Europäisches Marktöffnungs- und Wettbewerbsrecht. Peter Behrens
Beschränkungen der Ein- oder Ausfuhr.
1. Finanzielle Belastungen
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Bei den finanziellen Belastungen des internationalen Warenverkehrs sind rechtlich relevante Unterscheidungen zu treffen:
– | Werden Abgaben aus Anlass der Ein- oder Ausfuhr von Waren erhoben, dann handelt es sich um Zölle bzw. zollgleiche Abgaben (Grenzabgaben). |
– | Werden Abgaben auf Waren im Rahmen eines allgemeinen Abgabensystems erhoben, das Waren im Prinzip unabhängig von ihrer ausländischen oder inländischen Herkunft erfasst, dann handelt es sich der Sache nach um Steuern (interne Abgaben). |
– | Werden Abgaben als Gegenleistung für bestimmte Leistungen der staatlichen Verwaltung erhoben, dann handelt es sich um Entgelte (Gebühren). |
Unter dem Aspekt der Abschaffung von Handelsbeschränkungen zum Zweck der Errichtung des Binnenmarkts haben diese verschiedenen Arten von Abgaben durchaus ganz unterschiedliche Bedeutung. Sie werden demgemäß vom Unionsrecht auch unterschiedlich geregelt.
a. Zölle und zollgleiche Abgaben
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Kernbestandteil des Binnenmarkts ist gem. Art. 28 Abs. 1 AEUV eine Zollunion: Es ist den Mitgliedstaaten untersagt, im Verhältnis zueinander auf Waren Ein- oder Ausfuhrzölle zu erheben (Art. 30 AEUV). Zölle können daher nur noch den Warenverkehr mit Drittstaaten belasten; insoweit werden sie aber in allen Mitgliedstaaten einheitlich auf der Grundlage eines Gemeinsamen Zolltarifs erhoben (Art. 28 Abs. 1 AEUV). Daher kommt es – anders als typischerweise in einer bloßen Freihandelszone, die nicht über einen gemeinsamen Zolltarif gegenüber Drittstaaten verfügt – für die Befreiung von Binnenzöllen nicht darauf an, ob die Waren ihren Ursprung in einem Mitgliedstaat haben oder aus einem Drittstaat stammen (Art. 28 Abs. 2 AEUV). Sind die letzteren einmal ordnungsgemäß (insbesondere unter Beachtung der zollrechtlichen Einfuhrformalitäten) in einen der Mitgliedstaaten eingeführt, so können sie auch bei der anschließenden Einfuhr in einen anderen Mitgliedstaat nicht mit Zöllen belegt werden (Art. 29 AEUV). Ein deutscher Importeur, der aus Frankreich japanische Videorecorder bezieht, braucht darauf keinen Zoll zu zahlen. Zölle sind als solche unschwer daran zu erkennen, dass sie anlässlich des Grenzübertritts einer Ware entsprechend einem in einem Zolltarif verankerten Satz erhoben und als solche bezeichnet werden, ohne dass eine entsprechende Abgabe für gleichwertige inländische Abgaben erhoben wird.[7]
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Nun können Staaten allerdings außerordentlich erfinderisch sein, wenn es darum geht, trotz Zollverbots den grenzüberschreitenden Warenverkehr durch finanzielle Belastungen zu lenken, insbesondere die inländische Wirtschaft durch die Belastung von Importwaren mit finanziellen Abgaben vor Konkurrenzdruck zu schützen. Deshalb enthält der AEUV gewissermaßen ein Umgehungsverbot, indem er nicht nur Zölle untersagt, sondern auch alle Abgaben „zollgleicher Wirkung“. Es gibt aber andererseits auch durchaus legitime staatliche Gebühren, die als Entgelte für individualisierbare Leistungen (und nicht für Tätigkeiten im Allgemeininteresse) auf Importe oder Exporte erhoben werden, ohne dass sie die Behinderung des Warenverkehrs zum Ziel haben oder bewirken (siehe dazu unten Rn. 130).[8] Hier besteht also ein Abgrenzungsproblem, das der EuGH in einer langen Reihe von Urteilen zu lösen versucht hat. Für die Gleichstellung einer Abgabe mit einem Zoll lässt es der Gerichtshof genügen, dass eine Ware spezifisch aus Anlass des Grenzübertritts finanziell belastet wird.[9] Die Höhe der Abgabe ist ebenso wenig von Bedeutung wie ihre formelle Bezeichnung oder die Art ihrer Erhebung (sie kann auch zeitlich oder örtlich nach dem Grenzübertritt erhoben werden).[10] Es kommt auch nicht darauf an, ob die Abgabe vom Staat selbst oder von einer sonstigen Einrichtung wie beispielsweise einer öffentlichen Körperschaft mit Billigung des Staates zur Finanzierung öffentlicher Aufgaben erhoben wird.[11]
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Es ist versucht worden, zollgleiche Abgaben auf Importe im Einzelfall etwa durch das Fehlen einer protektionistischen Wirkung mangels konkurrierender Inlandsprodukte zu rechtfertigen; oder man hat eine solche Abgabe damit zu legitimieren versucht, dass sie gar nicht dem Staat, sondern einer nichtstaatlichen Einrichtung zugutekomme. Einwände solcher Art hat der EuGH zurückgewiesen. Für ihn war stets die Überlegung entscheidend, dass der Binnenmarkt die Abschaffung jeglicher preiserhöhender Grenzabgaben voraussetzt, die den Wettbewerb verfälschen würden.[12] Insbesondere ist darauf hinzuweisen, dass der AEUV – anders als bei mengenmäßigen Beschränkungen bzw. Maßnahmen gleicher Wirkung – keine Ausnahmeregelungen enthält, die es den Mitgliedstaaten gestatten würden, sich zur Abwehr von Gefährdungen bestimmter Güter des Allgemeinwohls der Erhebung von Zöllen oder zollgleichen Abgaben zu bedienen.[13] Verbotene Abgaben lassen sich insbesondere nicht dadurch rechtfertigen, dass sie der Deckung der Kosten von Maßnahmen dienen, die ihrerseits als Maßnahmen gleicher Wirkung gem. Art. 34 AEUV verboten, aber gem. Art. 36 AEUV gerechtfertigt sind.[14] Dem liegt die Überlegung zugrunde, dass es keine denkbare Situation gibt, in der die Gefährdung zwingender Allgemeininteressen durch die Erhöhung von Warenpreisen wirksam bekämpft werden könnte.
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Insgesamt ist somit die Belastung ausländischer Waren mit Grenzabgaben unzulässig. Innerhalb des Binnenmarkts geht es aber nicht nur um die Beseitigung der in solchen Abgaben liegenden Diskriminierung nach der Herkunft der Waren. Das Verbot von Zöllen und zollgleichen Abgaben soll überhaupt die abgabenrechtlichen Schranken des zwischenstaatlichen Wirtschaftsverkehrs beseitigen, einschließlich der Hindernisse, die das abgabenrechtliche Abfertigungsverfahren mit sich bringt. Da Art. 26 Abs. 2 AEUV den Binnenmarkt als einen „Raum ohne Binnengrenzen“ definiert, verlangt er die Abschaffung jeglicher abgabenrechtlicher Grenzkontrollen zwischen den Mitgliedstaaten.[15]
b. Interne Abgaben
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Während die Mitgliedstaaten ihre Zollhoheit durch den AEUV aufgegeben haben, ist ihre Steuerhoheit im Grundsatz bestehen geblieben. Daher ist die Erhebung interner Abgaben im Rahmen eines allgemeinen Abgabensystems nicht verboten.[16] Allerdings können auch solche Abgaben mit dem Ziel der Warenverkehrsfreiheit in Konflikt geraten, wenn sie Import- oder Exportwaren stärker belasten als Waren, die im Inland hergestellt und vertrieben werden. Für die Lösung dieses Konflikts stellt der AEUV der Sache nach wieder auf das Kriterium der Wettbewerbsverfälschung ab: Nach Art. 110 Abs. 1 AEUV unterliegen interne Abgaben auf ausländische Waren einem Diskriminierungsverbot (dh die Mitgliedstaaten dürfen ausländische Waren keinen höheren Belastungen unterwerfen als gleichartige inländische Waren); sie sollen also auf dem Inlandsmarkt zu gleichen Wettbewerbsbedingungen wie inländische Waren angeboten werden können. In der Logik des Kriteriums der Wettbewerbsverfälschung liegt es, dass – obwohl dies im Wortlaut der Vorschrift nicht anklingt – auch inländische Waren, die für den Export bestimmt sind, keinen höheren internen Abgaben unterworfen werden dürfen als entsprechende Waren, die zum inländischen Vertrieb bestimmt sind.[17] Typischerweise erfasst Art. 110 Abs. 1 AEUV aber nicht eine etwaige steuerliche Schlechterstellung inländischer Waren, die im Inland verbleiben.[18] Eine solche – auch in anderen Zusammenhängen denkbare – „umgekehrte“ Diskriminierung erfasst das Unionsrecht nicht; vielmehr ist es jedem Mitgliedstaat selbst überlassen, insoweit für Abhilfe zu sorgen. Daran zeigt sich, dass das Prinzip der Abschaffung von Marktzutrittsbeschränkungen und Wettbewerbsverfälschungen, das in den Freiverkehrsregeln zum Ausdruck kommt, am zwischenstaatlichen Wirtschaftsverkehr ausgerichtet ist.
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