Handbuch IT-Outsourcing. Joachim Schrey
nach der gängigen Rechtsprechung des BGH[345] um ein Mietverhältnis handeln. Damit also der Application Service Provider/SaaS Anbieter sein Geschäftsmodell im Vertragsverhältnis #2 anbieten kann, muss er nicht nur die reinen Lizenzen, sprich das einfache Nutzungsrecht nach § 31 Abs. 1 Satz 2 Var. 1 UrhG erwerben, sondern benötigt gem. § 69c Nr. 3 UrhG auch das Vermietrecht. Der Einwand, dass erworbene Gegenstände auch vermietet werden dürfen, greift nur bei Sachen und nicht bei Rechten.[346] Zwar wird vertreten, dass Software auch als Sache angesehen wird.[347] Aber bei urheberrechtlich geschützten Werken wie Software/Nutzungsrechten erschöpft sich gem. § 69c Nr. 3 UrhG das Verbreitungsrecht in Bezug auf das Vervielfältigungsstück nur mit der Ausnahme des Vermietrechts.
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Dem wiederum wird entgegen gehalten, dass kein Gleichlauf zwischen dem bürgerlichrechtlichen und dem urheberrechtlichen Begriff des Vermietens besteht.[348] Während das BGB eine Besitzverschaffung nicht zwingend voraussetzt, sondern lediglich eine Gebrauchsgewährung erfordert,[349] folgt aus der Zuordnung des Vermietrechts als Unterfall des Verbreitungsrechts zur Gruppe der körperlichen Werkvertretungen i.S. § 15 Abs. 1 UrhG, dass eine Vermietung i.S.d. des Urheberrechts die körperliche Überlassung eines Werkstücks an den Nutzer erfordert.[350] Eine urheberrechtsrelevante Vermietung nimmt der Anbieter von ASP/SaaS nach dieser Ansicht nicht vor.[351]
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In der Praxis bieten große Softwarehersteller wie SAP oder Mircosoft immer auch sog. ASP-Lizenzen an, welche ca. 133 % bis 150 % mehr kosten als einfache Lizenzen (sprich ohne dass der Lizenzgeber das Vermietrecht gem. § 69c Nr. 3 UrhG mitüberträgt). Die Sichtweise von Softwareherstellern oder Softwarehändlern wird mit der Ansicht untermauert, dass ASP/SaaS Anbieter generell eine Erlaubnis zur Verbreitung der Lizenzen gem. § 69c UrhG benötigen.[352]
bb) Vertragsverhältnis 2: Application Service Provider und ASP-Kunde
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Mit der grundlegenden Entscheidung zum ASP hat der BGH[353] das Vertragsverhältnis #2 grundsätzlich dem Mietrecht nach §§ 535 ff. BGB zugeordnet. Die Miete zeichnet sich dadurch aus, dass der Vermieter dem Mieter eine Sache, d.h. einen körperlichen Gegenstand, gegen Entgelt überlässt (§ 535 BGB i.V.m. § 90 BGB) und für die Dauer der Nutzung die Sache im vertragsgemäßen Zustand erhält. Beim ASP-Vertrag (Vertragsverhältnis #2) ist das die Bereitstellung/Gestattung von Nutzungsmöglichkeiten an Software. Bei der juristischen Einordnung eines ASP-Vertrages zwischen Application Service Provider und ASP-Kunde steht die Verschaffung einer Möglichkeit zur Nutzung der Applikation durch den ASP-Kunden im Vordergrund. Die Nutzungsmöglichkeit der Applikation ist dabei nicht auf Dauer, sondern auf temporäre Einheiten i.d.R. begrenzt, daher liegt es nahe, dass das Application Service Providing auch in der Literatur mehrheitlich dem Mietvertrag zugeordnet wird.[354]
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Grundsätzlich stellt sich noch die Frage, inwieweit die zusätzlichen Leistungen wie Pflege der Applikationen und User Help Desk aus dem Bereich der Application-Management-Services (AMS) oder die WAN-Leistungen beim ASP zu berücksichtigen sind. Betrachtet man diese AMS- und WAN-Leistungen gesondert, so müssen diese nicht unbedingt wie das ASP dem Mietrecht zugeordnet werden. Betrachtet man diese zusätzlichen Leistungen als notwendige Leistungen, um ein ASP überhaupt zu ermöglichen, wird man den ASP inkl. AMS- und WAN-Leistungen als einen zusammengesetzten oder auch typenkumulierten Vertrag betrachten können. Hierbei kann jeder Teil nach dem für sich zutreffenden Vorschriften beurteilt werden.[355]
Abb. 24:
Application Service Providing (rechtliche Zuordnung)
cc) Mietrechtliche Hauptleistungspflichten
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Der Mieter ist gem. § 535/§ 581 BGB verpflichtet, das vereinbarte Entgelt zu bezahlen, während der Vermieter dem Mieter den Gebrauch der Mietsache während der Mietzeit (vgl. § 535/§ 581 BGB) schuldet. Für den ASP-Vertrag zwischen dem Application Service Provider und dem ASP-Kunden bedeutet dies, dass der Application Service Provider die vertragsgegenständliche Nutzung der Applikationen ermöglichen muss. Ferner muss der Application Service Provider gem. § 536 BGB die Mietsache im vertragsgemäßen Zustand erhalten. Der Application Service Provider muss daher jegliche Nutzungsbeeinträchtigung beseitigen, die Applikationen/Software funktionsfähig und den Serverrechner instandhalten. Er muss die tatsächliche Nutzung sicherstellen. Sofern hierzu sog. Updates notwendig sind, muss der Application Service Provider diese einspielen, sofern sie notwendig sind, um die Funktionsfähigkeit der Applikationen/Software aufrechtzuerhalten. Dies bedeutet im Umkehrschluss aber nicht, dass er die Applikation/Software weiterentwickeln und mit neuen Funktionen austauschen muss (i.S. e. Upgrades). Ferner gehört die Dokumentation der Software, d.h. das Zurverfügungstellen eines Handbuchs, das der Nutzer zumindest ausdrucken können muss, zu der Hauptleistungspflicht[356] des Application Service Providers.
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Gemäß § 536 BGB ist der Mieter (ASP-Kunde) berechtigt, den zu zahlenden Mietzins zu mindern, wenn die vertragsgegenständliche Nutzung nicht nur unerheblich beeinträchtigt ist. Eine Schadensersatzpflicht des Application Service Providers besteht gem. § 538 BGB für unverschuldete Mängel, die bereits beim Vertragsschluss vorhanden waren, und für verschuldete Mängel, die erst im Laufe der Vertragszeit entstehen. Der Application Service Provider muss den gesamten, durch die Pflichtverletzung entstandenen Schaden ersetzen. Des Weiteren besteht ein Schadensersatzanspruch des Nutzers, wenn der Vermieter mit der Mängelbeseitigung in Verzug ist.
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Zeigt sich im Laufe der Mietzeit gem. § 536c Abs. 1 BGB ein Mangel der Mietsache oder wird eine Maßnahme zum Schutz der Mietsache gegen eine nicht vorhergesehene Gefahr erforderlich, so hat der Mieter dies dem Vermieter unverzüglich anzuzeigen. Das Gleiche gilt, wenn ein Dritter sich ein Recht an der Sache anmaßt.
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Kennt der Mieter gem. § 536b Satz 1 BGB bei Vertragsschluss den Mangel der Mietsache, so stehen ihm die Rechte aus den §§ 536 und 536a BGB nicht zu. Ist ihm der Mangel infolge grober Fahrlässigkeit unbekannt geblieben, so stehen ihm diese Rechte nur zu, wenn der Vermieter den Mangel arglistig verschwiegen hat, vgl. § 536b Satz 2 BGB. Nimmt der Mieter eine mangelhafte Sache an, obwohl er den Mangel kennt, so kann er die Rechte aus den §§ 536 und 536a nur geltend machen, wenn er sich seine Rechte bei der Annahme vorbehält, vgl. § 536b Satz 3 BGB. Die Kenntnis bzw. grobfahrlässige Unkenntnis wird vermutet.[357] Diese strengen Haftungsvoraussetzungen für den Application Service Provider können aber teilweise abbedungen werden.
dd) Lizenzverhältnis zwischen ASP und ASP-Kunde
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Durch das Aufrufen der benötigten Applikation/Software durch den ASP-Kunden könnte eine Vervielfältigung im Sinne des UrhG vorliegt. Beim Speichern von Softwareprogrammen nimmt der ASP-Kunden gem. § 69c Nr. 1 UrhG beim Speichern von Computerprogrammen im Arbeitsspeicher und auf Speichermedien Vervielfältigungshandlungen vor.[358] Auf dem Rechner des Kunden finden beim ASP Vervielfältigungsvorgänge grundsätzlich nur bei der Thin-Client- oder Browser-Software statt, die sowohl auf die Speichermedien als auch in den Arbeitsspeicher des Rechners des Kunden kopiert wird.[359] Der ASP-Kunde muss also zur Nutzung der Client- bzw. der Browser-Software, die auf seinem Rechner läuft, berechtigt sein. Im Einzelfall könnte es durchaus notwendig sein, dem ASP-Kunden auch für die im Rahmen von ASP genutzte Software ein Vervielfältigungsrecht einzuräumen. Hierbei sollte die Nutzungsrechtsklausel im Vertragsverhältnis nicht allzu eng gefasst werden. Insbesondere hilft dabei die sog. Zweckübertragungslehre gem. § 31 Abs. 5 UrhG, danach werden Rechte auch ohne explizite