Handbuch der Europäischen Aktiengesellschaft - Societas Europaea. Hans-Peter Schwintowski
Zweck in den Fällen nicht ein, in denen § 36 Abs. 1 AktG ebenfalls nicht zur Anwendung kommt.[153]
1.3.9 Zweistufige Rechtmäßigkeitskontrolle
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Das Rechtmäßigkeitskontrollverfahren ist bei der SE zweistufig ausgestaltet. Grund hierfür ist der supranationale Charakter der Verschmelzung. Jeder Mitgliedstaat kann die Rechtmäßigkeit des Verschmelzungsverfahrens nur insoweit überprüfen, als neben den Regelungen der SE-VO das eigene nationale Umwandlungs- und Aktienrecht Anwendung findet. Die Abgrenzung und Reichweite der Rechtmäßigkeitskontrollen nach Art. 25 bzw. 26 SE-VO korrespondiert konsequent mit den materiellen Verweisungsnormen in Art. 15 Abs. 1 bzw. 18 SE-VO.
1.3.9.1 Erste Stufe der Rechtmäßigkeitskontrolle
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Die erste Stufe der Rechtmäßigkeitskontrolle ist in Art. 25 SE-VO geregelt und bezieht sich auf die Verfahrensabschnitte der einzelnen sich verschmelzenden Gesellschaften. Ebenso wie Art. 18 SE-VO für die betreffenden Verfahrensabschnitte auf das jeweils einschlägige nationale Verschmelzungsrecht verweist, ordnet Art. 25 Abs. 1 SE-VO die Rechtmäßigkeitskontrolle durch den jeweiligen Sitzstaat und die Anwendbarkeit des jeweils einschlägigen nationalen Prüfungsrechts an. Dadurch ist sichergestellt, dass die für die Prüfung zuständige Stelle die Einhaltung der anwendbaren materiellen Vorschriften auch tatsächlich überprüfen kann.
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Für die beteiligten deutschen Rechtsträger fällt die Rechtmäßigkeitskontrolle der ersten Stufe nach Art. 68 Abs. 2 SE-VO i. V. m. § 4 SEAG, §§ 376, 377 FamFG, § 23a Abs. 1 S. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 3 GVG in die Kompetenz des zuständigen Registergerichts.[154]
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Das Registergericht prüft die formellen Eintragungsvoraussetzungen, insbesondere die Vollständigkeit der Eintragungsunterlagen, sowie in materieller Hinsicht die Wirksamkeit des Verschmelzungsplans, die Verschmelzungsfähigkeit des betreffenden Rechtsträgers und die Rechtmäßigkeit des Verschmelzungsbeschlusses.[155] Liegen die nationalen Eintragungsvoraussetzungen vor, stellt das Registergericht nach Art. 25 Abs. 2 SE-VO eine Rechtmäßigkeitsbescheinigung aus.[156]
1.3.9.2 Zweite Stufe der Rechtmäßigkeitskontrolle
101
Die zweite Stufe der Rechtmäßigkeitskontrolle ist in Art. 26 SE-VO geregelt und bezieht sich auf den Verfahrensabschnitt der Durchführung der Verschmelzung und auf die Gründung der SE.[157]
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Nach Art. 68 Abs. 2 SE-VO i. V. m. § 4 SEAG fällt die Rechtmäßigkeitskontrolle zweiter Stufe für eine deutsche SE in die Kompetenz des für diese zuständigen Registergerichts.
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Soweit sich die Verschmelzungsdurchführung auf die Verfahrensabschnitte der Gründungsgesellschaften bezieht, reduziert sich die Kontrolle auf eine Überprüfung der Rechtmäßigkeitsbescheinigungen dahingehend, ob in den jeweiligen Sitzstaaten der Gründungsgesellschaften eine Rechtmäßigkeitskontrolle durchgeführt wurde.[158] Hierzu hat jede der sich verschmelzenden Gesellschaften der nach Art. 26 Abs. 1 SE-VO zuständigen Behörde die Rechtmäßigkeitsbescheinigung nach Art. 25 Abs. 2 SE-VO innerhalb von sechs Monaten nach Ausstellung zusammen mit einer Ausfertigung des von ihr beschlossenen Verschmelzungsplans vorzulegen.[159] Die Rechtmäßigkeitskontrolle zweiter Stufe erstreckt sich darüber hinaus auf die Regelungen der SE-VO und das über Art. 15 SE-VO[160] zu beachtende Verschmelzungs- und Gründungsrecht des Sitzstaates der SE. Nach Art. 26 Abs. 3 SE-VO ist insbesondere zu prüfen, ob die sich verschmelzenden Gesellschaften einem gleichlautenden Verschmelzungsplan zugestimmt haben und ob eine Vereinbarung über die Beteiligung der Arbeitnehmer gem. der SE-RL geschlossen wurde.[161] Letzteres erfordert, dass der nach Art. 26 Abs. 1 SE-VO zuständigen Behörde außer den Unterlagen gem. Art. 26 Abs. 2 SE-VO ein Nachweis über die Vereinbarung der Arbeitnehmerbeteiligung bzw. alternativ über den Eintritt einer der anderen in Art. 12 Abs. 2 SE-VO genannten Voraussetzungen vorzulegen ist.
1.3.10 Eintragung, Offenlegung, Bekanntmachung
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Erst wenn sämtliche in Art. 25, 26 SE-VO vorgesehenen Formalitäten erfüllt sind, kann nach Art. 27 Abs. 2 SE-VO die SE eingetragen werden. Darüber hinaus stellt Art. 12 Abs. 2 SE-VO noch einmal klar, dass die SE erst eingetragen werden kann, wenn eine Vereinbarung über die Beteiligung der Arbeitnehmer gem. Art. 4 SE-RL geschlossen worden ist, ein Beschluss nach Art. 3 Abs. 6 SE-RL gefasst worden ist oder die Verhandlungsfrist nach Art. 5 SE-RL abgelaufen ist, ohne dass eine Vereinbarung zustande gekommen ist. Liegen diese Voraussetzungen vor, wird die deutsche SE nach Art. 12 Abs. 1 SE-VO i. V. m. §§ 14, 39 AktG, §§ 8 ff. HGB in dem für ihren Sitz zuständigen Handelsregister eingetragen, und zwar nach § 3 Abs. 3 HRV in Abteilung B.[162] Mit der Eintragung der SE werden die Verschmelzung und die gleichzeitige Gründung der SE nach Art. 27 Abs. 1 SE-VO wirksam; die SE entsteht.
105
Nach Art. 28 SE-VO wird die Durchführung der Verschmelzung für jede sich verschmelzende Gesellschaft nach den entsprechenden Vorschriften des jeweiligen Mitgliedstaats offen gelegt. Für jede sich verschmelzende deutsche Gesellschaft wird also die Verschmelzung in ihr jeweiliges Handelsregister eingetragen. Da die Verschmelzung bereits wirksam geworden ist, kommt dieser Eintragung nur noch Publizitätswirkung zu.
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Nach Art. 28 SE-VO i. V. m. § 19 Abs. 3 UmwG, § 10 HGB hat das Registergericht des Sitzes jedes der an der Verschmelzung beteiligten Rechtsträger die Eintragung der Verschmelzung im elektronischen Bundesanzeiger bekannt zu machen. Ebenso ist nach Art. 13 SE-VO i. V. m. § 10 HGB die Gründung der SE durch das Registergericht ihres Sitzes bekannt zu machen. Anschließend ist die Eintragung der SE nach Art. 14 Abs. 1 SE-VO mittels einer Bekanntmachung zu Informationszwecken im Amtsblatt der Europäischen Union[163] zu veröffentlichen; diese Bekanntmachung muss die Firma der SE, die Handelsregisternummer, Datum und Ort der Handelsregistereintragung, Datum, Ort und Titel der Veröffentlichung sowie den Sitz und den Geschäftszweig der SE enthalten.
1.3.11 Wirkungen der Verschmelzung
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Hinsichtlich der Wirkungen ist zwischen den Verschmelzungsarten zu unterscheiden:
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Bei der Verschmelzung durch Aufnahme geht nach Art. 29 Abs. 1 SE-VO mit Wirksamwerden der Verschmelzung das gesamte Aktiv- und Passivvermögen jeder übertragenden Gesellschaft im Wege der Gesamtrechtsnachfolge auf die übernehmende Gesellschaft über, werden die Aktionäre der übertragenden Gesellschaften Aktionäre der übernehmenden Gesellschaft,[164] erlöschen die übertragenden Gesellschaften und nimmt die übernehmende Gesellschaft die Rechtsform einer SE an.
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Bei der Verschmelzung durch Neugründung geht nach Art. 29 Abs. 2 SE-VO bei Wirksamwerden der Verschmelzung das gesamte Aktiv- und Passivermögen der sich verschmelzenden Gesellschaften im Wege der Gesamtrechtsnachfolge auf die neu entstehende SE über, werden die Aktionäre der sich verschmelzenden Gesellschaften Aktionäre der SE und erlöschen die sich verschmelzenden Gesellschaften.