Markenrecht. Jennifer Fraser

Markenrecht - Jennifer Fraser


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754 – B.Z./Berliner Zeitung; Ingerl/Rohnke § 14 Rn 260 auch mwN zur Rechtslage unter dem WZG); lediglich Vorfragen, beispielsweise hinsichtlich des Sprachgebrauches oder einer branchentypischen Kennzeichnungspraxis, können im Rahmen einer Beweisaufnahme geprüft werden (vgl Ingerl/Rohnke § 14 Rn 405). Die Verwechslungsgefahr ist vielmehr ein Rechtsbegriff, weshalb das zur Entscheidung berufene Gericht die Verwechslungsgefahr anhand typisierender Erfahrungssätze prüft (BGH MarkenR 2016, 34, 38 Rn 40 – Bounty; Ströbele/Hacker/Thiering/Hacker § 9 Rn 16; ders GRUR 2004, 537, 545). Sie ist damit nicht nur im Instanzenzug vollumfänglich durch ein Berufungs- oder Revisionsgericht überprüfbar (BGH GRUR 2002, 171, 175 – Marlboro-Dach; Ingerl/Rohnke § 14 Rn 262), sondern das Revisionsgericht kann auch über das Vorliegen einer Verwechslungsgefahr befinden, wenn sich das Tatsachengericht hierzu nicht geäußert hat, der erforderliche Sachverhalt aber feststeht (BGH MarkenR 2016, 34, 38 Rn 40 – Bounty; GRUR 2009, 1055 Rn 62 – airdsl).

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      Einzelne Aspekte, die bei der Feststellung einer Verwechslungsgefahr zu berücksichtigen sind, stellen dagegen Tatsachenfragen dar, dies gilt bspw für die Feststellung des relevanten Verkehrs, die Verkehrsauffassung, aber auch für die Beurteilung des Gesamteindrucks (BGH MarkenR 2016, 46, 48 Rn 13 – BSA/DSA; GRUR 2013, 1239, 1242 – VOLKSWAGEN/Volks.Inspektion; MarkenR 2012, 151 – METRO/ROLLER's Metro). Der EuGH lehnt regelmäßig die Überprüfung von Voraussetzungen der Verwechslungsgefahr ab. So hält er die Bewertung der klanglichen Aspekte und die Bedeutung, die ein Bildbestandteil im Rahmen des Gesamteindrucks einer Marke entfaltet, für eine Tatsachenfrage (EuGH MarkenR 2012, 274, 377 – YORMA'S/NORMA). Gleiches gilt für die Vorstellungen des Publikums von fremdsprachigen Begriffen und deren Abwandlungen (EuGH MarkenR 2011, 22, 24 Rn 44 – Clina/Clinair) sowie Feststellungen zu den Merkmalen des relevanten Publikums (EuGH MarkenR 2011, 26 28 Rn 29 – VITS4KIDS/Kids Vits; MarkenR 2007, 437 Rn 51 – Geschirrspültablette).

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      Ausreichend ist nach der deutschen Rechtsprechung eine abstrakte Gefahr von Verwechslungen. Deshalb kommt es beispielsweise nicht darauf an, ob die konkret gegenüberstehenden Parteien ihre Waren oder Dienstleistungen über ähnliche Vertriebswege vertreiben (zB Ladenlokal ./. Internet), sondern nur abstrakt darauf, ob die Waren oder Dienstleistungen auf dem gleichen Vertriebsweg angeboten werden können. Gleiches gilt auch für den Verkauf in unterschiedlichen Preissegmenten (BGH GRUR 2007, 780 – Pralinenform; GRUR 2004, 860 – Internet-Versteigerung I; Ingerl/Rohnke § 14 Rn 397). Der EuGH fordert dagegen eine konkrete Verwechslungsgefahr, die die konkrete Verkaufssituation berücksichtigt (EuGH GRUR 2010, 841 – Portakabin/Primakabin; GRUR 2010, 641 – Bananabay; GRUR 2010, 451 – Bergspechte; GRUR 2010, 445 – Google France und Google; GRUR 2008, 698 – O2; GRUR 2006, 237 – PICASSO; GRUR 2005, 153 – Anheuser-Busch/Budvar; GRUR 2003, 55 – Arsenal FC). Im Rahmen des Registerverfahrens stellt er darauf ab, dass eine konkrete Verwechslungsgefahr zukünftig möglich ist (EuGH 15.3.2007 – C 171/06; siehe hierzu auch Sack GRUR 2013, 4, 7, der im Registerverfahren auch andere, in Zukunft mögliche Vertriebsstrategien berücksichtigen will). Tatsächliche Verwechslungen sind weder hinreichendes (BGH GRUR 1991, 609 – SL; OLG Zweibrücken GRUR-RR 2002, 137, 138) noch notwendiges Kriterium (BGH GRUR 1966, 495, 498) für das Vorliegen einer Verwechslungsgefahr. Sollte es zu Verwechslungen gekommen sein, wird dieser Umstand jedoch ein Indiz für das Vorliegen einer Verwechslungsgefahr darstellen (vgl amtl Begr Abs 4; BGH GRUR 1992, 48, 52 – frei öl; Eichmann GRUR 1999, 939, 947; Ströbele/Hacker/Thiering/Hacker § 9 Rn 22). Das Fehlen von Verwechslungen über eine geraume Zeit hinweg stellt dagegen kein Indiz für das Fehlen einer Verwechslungsgefahr dar, denn es besagt nichts über etwaige zukünftige Verwechslungen (vgl Ströbele/Hacker/Thiering/Hacker § 9 Rn 23; aA im Anwendungsbereich der UMV, jedoch mit strengen Anforderungen an die Darlegungs- und Beweislast: EuG GRURInt 2006, 144 – Arthur et Félicie; Urt v 8.12.2005 – T-29/04 Rn 71 – CRISTAL CASTELL-BLANCH; GRURInt 2005, 705, 708 – GRUPO SADA; GRURInt 2005, 604 – RUFFLES).

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      Demoskopische Untersuchungen können ebenfalls als Indiz herangezogen werden, wenn sie die Erinnerungen nach Vorlage der gegenüberstehenden Marken abfragen (BGH GRUR 1992, 48, 52 – frei öl; OLG Hamburg MarkenR 2008, 209 – Anastacia-A). Sie sind jedoch nicht verwertbar, wenn die Interviewten nach ihrer Einschätzung einer Verwechslungsgefahr gefragt werden (BGH GRUR 1992, 48, 52 – frei öl) oder das Fehlen einer Verwechslungsgefahr belegen sollen (OLG Hamburg 2004, 245, 247 – magenta).

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      Abzustellen ist auf einen durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbraucher (EuGH GRUR 2005, 1042 – THOMSON LIFE; GRURInt 2000, 899 – adidas/Marca, Rn 20; WRP 1999, 806 – Lloyd; NJW 1999, 933 – Canon, Rn 15; EuG GRURInt 2014, 54, 55 Rn 21 – KNUT – DER EISBÄR/KNUD; stRspr in Deutschland seit der grdl Entsch des BGH GRUR, 2000, 506, 508; MarkenR 2013, 185, 192 – AMARULA/Marulablu; GRUR 2002, 1067, 1070 – DKV/OKV; GRUR 2002, 814, 815 – Festspielhaus; GRUR 2002, 812, 813 – FRÜHSTÜCKSDRINK II; GRUR 2002, 809, 810 – FRÜHSTÜCKSDRINK I; EuG MarkenR 2017, 372, 377 Rn 26 – PostModern; HABM GRUR-RR 2006, 403, 405 – Oktobierfest/OKTOBERFESTBIER; Büscher/Dittmer/Schiwy/Büscher § 14 Rn 206). Der EuGH entnimmt dieses Verbraucherleitbild unmittelbar aus dem Wortlaut, nach dem auf das Publikum als Gesamtgebilde abzustellen ist. Der BGH leitet seine Auffassung daraus ab, dass der registerrechtliche Schutz nicht von dem „flüchtigen Verbraucher“ geprägt ist, sondern einer Gegenüberstellung in der eingetragenen Form bedürfe (BGH GRUR 2000, 506, 508; näher zur dogmatischen Einordnung Ingerl/Rohnke § 14 Rn 455 mwN).

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      Verbraucher im Sinne dieser Definition ist nicht zwingend ein Verbraucher iSd § 13 BGB, sondern jeder, der den maßgeblichen Verkehrskreisen angehört, die als aktuelle oder potenzielle Kunden der gegenüberstehenden Waren oder Dienstleistungen in Betracht kommen. Hierin sind sowohl gewerbliche Abnehmer als auch Wiederverkäufer (BGH GRUR 2002, 340, 341 – Fabergé) oder Hersteller eines Gesamtproduktes mit einzubeziehen. Angehöriger des betroffenen Verkehrskreises ist dabei nicht nur derjenige, für den die Waren oder Dienstleistungen primär bestimmt sind, sondern jeder, dem sie angeboten werden (BGH GRUR 1998, 1034, 1036). Zudem können die Verkehrskreise, die das gekennzeichnete Produkt bestimmungsgemäß verwenden, auch dann zu dem von der Marke angesprochenen Publikum gehören, wenn sie selbst nicht unmittelbar über die Nachfrage entscheiden (BGH GRUR 2006, 763, 764 – Seifenspender; EuGH WRP 2002, 1415 – Arsenal FC).

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      Die Verwechslungsgefahr ist sodann anhand der angesprochenen Verkehrskreise zu überprüfen, wobei auf alle in Betracht kommenden Verkehrskreise abzustellen ist, selbst wenn sich diese unterscheiden sollten; für die Annahme der Verwechslungsgefahr reicht es dabei aus, wenn diese innerhalb eines Verkehrskreises festgestellt werden kann (BGH MarkenR 2011, 547 – Maalox/Melox-GRY; OLG Stuttgart MarkenR 2019, 172, 174 f – РЫЖИК; Ingerl/Rohnke § 14 Rn 445; Stöbele/Hacker/Thiering/Hacker § 9 Rn 257). Die Rechtsprechung lehnt es dagegen ab, auf eine sog gespaltene Verkehrsauffassung innerhalb eines einheitlichen Adressatenkreises abzustellen; weil es auf den durchschnittlichen Verbraucher ankommt, können nicht die Verbraucher mit einem besonderen Spezialwissen gegenüber den Unwissenden abgegrenzt werden (BGH MarkenR 2013, 185, 192 – AMARULA/Marulablu). Eine gespaltene Verkehrsauffassung kann dagegen bestehen, wenn die Verkehrskreise voneinander abgrenzbar sind, also beispielsweise Verbraucher von Fachpublikum (EuGH GRURInt 2007, 718 – TRAVATAN/TRIVASTAN) oder separate Sprachgruppen (EuGH MarkenR 2015, 373 Rn 20 ff – EL BAINA/EL BENNA; OLG Stuttgart MarkenR 2019, 172, 174


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