt generell, d.h. auch auf im Ausland befindlichen Beförderungsmitteln zu Luft, zu Wasser