Handbuch der Europäischen Aktiengesellschaft - Societas Europaea. Hans-Peter Schwintowski
§ 69 Abs. 1 S. 1 UmwG – auf §§ 182 ff. AktG abzustellen. Danach darf die übernehmende Gesellschaft zur Durchführung der Verschmelzung ihr Grundkapital nicht erhöhen, soweit sie Aktien eines übertragenden Rechtsträgers innehat, ein übertragender Rechtsträger eigene Aktien innehat oder ein übertragender Rechtsträger Aktien der übernehmenden Gesellschaft besitzt, auf die der Ausgabebetrag nicht voll geleistet ist.[111] Eine Kapitalerhöhung ist zulässig, aber nicht zwingend, soweit die übernehmende Gesellschaft eigene Aktien besitzt oder ein übertragender Rechtsträger Aktien der übernehmenden Gesellschaft besitzt, auf die der Ausgabebetrag bereits voll geleistet ist.[112] Wird das Kapital der übernehmenden Gesellschaft zur Durchführung der Verschmelzung erhöht, gelten die in § 69 UmwG angeordneten Erleichterungen: Die Kapitalerhöhung scheitert nicht an noch ausstehenden Einlagen, eine Prüfung der Sacheinlage findet nur in den dort genannten Sonderfällen statt, in der Anmeldung sind die noch offenen Einlagen nicht anzugeben, ein Zeichnungsschein für die neuen Aktien ist nicht erforderlich, und ein Bezugsrecht der Aktionäre ist ausgeschlossen.[113]
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Der Kapitalerhöhungsbeschluss bedarf nach § 182 Abs. 1 AktG einer Mehrheit von mindestens drei Vierteln des bei der Beschlussfassung vertretenen Grundkapitals. Sind mehrere Gattungen von stimmberechtigten Aktien vorhanden, bedarf der Kapitalerhöhungsbeschluss nach §§ 138, 182 Abs. 2 AktG zustimmender Sonderbeschlüsse der Aktionäre jeder Gattung.
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Von der Kapitalerhöhung zur Durchführung der Verschmelzung ist die Kapitalerhöhung beim übernehmenden Rechtsträger zu unterscheiden, die darüber hinaus erforderlich ist, um das Mindestgrundkapital von 120 000 EUR gem. Art. 4 Abs. 2 SE-VO zu erreichen. Diese ist vor der Verschmelzung durchzuführen und richtet sich nach den allgemeinen Kapitalerhöhungsvorschriften des nationalen Aktienrechts.
1.3.3 Verschmelzungsbeschluss
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Nach Art. 23 Abs. 1 SE-VO hat dem Verschmelzungsplan die Hauptversammlung jeder der sich verschmelzenden Gesellschaften zuzustimmen. Da die Verordnung darüber hinaus keine Regelungen zum Zustimmungsbeschluss enthält, gelten für die beteiligten deutschen Rechtsträger über Art. 18 SE-VO die Regelungen des § 65 UmwG.[114] Danach bedarf der Verschmelzungsbeschluss einer Mehrheit von mindestens drei Vierteln des bei der Beschlussfassung vertretenen Grundkapitals, wobei die Satzung eine größere Kapitalmehrheit und weitere Erfordernisse bestimmen kann.[115] Sind mehrere Gattungen von Aktien vorhanden, bedarf der Verschmelzungsbeschluss zustimmender Sonderbeschlüsse der stimmberechtigten Aktionäre jeder Gattung.[116] Der Verschmelzungsbeschluss jedes beteiligten deutschen Rechtsträgers ist nach Art. 18 SE-VO i. V. m. § 13 Abs. 3 S. 1 UmwG zu beurkunden.[117]
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Im Falle der Verschmelzung durch Aufnahme ist fraglich, ob ein Verschmelzungsbeschluss der übernehmenden deutschen Gesellschaft über Art. 18 SE-VO nach § 62 UmwG entbehrlich ist, wenn sich mindestens 90 % des Grundkapitals der übertragenden Gesellschaft in der Hand der übernehmenden Gesellschaft befindet. § 62 UmwG setzt zwar Art. 27 der Verschmelzungsrichtlinie um, dabei wurde jedoch durch den deutschen Gesetzgeber lediglich ein Wahlrecht ausgeübt, sodass die Regelung nicht zwingend europaweit einheitlich ist. Demgegenüber ist der Wortlaut des Art. 23 Abs. 1 SE-VO eindeutig, der einen Verschmelzungsbeschluss für jede der sich verschmelzenden Gesellschaften fordert, und eine Erleichterung ist insoweit in Art. 31 SE-VO gerade nicht aufgenommen worden.[118] Zudem kann aus materiellen Gründen nicht auf einen Verschmelzungsbeschluss der übernehmenden Gesellschaft verzichtet werden, weil diese sich im Zuge der Verschmelzung formwechselnd in eine SE umwandelt. Danach sprechen die besseren Gründe dafür, § 62 UmwG nicht anzuwenden.[119] Auch in den dort genannten besonderen Fällen ist also ein Verschmelzungsbeschluss der übernehmenden Gesellschaft erforderlich.
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Im Falle der Verschmelzung durch Neugründung darf eine übertragende deutsche Gesellschaft nach Art. 18 SE-VO i. V. m. § 76 Abs. 1 UmwG den Zustimmungsbeschluss erst fassen, wenn sie und jede andere übertragende AG bereits seit zwei Jahren im Register eingetragen sind.[120]
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Die Hauptversammlungen der beteiligten deutschen Rechtsträger müssen keinen Beschluss nach Art. 25 Abs. 3 S. 1 SE-VO über die Anerkennung etwaiger Spruchstellenverfahren in anderen Mitgliedstaaten fassen, da ein derartiges Spruchverfahren in Deutschland besteht.
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Im Hinblick darauf, dass die Vereinbarung über die Beteiligung der Arbeitnehmer Auswirkungen auf die Zusammensetzung des Aufsichtsrats bzw. Verwaltungsrats und damit die Bestellungsbeschlüsse haben kann, wird es häufig empfehlenswert sein, die Verschmelzungsbeschlüsse erst zu einem Zeitpunkt zu fassen, zu dem die Vereinbarung über die Beteiligung der Arbeitnehmer nach § 13 Abs. 1 SEBG bereits abgeschlossen ist. Liegt zum Zeitpunkt der Verschmelzungsbeschlüsse diese Vereinbarung noch nicht vor, kann sich nach Art. 23 Abs. 2 S. 2 SE-VO die Hauptversammlung jeder der sich verschmelzenden Gesellschaften das Recht vorbehalten, die Eintragung der SE davon abhängig zu machen, dass die geschlossene Vereinbarung von ihr ausdrücklich genehmigt wird.[121] Da für den Genehmigungsbeschluss eine neue Hauptversammlung erforderlich ist, kann ein solcher Zustimmungsvorbehalt das Eintragungsverfahren erheblich verzögern. Die Genehmigungskompetenz kann dennoch nicht alternativ auf den Aufsichtsrat verlagert werden, um den Prozess zu beschleunigen, weil die SE-VO eine solche Delegation nicht vorsieht und darin eine mit der Organisationsstruktur der AG unvereinbare Selbstbeschränkung der Hauptversammlung läge.[122]
1.3.4 Bestellung der Organmitglieder und des Abschlussprüfers
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Bei der Verschmelzung durch Neugründung sind die Mitglieder des ersten Aufsichtsrats der dualistisch strukturierten SE zu bestellen. Im Falle der Verschmelzung zur Aufnahme ist es aufgrund des identitätswahrenden Rechtsformwechsels der übernehmenden AG in die SE wie bei einer Gründung durch Umwandlung (Art. 2 Abs. 4 SE-VO)[123] möglich, dass sich die Zusammensetzung des Aufsichtsrats nicht ändert, wenn die Verhandlungen nach dem SEBG nicht zu einem anderen Ergebnis führen. Im deutschen Umwandlungsrecht bleiben die Mitglieder des Aufsichtsrats bei einem Formwechsel nach § 203 S. 1 UmwG für den Rest ihrer Wahlzeit im Amt, wenn der Aufsichtsrat bei der neuen Rechtsform in gleicher Weise wie bei dem formwechselnden Rechtsträger gebildet wird. Die SE-VO regelt diesen Fall zwar nicht, es ist jedoch kein Grund ersichtlich, warum dieser Grundsatz nicht auch für die Verschmelzung zur Aufnahme entsprechend gelten soll, die mit einem Formwechsel der übernehmenden AG in eine SE verbunden ist; eine Neubestellung wäre in diesem Falle völlig unverhältnismäßig. Bei der Verschmelzung durch Aufnahme ist der Aufsichtsrat daher nur dann neu zu bestellen, wenn der Aufsichtsrat der SE nicht in gleicher Weise wie bei der übernehmenden AG gebildet oder zusammengesetzt wird.[124] Eine andere Zusammensetzung ist jedoch bereits dann anzunehmen, wenn in der SE gem. § 36 SEBG fortan auch ausländische Arbeitnehmer bei der Besetzung der Arbeitnehmersitze im Aufsichtsrat zu berücksichtigen sind.[125] Bei der monistisch strukturierten SE sind die Mitglieder des ersten Verwaltungsrats in jedem Falle neu zu bestellen. Die Bestellung kann nach Art. 40 Abs. 2 S. 2, 43 Abs. 3 S. 2 SE-VO durch die Satzung vorgenommen werden; im Zusammenhang mit der Organbestellung kann hiermit nur die Gründungsurkunde,[126] d.h. der Verschmelzungsplan, gemeint sein. Mit dem Verschmelzungsplan ist die Bestellung zugleich Gegenstand der Verschmelzungsbeschlüsse.[127] Dem Beurkundungserfordernis des § 30 Abs. 1 S. 2 AktG wird durch die Beurkundung des Verschmelzungsplans Rechnung getragen.[128] Da die SE-VO in Art. 46 eine Regelung zur Amtszeit der Aufsichtsrats- und Verwaltungsratsmitglieder enthält, für den ersten Aufsichtsrat bzw. Verwaltungsrat jedoch weder eine Sonderregelung noch eine Regelungsermächtigung an die Mitgliedstaaten vorsieht, sind die Vorschriften der §§ 30 Abs. 3, 31 AktG auf die Amtszeit des ersten