Examens-Repetitorium Familienrecht. Martin Lipp
Rechtsschutz bei Ehestörung nach der Rechtsprechung
131
Fall 10:
F und M sind miteinander verheiratet. Seit mehreren Monaten unterhält M ein intimes Verhältnis zu einer Freundin X, von dem F erfährt. Auf Vorhaltungen seiner Frau hin fordert M seinerseits von F mehr „Toleranz“ und eröffnet ihr, dass X demnächst im Gästezimmer der ehelichen Wohnung einziehen wird, weil ihr vor Kurzem die Wohnung gekündigt wurde. Die Anwesenheit der X setzt F derart zu, dass sich erhebliche psychische wie physische Krankheitsbilder zeigen. F muss sich deshalb in ärztliche Behandlung begeben (Kosten: 2.500 €). F fragt nach ihren Rechten.
132
Die seit langem andauernde Diskussion um die rechtliche Behandlung der so genannten Ehestörung beruht auf einem von der hier vertretenen Ansicht abweichenden Verständnis der „Ehe“ und der Anerkennung einer echten Rechtspflicht zur ehelichen Lebensgemeinschaft. Dabei geht es um zwei Schwerpunkte: erstens um die Frage nach dem Inhalt möglicher Ansprüche des verletzten Ehegatten, zweitens um die Überlegung, wie diese Ansprüche im Verhältnis zum (verletzenden) Partner und zu einem mitwirkenden Dritten (Ehestörer) zu behandeln sind. Ausgangspunkt ist die Verantwortlichkeit des ehestörenden Ehegatten.
a) Ansprüche gegen den Ehepartner
133
(1) Unterlassung ehewidrigen Verhaltens
Lehnt man eine aus § 1353 Abs. 1 S. 2 folgende Rechtspflicht zur ehelichen Treue mit der hier befürworteten Ansicht ab (Rn. 128 ff.), so scheidet ein Anspruch auf Unterlassung von „ehewidrigem“ Verhalten und auf Herstellung der ehelichen Lebensgemeinschaft von vornherein aus. Es überrascht daher nicht, dass es in der Praxis seit der Einführung des Zerrüttungsprinzips (§ 1565 Abs. 1: „Scheitern der Ehe“) keine veröffentlichten „Herstellungsklagen“ gestützt auf § 1353 mehr gab, die rein personenrechtliche „Pflichten“ zum Gegenstand hatten. Es erscheint auch wenig sinnvoll, in diesen Fällen ein gerichtliches Verfahren bereit zu halten: Sind die Meinungsverschiedenheiten zwischen den Ehegatten in Bezug auf den Bestand oder Umfang einer persönlichen „Ehepflicht“ so groß geworden, dass einer sich zur Einleitung eines solchen Verfahrens entschließt, wird ein Scheitern der Ehe nicht mehr fern sein, die einen Herstellungsanspruch gemäß § 1353 Abs. 2 ausschließt. Mangels Vollstreckbarkeit eines Titels (§ 120 Abs. 3 FamFG) könnte dadurch lediglich die Feststellung bzw. Klarstellung erreicht werden, ob und inwieweit der andere Ehegatte seinen „ehelichen Pflichten“ zuwidergehandelt hat – wofür dem Richter aber rechtliche Maßstäbe und Richtlinien fehlen. Ist ein Ehegatte nicht freiwillig bereit, den Wünschen des anderen entsprechend eine außereheliche Sexualbeziehung zu unterlassen (so in Fall 10), so wird er sich kaum von einer nicht durchsetzbaren Gerichtsentscheidung eines Besseren belehren lassen.
134
Nichtsdestotrotz gibt es die Ansicht, dass aus § 1353 Abs. 1 S. 2 ein gegenseitiger Anspruch der Eheleute auf Unterlassung ehewidrigen Verhaltens folge, insbesondere auf Unterlassung ehebrecherischer Beziehungen.[7] Durchsetzbare Unterlassungs- und/oder Beseitigungsansprüche gegen den Ehegatten kommen (wegen § 120 Abs. 3 FamFG) allerdings nur gemäß § 1004 analog und zwar dann in Betracht, wenn das ehewidrige Verhalten zugleich einen Eingriff in ein absolut geschütztes Recht i.S.d. § 823 Abs. 1 des Partners bedeutet. Teile der Literatur[8] erkennen der Ehe als solcher den Charakter eines absolut geschützten „sonstigen Rechts“ zu; damit verbindet sich dann die Annahme eines quasi-negatorischen Unterlassungsanspruchs in analoger Anwendung des § 1004 Abs. 1. Der BGH ist dieser Ansicht nicht gefolgt, er hat aber ebenfalls angenommen, dass die Ehe ein Recht auf Fortbestand oder Ungestörtheit der ehelichen Lebensgemeinschaft gewähre.[9] Abgesehen davon, dass schon die dogmatische Einordnung der „Ehe“ als „sonstiges Recht“ nicht überzeugt (vgl. Rn. 11),[10] herrscht jedenfalls weitgehende Einigkeit, dass selbst bei Anerkennung eines absoluten Charakters der Ehe der quasi-negatorische Rechtsschutz an § 120 Abs. 3 FamFG seine Grenze findet: ein Unterlassungstitel müsste nach § 890 ZPO durch Ordnungsgeld/-haft vollstreckt werden, was die Wertungen von § 120 Abs. 3 FamFG unterlaufen würde. Gleiches gilt, wenn man nicht an die Ehe als „sonstiges Recht“ anknüpft, sondern auf eine Gesundheitsbeeinträchtigung oder das allgemeine Persönlichkeitsrecht des betroffenen Ehegatten abstellt: Auch Ehegatten schulden einander Achtung der durch § 823 Abs. 1 geschützten Integritätssphäre, allerdings scheitert ein Anspruch auf Unterlassung „ehewidrigen“ Verhaltens aus § 1004 analog auch insofern jedenfalls an den Wertungen des § 120 Abs. 3 FamFG.
(2) Der Schutz des „räumlich-gegenständlichen Bereichs der Ehe“
135
Rechtsschutz in Form eines Unterlassungsanspruchs gewährt der BGH in ständiger Rechtsprechung dagegen aus dem Gesichtspunkt der Verletzung des „räumlich-gegenständlichen Ehebereichs“,[11] den er als absolut geschütztes Recht anerkennt. Dieser Unterlassungsanspruch (§ 1004 Abs. 1 analog) kann nicht nur gerichtlich geltend gemacht, sondern auch zwangsweise (§ 120 Abs. 1 FamFG i.V.m. § 890 ZPO) durchgesetzt werden.[12]
136
Den BGH hat dabei der Gedanke geleitet, dass Ansprüche wegen ehewidrigen Verhaltens ausgeschlossen sein müssen, weil das Eherecht die persönliche, vorwiegend sittliche Beziehung der Ehegatten untereinander (§ 1353 Abs. 1 S. 2) einer besonderen Regelung unterworfen habe (nunmehr § 120 Abs. 3 FamFG). Diese für das persönliche Verhältnis der Ehegatten bestehende Regel hindere den Schutz (auch zwischen den Eheleuten selbst) aber dort nicht, wo es um den von dieser persönlich-sittlichen Sphäre abzugrenzenden, äußeren Bereich gehe, in dem sich die eheliche Lebensgemeinschaft vollzieht.[13] Diesen äußeren-gegenständlichen Ehebereich zu achten, treffe auch den Ehepartner als eine allgemeine Rechtspflicht. Der Schutzbereich des räumlich-gegenständlichen Bereichs der Ehe umfasst die Ehewohnung, einschließlich des Grundstücks, getrennte Räume innerhalb der Ehewohnung, zum Teil auch getrennte Wohnungen im selben Haus und unter Umständen auch Geschäftsräume, wenn sie dem ehelichen Bereich angegliedert sind (Tatsachenfrage). Die Ehewohnung wird so lange als räumlich-gegenständlicher Bereich der Ehe qualifiziert, als der andere Ehegatte endgültig zum Ausdruck gebracht hat, dass er die eheliche Lebensgemeinschaft nicht wieder aufnehmen will. Die Rechtsprechung erkennt den Ehegatten deshalb einen gegenseitigen Unterlassungs- und Beseitigungsanspruch zu, soweit (über die persönlich-sittliche Sphäre hinaus) das Recht am räumlich-gegenständlichen Ehebereich beeinträchtigt ist. Danach kann in Fall 10 die F von M – gegebenenfalls zwangsweise, § 890 ZPO (§ 120 Abs. 1 FamFG) – verlangen, dass er die Freundin X zum Auszug aus der ehelichen Wohnung bewegt und ihr ein nochmaliges Betreten untersagt.
(3) Schadensersatzansprüche
137
Trotz Anerkennung des räumlich-gegenständlichen Ehebereichs als absolutes Recht der Ehegatten, werden vom BGH – mit Ausnahme von Ansprüchen nach § 826 wegen sittenwidriger Schädigung[14] – Schadensersatzansprüche wegen Verletzung dieses Rechts ebenso verneint[15] wie für Vermögensschäden, die einem Ehegatten wegen des ehebrecherischen Verhaltens des anderen entstanden sind.[16] Er begründet dies damit, dass Ehestörungen immer die Mitwirkung eines Ehepartners voraussetzen.