Examens-Repetitorium Familienrecht. Martin Lipp
soll lediglich zum Ausdruck bringen, dass es keiner förmlichen Einigung der Ehegatten bedarf, sondern auch die tatsächliche Handhabung ausreicht.[40] Teilweise wird Absprachen zwischen Ehegatten der Charakter eines Rechtsgeschäfts zugesprochen.[41] Aber gerade in dem Punkt, in dem sich die Normqualität eines Rechtsgeschäftes (Vertrag) zu erweisen hat, nämlich in der Bindung an den geäußerten Willen, weicht das gegenseitige Einvernehmen grundlegend von einem Vertrag im Sinne der allgemeinen Rechtsgeschäftslehre ab. Es fehlt regelmäßig nicht nur an einem entsprechenden Erklärungsbewusstsein und Rechtsfolgewillen der Beteiligten,[42] sondern es liegt der durch „Überlassen“ (§ 1356 Abs. 1 S. 2) getroffenen Regelung oft genug (und selbstverständlich) die Vorstellung einer Änderung zu „gegebener Zeit“ zugrunde.[43] Auch die Vertreter einer rechtsgeschäftlichen Natur sehen sich letztlich zu Konzessionen gezwungen.[44] Im höchstpersönlichen Autonomiebereich stehen einer Bindungswirkung von Absprachen der Ehegatten schon die Wertungen der Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG entgegen (vgl. Rn. 35); und im Übrigen können durch alle die eheliche Lebensführung einvernehmlich ausgestaltende Absprachen zwischen Ehegatten bindende Vereinbarungen nur insoweit angenommen werden, als ein konkreter Rechtsbindungswille im Einzelfall nachweisbar festgestellt werden kann.[45] Die Beweislast trifft denjenigen Ehegatten, der eine rechtliche Verbindlichkeit der Vereinbarung behauptet.
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Davon abgesehen begründet das gegenseitige Einvernehmen über die Ausgestaltung der ehelichen Lebensgemeinschaft allerdings einen Vertrauenstatbestand,[46] der über die Rücksichtnahmepflicht gemäß § 241 Abs. 2 rechtliche Relevanz erlangt. Wenn ein Partner an einem bestehenden Einvernehmen nicht länger festhalten will und dies finanzielle Folgen für die Ehe oder Familie hat, ist er an das Einvernehmen zwar nicht für die Zukunft gebunden, er muss seinen Änderungswunsch aber rechtzeitig mitteilen, damit sich der andere Ehegatte darauf einstellen kann; anderenfalls handelt er pflichtwidrig mit der Folge, dass er für den durch die Verletzung der Rücksichtnahmepflicht kausal verursachten Schaden nach § 280 Abs. 1 haftet.
Dritter Teil Eheliche Lebensgemeinschaft › § 6 Eheliche Pflichten und Haftung bei Pflichtverletzungen › IV. Haftungsmaßstab
IV. Haftungsmaßstab
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Für die „sich aus dem ehelichen Verhältnis ergebenden Verpflichtungen“ statuiert § 1359 einen besonderen innerehelichen Haftungsmaßstab. Ehegatten sollen sich nehmen, wie sie sind. § 1359 bestimmt daher, dass Ehepartner bei Erfüllung der für sie aus der Ehe resultierenden Verbindlichkeiten einander nicht nach der allgemeinen Sorgfaltspflicht des § 276 haften, sondern lediglich für die Sorgfalt, die sie in eigenen Angelegenheiten wahren (diligentia quam in suis) – d.h., sie haften erst ab der Schwelle grober Fahrlässigkeit (§ 277). Die Vorschrift des § 1359 gibt nur einen Haftungsmaßstab, keinen Haftungsgrund (es handelt sich nicht um eine Anspruchsgrundlage). Sie bezieht sich auf alle Pflichten, die sich aus der ehelichen Lebensgemeinschaft ergeben, und betrifft damit neben den anerkannten Leistungspflichten insbesondere die Pflicht zur Rücksichtnahme (§ 241 Abs. 2; vgl. Rn. 141 f.).
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An dieser Regelung (vgl. auch § 1664 für das Eltern-Kind-Verhältnis) zeigt sich, dass auch der BGB-Gesetzgeber davon ausgegangen ist, dass zwischen Ehegatten (sowie zwischen Eltern und ihren Kindern) schuldrechtliche Schadensersatzansprüche im Falle einer Pflichtverletzung entstehen können: Die Anordnung eines geringeren Sorgfaltsmaßstabs innerhalb familienrechtlicher Rechtsverhältnisse wäre überflüssig, wenn es keine schuldrechtlichen Schadensersatzansprüche bei Verletzung der Pflichten aus dem ehelichen Lebensverhältnis geben könnte. Da es gleichzeitig an einer speziellen familienrechtlichen Anspruchsgrundlage für Schadensersatzansprüche fehlt, verbleibt nur der durch die Materialien zum BGB bestätigte[47] Schluss, dass der Gesetzgeber schlicht die allgemeinen schuldrechtlichen Anspruchsgrundlagen, d.h. § 280 Abs. 1 und § 823, für anwendbar erachtet und im Familienrecht nur dann Spezialvorschriften vorgesehen hat, wenn er Abweichungen von den allgemeinen Vorschriften (hier: § 276) für geboten hält. Es ist daher erstaunlich, dass § 280 Abs. 1 im Zusammenhang mit § 1359 – soweit ersichtlich – in der Literatur nicht ausdrücklich als Anspruchsgrundlage benannt wird. Will man § 1359 mit der h.M. richtigerweise nicht selbst als Anspruchsgrundlage ansehen und nimmt man mit der einhelligen Meinung in der Literatur an, dass die Vorschrift „auch“ für deliktische Ansprüche gilt,[48] bleibt nichts anderes übrig, als für daneben nicht geleugnete außerdeliktische Ansprüche auf § 280 Abs. 1 als Anspruchsgrundlage zurückzugreifen.
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Ins Blickfeld der Praxis ist die Anwendung des § 1359 insbesondere im Zusammenhang mit Straßenverkehr und Freizeitsport geraten. Nach ständiger Rechtsprechung[49] und ganz herrschender Meinung[50] findet § 1359 keine Anwendung auf Sorgfaltspflichten im Straßenverkehr, weil hier kein Raum sei für die Berufung auf individuelle Sorglosigkeit (teleologische Reduktion).[51] Der historische Gesetzgeber habe die Entwicklung des Straßenverkehrs nicht vorhergesehen, die es unerlässlich gemacht habe, unabhängig von persönlichen Eigenarten und Gewohnheiten eindeutige und strenge Haftungsmaßstäbe aufzustellen.[52] Außerdem rechtfertigt der BGH die Einschränkung des Anwendungsbereichs von § 1359 mit Blick auf die Schwierigkeiten, die sich bei Beteiligung eines Zweitschädigers ergeben, der neben dem schuldigen Ehegatten für den Schaden mitverantwortlich ist. In diesen Fällen hat der BGH dem verantwortlichen Zweitschädiger gegen den ebenfalls schuldigen Ehegatten selbst dann einen Ausgleichsanspruch zuerkannt, wenn im Innenverhältnis zwischen den Ehegatten wegen der Haftungsprivilegierung nach § 1359 eine Schadensersatzpflicht ausscheidet[53] und deshalb an sich überhaupt kein Gesamtschuldverhältnis[54] zwischen den Schädigern besteht.[55] Derartige (eine Gesamtschuld fingierende) Konstruktionen lassen sich, so der BGH, vermeiden, wenn man § 1359 im Straßenverkehr nicht anwende.[56] Des Weiteren argumentiert er, dass die Anwendung der Haftungsprivilegierung im Straßenverkehr im Ergebnis ohnehin nicht den schädigenden Ehegatten, sondern die Kfz-Haftpflichtversicherung privilegieren würde: Da der schädigende Ehegatte einen Anspruch auf Deckung gegen die Versicherung habe, könne der geschädigte Ehegatte darauf zurückgreifen, ohne dem anderen wirtschaftliche Opfer abzuverlangen. Es bestehe daher kein Grund, sich aus ehelicher Rücksicht im Innenverhältnis Beschränkungen bei der Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen aufzuerlegen.[57] Offen ließ der BGH, ob § 1359 nicht generell im „außerhäuslichen Bereich“ unanwendbar sei, auch wenn seiner Ansicht nach gewichtige Gründe dafür sprechen.[58]
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Diese Grundgedanken zur Versagung der Haftungsprivilegierung im allgemeinen Straßenverkehr hat der BGH auch auf gemeinschaftliche Sportaktivitäten der Ehegatten übertragen. Jedenfalls dann, wenn sich hier ein Unfall mit einem „motorgetriebenen Fahrzeug von vergleichbarer Gefährlichkeit“ ereignet (Motorboot), entfällt nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung die Haftungsmilderung nach § 1359.[59]
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Die Ansicht des BGH überzeugt in wesentlichen Punkten nicht, denn die Grundgedanken von § 1359, dass sich die Ehegatten so akzeptieren, wie sie sind, und dass der Familienfrieden nicht durch gegenseitige Ansprüche zwischen den Ehegatten belastet werden soll, treffen auch bei Unfällen im Straßenverkehr zu, zumal sich die Privilegierung auf das Innenverhältnis beschränkt und sie die