Examens-Repetitorium Familienrecht. Martin Lipp
(Vollstreckungsschuldner), im Titel und der beigefügten Vollstreckungsklausel namentlich benannt sind (vgl. § 750 ZPO). Weil der Ehemann der verurteilten Alleinmieterin nach § 1353 Abs. 1 S. 2 ein Recht zum Besitz an der Ehewohnung hatte und die Räumungsvollstreckung auch seinen Besitz beenden würde, müsste auch er zur Räumung der Wohnung verurteilt werden (was nicht geschehen war). Der Gerichtsvollzieher darf nur die tatsächlichen Besitzverhältnisse prüfen und Zwangsmaßnahmen nur gegen die im Räumungstitel benannten Besitzer ergreifen.[7] Die Zwangsvollstreckung wird in Fall 12 daher zurecht von G abgelehnt.
Dritter Teil Eheliche Lebensgemeinschaft › § 7 Besitzrecht der Ehegatten › III. Dauer des Besitzrechts und Besitzschutz
III. Dauer des Besitzrechts und Besitzschutz
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Fall 13:
Die miteinander verheirateten M und F leben in einer dem M gehörenden Wohnung, wobei eine Lebensgemeinschaft im Übrigen nicht mehr existiert. M will von F getrennt leben und verlangt deshalb von ihr, seine Wohnung zu verlassen. Schließlich zieht F aus. Eines Abends steht M in einem leeren Wohnzimmer. F hat die Einrichtungsgegenstände mit der (zutreffenden) Behauptung, dass diese in ihrem Eigentum stehen, entfernt und zu sich genommen.
Dritter Teil Eheliche Lebensgemeinschaft › § 7 Besitzrecht der Ehegatten › III. Dauer des Besitzrechts und Besitzschutz › 1. Dauer des Besitzrechts
1. Dauer des Besitzrechts
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Man könnte in Fall 13 überlegen, dass M gemäß § 985 von F Herausgabe (und nach § 1004 Räumung) seiner Wohnung verlangen konnte, wenn der F ein Recht zum Besitz (§ 986 Abs. 1 S. 1) nicht mehr zustand; und umgekehrt könnte F von M die Herausgabe der ihr gehörenden Haushaltsgegenstände nach § 985 verlangen, wenn M kein Recht zum Besitz mehr hat. Dies hängt davon ab, ob das Besitzrecht aus § 1353 Abs. 1 S. 2 die tatsächliche Lebensgemeinschaft zur Grundlage hat oder lediglich an das Eheband (den Rechtsbegriff „Ehe“) anknüpft. Das Recht zum Besitz aus § 1353 Abs. 1 S. 2 zählt zu den Ehefolgen, die allein den Bestand des Rechtsverhältnisses „Ehe“ (im Rechtssinne) voraussetzen. Das Besitzrecht dauert demgemäß über die Trennungsphase hinweg bis zur rechtskräftigen Scheidung,[8] sofern sich aus dem Gesetz nichts anderes ergibt. Letzteres gilt etwa für die Regelung in § 1361a Abs. 1, die einen Anspruch auf Zuteilung der Haushaltsgegenstände während des Getrenntlebens vorsieht und als lex specialis einen Anspruch des Eigentümers (hier der F) aus § 985 sperrt (dazu Rn. 341 ff.). Danach kann jeder Ehegatte im Grundsatz die ihm gehörenden Haushaltsgegenstände von dem anderen Ehegatten herausverlangen, sofern der andere nicht auf den Gebrauch angewiesen ist und eine Überlassung an ihn der Billigkeit entspricht; eine eigenmächtige Wegnahme bzw. Besitzentziehung kann dagegen possessorische Ansprüche auslösen (dazu Rn. 161 ff.).
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Gleiches gilt für die Ehewohnung: Das Recht zum Mitbesitz an der Ehewohnung hat über die Trennung hinaus Bestand, solange keine Zuweisung nach § 1361b erfolgt ist. In der Rechtsprechung wird zwar diskutiert, ob das Besitzrecht des einen Ehegatten schon dann endet, wenn die Voraussetzungen des § 1361b Abs. 1 für eine solche Zuweisung erfüllt sind, der BGH hat diese Frage bislang jedoch offengelassen.[9] Vor und während des Ehescheidungsverfahrens endet das Besitzrecht eines Ehegatten nur, wenn dieser die eheliche Wohnung in Scheidungsabsicht endgültig verlassen hat (vgl. § 1361b Abs. 4).[10] Das bedeutet für Fall 13, dass F, jedenfalls solange sie in der Ehewohnung verblieben war, trotz der gescheiterten Beziehung ein Recht zum Besitz aus § 1353 Abs. 1 S. 2 hatte (§ 986 Abs. 1 S. 1) und dieses erst verliert, wenn sie innerhalb von sechs Monaten nach dem Auszug eine ernstliche Rückkehrabsicht nicht gegenüber M bekundet. Eine Zuweisung der Ehewohnung kann sie allerdings nur über § 1361b erreichen.
Dritter Teil Eheliche Lebensgemeinschaft › § 7 Besitzrecht der Ehegatten › III. Dauer des Besitzrechts und Besitzschutz › 2. Possessorischer Besitzschutz (§§ 858 ff.)
2. Possessorischer Besitzschutz (§§ 858 ff.)
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Soweit Ehegatten untereinander verbotene Eigenmacht verüben (§ 858 Abs. 1), stehen grundsätzlich auch ihnen die allgemeinen Besitzschutzansprüche (§§ 861, 862) und das Selbsthilferecht des Besitzers (§ 859) zu.[11] Soweit die Ehegatten Mitbesitzer sind, findet § 866 Anwendung, der bei vollständigem Besitzentzug den possessorischen Besitzschutz gerade nicht ausschließt.
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Stark umstritten ist, ob die Rechtsbehelfe des Besitzschutzes auch gelten, wenn die Ehe gescheitert ist und die Ehegatten getrennt leben. Dann müsste F (Fall 13) – ohne Rücksicht auf die Eigentumslage (§ 863) – die Einrichtungsgegenstände an M zurückgeben (§ 861 Abs. 1).[12]
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Der BGH hat zu dieser Frage noch nicht Stellung genommen. Teile der Literatur[13] und der Rechtsprechung[14] bejahen einen possessorischen Besitzschutz auch zwischen getrennt lebenden Ehegatten mit dem Argument, dass gerade in einer sich auflösenden Ehe der eigenmächtige Zugriff eines Partners auf Ehewohnung oder Hausrat verhindert werden müsse.
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Die Gegenansicht weist auf die §§ 1361a, 1361b als spezialgesetzliche Regelungen auch im materiell-rechtlichen Sinne hin und verneint einen Herausgabeanspruch nach § 861 immer dann, wenn die Voraussetzungen des § 1361a Abs. 1 oder Abs. 2 vorliegen.[15] Ein Rückgabeverlangen könne nur nach Maßgabe des § 1361a geltend gemacht werden.[16]
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Eine vermittelnde Ansicht[17] kommt zur Anwendung possessorischen Rechtsschutzes jedenfalls dann, wenn der auf Rückgabe bestehende Ehegatte damit keine Verteilung der Haushaltsgegenstände i.S.d. § 1361a, sondern lediglich die Wiederherstellung des ursprünglichen Besitzstandes anstrebe und der in Anspruch genommene Partner den entfernten Gegenstand nicht dringend zur eigenen Bedarfsdeckung benötige. Dabei sei § 861 entsprechend anzuwenden, weil durch die Zuweisung des Streits an das Familiengericht (jetzt §§ 111 Nr. 5, 200 ff. FamFG) die allgemeinen zivilrechtlichen Besitzschutzansprüche grundsätzlich durch §§ 1361a, 1361b verdrängt seien.[18]
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Der Auffassung von der spezialgesetzlichen Regelung des Besitzschutzes unter getrenntlebenden Ehegatten durch §§ 1361a, 1361b steht der Grundsatz der strikten Trennung zwischen Possessorium (Besitz) und Petitorium (Recht zum Besitz) entgegen. Die possessorischen Ansprüche stellen die frühere Besitzlage ohne Rücksicht darauf wieder her, ob diese Besitzlage