Praxishandbuch Medien-, IT- und Urheberrecht. Anne Hahn
der Novellierung sollte die Einführung einer freiwilligen Alterskennzeichnung von Internetangeboten sein, wie sie bislang lediglich für Trägermedien im Jugendschutzgesetz vorgesehen ist. Der Anbieter sollte seine jugendschutzrechtliche Verpflichtung dadurch erfüllen können, dass er sein Angebot freiwillig mit einem Alterskennzeichen versieht, das für ein anerkanntes Jugendschutzprogramm programmiert ist, so dass bestimmte Inhalte im Netz für jüngere Nutzer hätten gesperrt werden können. In der Neufassung des Jugendmedienschutz-Staatsvertrages (JMStV) sollten die Jugendschutz-Richtlinien aus Rundfunk- und Fernsehen auch auf Neuerungen durch das Internet übertragen werden. Die Provider sollten verpflichtet werden, entspr. Programme leichter zugänglich zu machen. Zugleich sollten die staatlichen Stellen die Eltern auf solche Filter-Software aufmerksam machen. Damit hätte es in der Hand der Erziehungsberechtigten gelegen, ob sie ein Jugendschutzprogramm auf dem Rechner installieren wollen, um ihren Kindern altersgerechtes Surfen zu ermöglichen und sie vor jugendgefährdenden bzw. entwicklungsbeeinträchtigenden Inhalten zu schützen. Kurz vor dem geplanten In-Kraft-Treten formulierten Anbieter von Online-Inhalten Bedenken, wie die neuen Anforderungen inhaltlich zu definieren und technisch umzusetzen seien. Zugleich äußerte die „Netzgemeinde“ erhebliche Vorbehalte gegenüber einem Entwurf, der vor allem der Erotikindustrie nutze, indem dieser das Tätigwerden im Netz erleichtert werde. Die für den 1.1.2011 geplante Novellierung des Jugendmedienstaatsvertrages markierte eine Kluft zwischen der „Netzgesellschaft“ und der Politik. Während sich die Politik zum Schutz von Kindern und Jugendlichen auf Gesetze verlässt, verlangen die Nutzer mehr Selbstbestimmung und setzen auf die Aufklärung von Kindern und Eltern. Dem JMStV wurde technisches Unverständnis sowie Lobbypolitik vorgeworfen. Der Staatsvertag scheiterte letztlich an der Ratifikation in Nordrhein-Westfalen. Nachdem zunächst die Fraktionen von CDU, FDP und den Linken erklärt hatten, dem JMStV nicht zustimmen zu wollen, schlossen sich dem später auch die Regierungsfraktionen von SPD und den Grünen an. Quer durch die Fraktionen gab es Kritik hinsichtlich der Wirksamkeit und Praktikabilität der geplanten Regelungen sowie erhebliche Bedenken gegen eine drohende Einschränkung der Meinungsvielfalt.[89]
3.2 JMStV 2016
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Am 1.10.2016 ist der überarbeitete JMStV in Kraft getreten. Nach wie vor sind potentiell jugendbeeinträchtigende Inhalte zu bewerten und anschließend Schutzmaßnahmen zu ergreifen. Wesentliche Änderungen betreffen zunächst die Kompetenzzuweisung an die Einrichtungen der freiwilligen Selbstkontrolle. Bisher lag die Zuständigkeit für die Anerkennung von Jugendschutzprogrammen bei der Kommission für Jugendmedienschutz (KJM). Sie wurde nun auf die Einrichtungen der Freiwilligen Selbstkontrolle (USK, FSM, FSK, FSF) übertragen. Um die Jugendschutzprogramme zu fördern, wurden die anerkennungsfähigen Jugendschutzprogramme erweitert. Erfasst werden somit auch Programme, die lediglich auf einzelne Altersstufen ausgelegt sind und solche, die den Bereich proprietärer (geschlossener) Systeme betreffen. Hinzugefügt wurde eine Haftungsprivilegierung zugunsten solcher Anbieter, die ihre Angebote zwar mit einer Altersbeschränkung versehen, diese aber fahrlässig zu niedrig angesetzt haben (§ 24 Abs. 1 Nr. 4 JMStV n.F.). Zudem wurde mehr Rechtssicherheit geschaffen, indem die Anerkennung der Selbstkontrollen nicht länger befristet ist (§ 19 Abs. 2 a.E. gestrichen). Weiterhin wurden Fristen für Entscheidungen der KJM eingeführt (z.B. §§ 14 Abs. 6 und 19b Abs. 2 JMStV n.F.). Bei Maßnahmen der Aufsicht (jugendschutz.net/KJM/LMA) gibt es nun eine Hinweispflicht hinsichtlich der Möglichkeit einer Mitgliedschaft bei einer Freiwilligen Selbstkontrolle und der Rechtsfolgen (§ 20 Abs. 7 JMStV n.F.).
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Der neue JMStV erfuhr schon im Vorfeld erhebliche Kritik. Weil freiwillige Alterskennzeichnungen für Internetangebote auch bereits in dem 2010/2011 gescheiterten Entwurf gefordert worden waren, steht der Vorwurf fehlender Innovation im Raum. Weiterhin wird auf die Wirkungslosigkeit eines freiwilligen Labeling-Konzepts verwiesen, das auf internationaler Ebene bereits gescheitert sei.[90] Ferner wird die vorgesehene Privilegierung derjenigen, die eine Alterskennzeichnung vornehmen, als Verstoß gegen das Haftungssystem der §§ 7 ff. TMG kritisiert, sofern etwa ein Blog-Betreiber die Kommentare seiner Leser im Wege einer Vorabkontrolle überprüfen müsse.[91]
1. Landes- und Bundesbehörden
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Als oberstes Ministerium ist das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (im Folgenden: Bundesfamilienministerium) für den Jugendschutz im Bereich Film und Trägermedien zuständig. Darüber hinaus sind Zuständigkeiten der obersten Landesjugendbehörden sowie deren Zusammenarbeit mit freiwilligen Selbstkontrolleinrichtungen im JuSchG normiert (vgl. etwa §§ 11, 12, 13, 14 JuSchG).
2. Die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien (BPjM)
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Die BPjM ist eine selbständige Bundesoberbehörde mit eigenem Haushalt, die dem Bundesfamilienministerium nachgeordnet ist. Sie ist für die Indizierung jugendgefährdender Medien[92] (vgl. §§ 17 Abs. 2, 18 JuSchG) sowie die Führung der Liste jugendgefährdender Medien (vgl. § 24 JuSchG) zuständig. Trotz der Einbindung in die Behördenorganisation, sind die „Mitglieder der Bundesprüfstelle nicht an Weisungen gebunden“ (§ 19 Abs. 4 JuSchG), sondern nur dem Gesetz unterworfen. Ein staatlicher Eingriff in die Entscheidung über die Indizierung eines Mediums erfolgt somit nicht.[93]
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Die personelle Besetzung der BPjM ist in § 19 JuSchG festgelegt. Sie besteht aus einer oder einem vom Bundesfamilienministerium benannten Vorsitzenden, je einer oder einem von jeder Landesregierung zu benennenden Beisitzerin oder Beisitzer und weiteren vom Bundesfamilienministerium benannten Beisitzerinnen oder Beisitzern aus den Kreisen der Kunst, der Literatur, des Buchhandels und der Verlegerschaft, der Anbieter von Bildträgern und Telemedien, der Träger der freien und öffentlichen Jugendhilfe, der Lehrerschaft und den Kirchen und anderen Religionsgemeinschaften.[94]
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Hinsichtlich der Indizierung von Internetseiten findet eine enge Zusammenarbeit der BPjM mit der KJM statt. Erhält die BPjM einen Indizierungsantrag einer antragsberechtigten Stelle, so übermittelt sie diesen der KJM, die dann den Antrag bewertet. Die Stellungnahme der KJM wird von der BPjM bei der Frage, ob das jeweilige Angebot indiziert wird, maßgeblich berücksichtigt. Beide Institutionen verfolgen hier eine gemeinsame Spruchpraxis. Darüber hinaus ist die KJM hinsichtlich der Indizierung von Internetseiten auch selbst antragsberechtigt.[95]
3. Die freiwillige Selbstkontrolle
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Mit ihrer Gründung im Jahr 1949 ist die Freiwillige Selbstkontrolle der Filmwirtschaft (FSK) die älteste Selbstkontrolleinrichtung Deutschlands.[96] Hauptaufgabe der FSK ist es, freiwillige Altersfreigabeprüfungen für Bildträger, die für die öffentliche Vorführung bzw. Zugänglichmachung und Verbreitung in Deutschland vorgesehen sind, durchzuführen. Die Anwesenheit von Kindern und Jugendlichen bei öffentlichen Filmveranstaltungen sowie die öffentliche Freigabe von Bildträgern für Kinder und Jugendliche ist – soweit es sich nicht um Informations-, Instruktions- und Lehrfilme handelt – nur gestattet, wenn die Filme bzw. Programme von der obersten Landesbehörde oder einer Organisation der freiwilligen Selbstkontrolle gem. § 14 Abs. 6 JuSchG gekennzeichnet worden sind (§§ 11 Abs. 1, 12 Abs. 1 JuSchG).
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Die FSK stellt eine Organisation der freiwilligen Selbstkontrolle dar, die die gem. § 14 JuSchG gesetzlich vorgeschriebene Alterskennzeichnung im Auftrag der Obersten Landesjugendbehörden vornimmt. Sie befindet sich in der Rechts- und Verwaltungsträgerschaft der Spitzenorganisation der Filmwirtschaft e.V. (SPIO), einem Dachverband von derzeit 17 Berufsverbänden der deutschen Film-, Fernseh- und Videowirtschaft, die insgesamt mehr als 1100 Mitgliedsfirmen repräsentieren.[97]