Praxishandbuch Medien-, IT- und Urheberrecht. Anne Hahn
nicht fassbar und unspezifisch. Wegen der Spezifika des Internets hinsichtlich seiner Wirkmechanismen und Wirkmacht, deren Auswirkungen erst verstanden werden müssen, bedarf es Stück für Stück einer Anpassung der rechtlichen Grundlagen. Zugleich ist es wichtig, an Eckpfeilern der Medienordnung festzuhalten. Daran zu rütteln besteht kein Anlass, da das Internet und das Verhalten seiner Nutzer auf Maßstäbe der rechtlichen Wertung keinen Einfluss nehmen dürfen.[98]
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Bisweilen wird in der Politik eher vereinzelt die Schaffung eines Bundesdigitalministeriums angeregt. Die digitale Politik, die aktuell in die Zuständigkeit einer Vielzahl von Ministerien, vor allen Dingen in die des Bundesverkehrsministeriums fällt, könne unter dem Dach des neuen Ministeriums einheitlich und effizienter betrieben werden. Die Zuständigkeit kann danach die Themengebiete Gigabit-Infrastruktur, Vernetzung des Internets der Dinge, Industrie 4.0, automatisiertes Fahren, digitale Bildung, Förderung von Start-Ups und Datenschutz umfassen.[99]
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Bereits 2014 wurde mit dem Bundestagsausschuss „Digitale Agenda“ (ADA)[100] ein festes Gremium für Netzpolitik geschaffen.[101] In ihm werden Aspekte der Digitalisierung und Vernetzung fachübergreifend diskutiert und es sollen Impulse für die rechtliche Umsetzung des digitalen Wandels gesetzt werden.[102] Selbstständige Entscheidungskompetenzen kommen dem Ausschuss nicht zu. Vielmehr hat er lediglich beratende Funktion. Einerseits wird dies angesichts geringer Einflussmöglichkeiten des Gremiums auf Gesetzesinitiativen als Nachteil verstanden. Andererseits wird die Tatsache, dass der Ausschuss nicht federführend tätig sein wird, als Chance für eine breite Diskussionsbasis gesehen, die nicht auf einzelne Gesetzgebungsvorhaben beschränkt ist.[103]
IV. Ansätze zur Deregulierung
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Angesichts der wirtschaftlichen Möglichkeiten und des vielschichtigen Regulierungszustandes drängt sich die Frage nach Ansätzen für eine Deregulierung auf.[104] Die dazu vertretenen Positionen reichen von völliger Deregulierung, die den Rundfunk wie die Presse dem freien Spiel der Kräfte in den Grenzen des Wettbewerbs- und Kartellrechts überlasst, über den Abbau von nationalen Überregulierungen zugunsten einer harmonisierten Regulierung auf europäischer Ebene[105] bis hin zu einem Ausbau des vorhandenen Regulierungssystems, das etwa „Internetfernsehangebote“[106] einem speziellen rundfunkrechtlichen Regime unterstellen will.[107] Aus Sicht der am Kulturträger Rundfunk orientierten Medienverfassung fällt es schwer, den Rundfunk nur dem wirtschaftsrechtlich kontrollierten freien Spiel der Kräfte zu überlassen. Denn dem Gestaltungsspielraum des Rundfunkunternehmers, der immer auch Träger eines publizistischen Gutes ist, ist insofern eine verfassungsrechtliche Bürde auferlegt. Mit deren Wegfall müssten – bei Einführung einer rein wettbewerbsrechtlichen Kontrolle – umgekehrt aber auch die verfassungsrechtlichen Privilegien für den Rundfunk entfallen.
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Dennoch ist angesichts der mehrfach festzustellenden und verfassungsrechtlich grundsätzlich unzulässigen[108] Doppelregulierung die an Medienpolitik und Gesetzgeber gerichtete Frage nach einer Deregulierung wichtig. Dabei ist zu berücksichtigen, dass Regulierung im liberalen Verfassungsstaat auch im Rundfunkrecht kein Selbstzweck ist, sondern dem „freiheitssichernden Regulativ“ des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes unterworfen ist.[109] Zu beantworten ist dabei insbesondere, wodurch die besondere ex ante Kontrolle im Rundfunk, im Gegensatz zur Presse nach einem Wegfall der Frequenzknappheit noch gerechtfertigt ist. Der Bedarf für diese besondere Regulierung könnte entfallen, da Vielfaltssicherung wie bei der Presse aus sich heraus ent- und bestehen könnte.[110]
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Das vom Bundesverfassungsgericht entwickelte Modell des Dualen Rundfunksystems geht zum einen von der technisch bedingten Frequenzknappheit und zum anderen von der Überlegung aus, dass das bewegte Bild wegen seiner Suggestivkraft und den damit verbundenen medialen Gefahren der Manipulation einer stärkeren Kontrolle bedarf.[111] Ob das herkömmliche Rundfunksystem den hier bestehenden Besonderheiten gerecht wird oder als überzogen gelten muss, kann heute nur mit Blick auf die technischen Möglichkeiten des Fernsehens von Morgen beantwortet werden. Hier ist insbesondere der zu erwartende weiter anwachsende Verbreitungsgrad des IP-TV über DSL-Netze in Erwägung zu ziehen. Jedenfalls stehen unter technischen Gesichtspunkten langfristig betrachtet einer Ablösung der traditionellen Verbreitungswege über Terrestrik, Kabel und Satellit sowie über das herkömmliche DSL-Kabel keine Hinderungsgründe entgegen.
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Die Frage nach Deregulierung wird von Medienunternehmen, die nicht im klassischen Sinne Rundfunkveranstalter sind, aber mit den einfachen und weitreichenden Möglichkeiten des Internets bewegte Bilder verbreiten können[112] oder die aufgrund ihrer vertikalen Integration (Technik und Inhalt in einer Hand) die Möglichkeit zum Verbreiten von Inhalten besitzen, mit Nachdruck gestellt.[113] Insgesamt ist es nachvollziehbar, wenn von Medienunternehmen und Rundfunkanstalten,[114] aber auch von Vertretern der Medienpolitik[115] und Aufsichtsorganen[116] Rufe nach einer Neuordnung des Medienrechts laut werden.
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So fordern Rundfunkunternehmen seit langem eine widerspruchsfreie und konsistente Medienregulierung, da nur diese Rechts- und Planungssicherheit schaffe.[117] Diese kann auf der Grundlage des geltenden Systems insbesondere durch Maßnahmen der Verfahrensvereinfachung herbeigeführt werden. Die im Rahmen des 10. Rundfunkänderungsstaatsvertrages eingeführte Kommission für Zulassung und Aufsicht (ZAK)[118] und die neu strukturierte Kommission zur Ermittlung der Konzentration im Medienbereich (KEK)[119] gehen bereits in diese Richtung. Sie stellen aber keine Ländermedienanstalt dar, die bei entsprechender Ausgestaltung wohl verfassungsrechtlich zulässig wäre[120] und von Teilen der Medienpolitik mehrfach gefordert wurde.[121] Freilich wurde die ZAK von Seiten der Landesmedienanstalten bereits als Einrichtung beschrieben, die diese zu bloßen Vollzugsbehörden degradiert, sofern überlokale und überregionale Aufgaben betroffen sind.[122] Zugleich wird die grundsätzliche Frage aufgeworfen, ob der Föderalismus noch in der Lage ist, vor den Anforderungen der Verfassung im Spannungsfeld von Meinungs- und Rundfunkfreiheit auf der einen Seite und den Anforderungen von Digitalisierung, Privatisierung der Verbreitungswege sowie den Möglichkeiten des Internets auf der anderen Seite, zu bestehen.[123]
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Auf europäischer Ebene steht derzeit die AVMD-Richtlinie 2010/13/EU[124] auf dem Prüfstand.[125] Hier soll nach dem Willen der Kommission zwar eine abgestufte Regulierungsdichte beibehalten werden. Es wird aber versucht, eine weitere Angleichung vorzunehmen und dabei insbesondere die Regulierungslast im linearen Bereich durch eine deutliche Werbeflexibilisierung (insbesondere Zulässigkeit von Single Spots, Lockerung der Unterbrechervorgaben bei Filmen und Nachrichtensendungen, Aufgabe der Stundenbegrenzung zugunsten einer 20 %-Begrenzung zwischen 7:00 – 23:00 h) zu lockern sowie Zusatzauflagen zu vermeiden (u.a. produktspezifische Werbebeschränkungen und -verbote). Abgesehen davon soll der Anwendungsbereich der Richtlinie – insbesondere mit einem verstärkten Einsatz von Verhaltenskodizes/KO-Regulierung – in den Bereichen Jugendschutz und Menschenwürde auf Video-Sharing-Plattformen ausgeweitet werden. Die Vorschläge des Parlaments und des Rates weichen hiervon teilweise ab, insbesondere hinsichtlich der Werbebestimmungen und des Regelungsfeldes. So sollen nach dem Willen des EP neben entsprechenden Jugendschutzstandards auch die Vorgaben aus Art. 9 AVMD-RL der heutigen Fassung (Grundsätze für die Werbung) sowie die Vorgaben zu Sponsoring (Art. 10 AVMD-RL) und Produktplatzierung (Art. 11 AVMD-RL) für Video Sharing Plattformen und UGC gelten.[126] Das Europäische Parlament hat den Kommissionsvorschlag mit Blick auf quantitative Werbung aufgegriffen, möchte den Mitgliedstaaten aber weitere Eingrenzungen anheimstellen. In Rede steht ein Fenster von vier Stunden zur „Primetime“, wobei ein 20 %-Limit in toto gelten soll.[127]
1. Regulierungsziele und Regulierungsinstrumente
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Dass die vorhandenen Regeln zu kurz greifen und der Gesetzgeber