Praxishandbuch Medien-, IT- und Urheberrecht. Anne Hahn
Fehlt es daran, sind die nationalen Wettbewerbsbehörden zuständig.[78] Im audiovisuellen Bereich kommt der Fusionskontrollverordnung besondere Bedeutung vor allem deshalb zu, weil Medienunternehmen vermehrt transnational fusionieren und sich durch Kooperationen international im Markt zu positionieren versuchen.[79] Die Verordnung erlaubt den Mitgliedstaaten, weitergehende Regelungen zum Schutz der Meinungsvielfalt zu treffen.
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Das Verbot unzulässiger Beihilfen nach Art. 107 AEUV ist namentlich in Mitgliedstaaten mit einem dualen Rundfunksystem relevant.[80] So hatte das Beihilferecht weitreichende Auswirkungen etwa auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk in Deutschland.[81] Vor dem Hintergrund des Art. 106 Abs. 2 AEUV (ex Art. 86 Abs. 2 EG) war kontrovers diskutiert worden, ob die Gebührenfinanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks[82] als gemeinschaftswidrige Beihilfe einzuordnen ist.[83] Von deutscher Seite war bereits das Vorliegen einer Beihilfe bestritten worden; die Finanzierung über Rundfunkgebühren stelle weder eine staatliche oder aus staatlichen Mitteln finanzierte Maßnahme noch eine Vorteilsgewährung dar. Als Ergebnis eines letztlich mit der Europäischen Kommission erzielten Kompromisses[84] wurde schließlich der Auftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks mit dem 12. RÄStV neu definiert, um die Vereinbarkeit mit den europäischen Wettbewerbsvorschriften herzustellen.[85]
2. Sekundärrecht
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Die allgemeingültigen primärrechtlichen Vorgaben werden durch eine Reihe zum Teil medienspezifischer Regelungen im EU-Sekundärrecht ergänzt. Kompetenzrechtlich sind diese vor allem auf die Ermächtigung zur Rechtsangleichung nach Art. 114 AEUV (ex Art. 95 EG) und zu Maßnahmen zur Erleichterung des Dienstleistungsverkehrs nach Art. 62 i.V.m. Art. 53 Abs. 1 AEUV (ex Art. 55 i.V.m. 47 Abs. 2 EG) gestützt.
2.1 Audiovisueller Bereich
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Maßnahmen betreffen vor allem den audiovisuellen Bereich,[86] der von 1989–2007 durch die Richtlinie 89/552/EWG des Rates zur Koordinierung bestimmter Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Ausübung der Fernsehtätigkeit,[87] kurz EG-Fernsehrichtlinie, bestimmt wurde. Sie regelte auf dem Boden der Sacchi-Entscheidung[88] des EuGH den freien Empfang und die unbehinderte Weiterverbreitung von Fernsehsendungen innerhalb der Gemeinschaft. Die Richtlinie erfasste grenzüberschreitende und inländische Fernsehsendungen, nicht jedoch Hörfunkprogramme.
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Angesichts der Entwicklungen im Medienbereich, insbesondere im Hinblick auf Konvergenz und Digitalisierung, wurde die Fernsehrichtlinie 2007 durch die „Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste“ (AVMD-Richtlinie) abgelöst.[89] Richtete sich ihr Anwendungsbereich zuvor auf (grenzüberschreitendes) Fernsehen, erstreckte sich die Richtlinie ab diesem Zeitpunkt auf alle Formen audiovisueller Mediendienste, d.h. auch auf Kommunikationsdienste, bei denen Inhalte auf individuellen Abruf („On-Demand“) übermittelt werden und die bisher ganz überwiegend als sog. „Dienste der Informationsgesellschaft“ den deutlich weniger strengen Regelungen der E-Commerce-Richtlinie 2000/31/EG unterlagen. Zugleich wurden mit der Novellierung inhaltliche Änderungen vorgenommen, die insbesondere Veränderungen der Werbevorgaben für das Fernsehen umfassten.
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Audiovisuelle Mediendienste sind Dienstleistungsangebote, die über elektronische Kommunikationsnetze verbreitet werden und deren Hauptzweck darin besteht, der allgemeinen Öffentlichkeit Sendungen, d.h. bewegte Bilder mit oder ohne Ton, zur Information, Unterhaltung oder Bildung anzubieten. Damit fallen „nicht-wirtschaftliche Tätigkeiten“ wie private Webseiten nicht in den Anwendungsbereich. Auch sind der Hörfunk, aber auch Angebote etwa der elektronischen Presse nicht umfasst. Gerade mit letzterem wird deutlich, dass die Richtlinie keinesfalls auch nur einen vorläufigen Endpunkt markiert. Schon heute wirft die tatsächliche Unterscheidbarkeit eines Onlineauftrittes mit Print-Herkunft („Spiegel-Online“) von einem entsprechenden Auftritt eines Rundfunkunternehmens („wdr.de“ oder „rtl.de“) erhebliche Schwierigkeiten auf.[90] Unterschieden werden Fernsehprogramme als sog. lineare audiovisuelle Mediendienste und audiovisuelle Mediendienste auf Abruf als sog. nicht-lineare audiovisuelle Mediendienste. Die Unterscheidung knüpft nicht an eine bestimmte Übertragungstechnik an und ist somit technologieneutral.[91] Lineare Dienste kennzeichnen sich durch einen zeitgleichen, d.h. vom Mediendiensteanbieter zeitlich vorbestimmten Empfang der Sendungen. Sie basieren, wie das herkömmliche Fernsehen, auf einem festen Programmschema, das durch den Nutzer nicht geändert werden kann. Nicht-lineare Dienste hingegen sind auf individuellen Abruf empfangbar, so dass der Rezipient selbst über die Auswahl einer Sendung aus dem Programmkatalog des Mediendiensteanbieters und den Zeitpunkt ihres Empfangs bestimmt.[92] Die Regulierung der Dienste erfolgt nach dem Konzept einer abgestuften Regelungsdichte. Während für nicht-lineare Dienste nur Grundregeln gelten, sind lineare Dienste durch weiterreichende und zum Teil strengere Maßgaben reguliert.[93]
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Kern der AVMD-Richtlinie ist das Herkunftslandprinzip, welches im Sendestaatsprinzip und dem Grundsatz der freien Weiterverbreitung seinen Ausdruck findet. Beide Prinzipien erstrecken sich durch den erweiterten Anwendungsbereich der Richtlinie auch auf Abrufdienste. Nach dem in Art. 2 Abs. 1 AVMD-Richtlinie niedergelegten Sendestaatsprinzip hat (allein) der Sendestaat die Einhaltung der Vorgaben der Richtlinie durch die in seinem Hoheitsgebiet ansässigen Anbieter audiovisueller Mediendienste zu überwachen. Sendestaat ist dabei regelmäßig derjenige Mitgliedstaat, in dem sich die Hauptniederlassung des Fernsehveranstalters befindet und die redaktionellen Entscheidungen getroffen werden. Darauf aufbauend haben die Mitgliedstaaten den freien Empfang und die Weiterverbreitung der audiovisuellen Mediendienste zu gewährleisten, § 3 Abs. 1 AVMD-Richtlinie. Insbesondere dürfen sie nicht die Einhaltung strengerer Maßgaben als die der Richtlinie von einem Mediendiensteanbieter verlangen, der der Rechtshoheit eines anderen Mitgliedstaats unterliegt. Nur der Sendestaat darf die seiner Hoheitsgewalt unterstehenden Anbieter strengeren Regelungen unterwerfen, § 4 Abs. 1 AVMD-Richtlinie.[94] Dessen vorübergehende Beschränkung kommt für lineare Dienste unter den Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 AVMD-Richtlinie allein bei schwerwiegenden Verstößen gegen die Vorgaben der Richtlinie in Betracht. Solche Gründe sind etwa bei Gefährdungen des Jugendschutzes und Anstachelungen zu Hass gegeben. Für nicht-lineare Dienste gelten die weniger strengen Voraussetzungen des § 3 Abs. 4 und 5 AVMD-Richtlinie.
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Inhaltlich sind Werbebeschränkungen, Jugendschutzregelungen, die Gewährung eines Gegendarstellungsrechts und eines Rechts auf nachrichtenmäßige Kurzberichterstattung sowie die Förderung europäischer Filmwerke grundlegende Elemente der Richtlinie.[95]
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Aktuell erfolgt eine neuerliche Überarbeitung der AVMD-Richtlinie.[96] Der Entwurf der Europäischen Kommission[97] hält an der Unterscheidung zwischen linearen und nicht-linearen audiovisuellen Mediendiensten fest. Der Anwendungsbereich soll jedoch auf Video-Plattformen erweitert werden. Als wesentliche Eckpunkte der Novellierung zeichnen sich derzeit u.a. ab: eine Deregulierung der quantitativen Werbebestimmungen, eine Lockerung der Maßgaben für Produktplatzierung und Sponsoring, eine Ausweitung inhaltlicher Maßgaben zum Jugendschutz auf Videosharing-Plattformen sowie eine Ausweitung von Verpflichtungen zur Förderung europäischer Werke auf Video-on-Demand-Anbieter. Eine neue Richtlinie könnte ggf. schon bis Ende 2018 in nationales Recht umzusetzen sein.
2.2 Benachbarte Regelungsbereiche
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In enger Nachbarschaft zum Rundfunkrecht existieren im europäischen Sekundärrecht u.a. Regelwerke für das Urheber-, Telekommunikations-, Datenschutz- und IT-Recht.
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An der Schnittstelle zum Urheberrecht[98] wurde 1993 ergänzend