Absprachen im Strafprozess. Dirk Sauer
2009, in dem § 257c StPO[4] sowie die anderen einschlägigen Vorschriften zur Absprache im Strafprozess in die StPO eingefügt wurden, als Rechtsgeschichte anzusehen und ihrem auf die Rechtspraxis bezogenen Wert entsprechend nicht mehr zu behandeln.
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Dies ist teilweise, aber nicht gänzlich möglich. Zum einen hat das BVerfG mittlerweile gesprochen.[5] Es hat die Verfassungsmäßigkeit der gesetzlichen Regelung bestätigt und Hinweise für ihre Anwendung gegeben, so dass sich einige Fragen unter Geltung der Vorgaben des Gerichts neu stellen. Hierauf wird in Teil 3 näher eingegangen.[6] Zum anderen, und hierzu sollen bereits an dieser Stelle einige Bemerkungen folgen, hat sich die veröffentlichte Meinung nach Einführung der gesetzlichen Regelung in einer Weise entwickelt, die es erforderlich macht, wenn auch in knapperer Form noch einmal grundsätzlich Stellung zu beziehen. Dies geschieht sogleich unter C.I[7].
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Vorab werden zur ersten Orientierung die hergebrachten Möglichkeiten der konsensualen Verfahrenserledigung im deutschen Strafprozessrecht sowie die gesetzliche Regelung der Urteilsabsprache, die seit 2009 gilt, in einem knappen Überblick dargestellt (dazu B.I. und II.).
Anmerkungen
Im Folgenden wird synonym das Wort „einvernehmlich“ verwendet.
BGBl. I S. 2353.
Vgl. zur früheren Diskussion nur Schünemann Gutachten; ders. NJW 1989, 1895 ff; ders. FS Rieß, S. 525 ff.; ders. StraFo 2004, 293; Weigend NStZ 1999, 57 ff.; Meyer-Goßner NStZ 2007, 425 ff.; Harms FS Nehm, S. 289 ff.; Fischer NStZ 2007, 433; Hamm FS Meyer-Goßner, S. 33 ff.; Siolek DRiZ 1989, 321; Saliger JuS 2006, 8 ff.; ausführlich und m. w. N. Sauer Konsensuale Verfahrensweisen im Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 1. Aufl. 2008, Rn. 69 ff., 80 ff.
Paragrafen ohne Gesetzesnennung sind im Folgenden solche der StPO.
Vgl. BVerfG Urt. v. 19.3.2013 – 2 BvR 2628/10 = NJW 2013, 1058 ff.
Vgl. unten Teil 3 (Rn. 285 ff.).
Teil 1 Grundlagen: Für den Konsens, gegen den „Deal“ › B. Möglichkeiten konsensualer Verfahrenserledigungen im deutschen Strafprozessrecht
B. Möglichkeiten konsensualer Verfahrenserledigungen im deutschen Strafprozessrecht
Teil 1 Grundlagen: Für den Konsens, gegen den „Deal“ › B › I. Das Strafbefehlsverfahren und §§ 153 ff. als hergebrachte Möglichkeiten konsensualer Verfahrenserledigungen
1. Hintergründe und Problematik der Vorschriften
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Zumindest an zwei Stellen der StPO sind konsensuale Verfahrenserledigungen schon lange vorgesehen oder wenigstens vorausgesetzt. Die Rede ist zum einen von dem schon bei Einführung der StPO existierenden Strafbefehlsverfahren (§§ 407 ff.), das auf das preußische Strafprozessrecht zurückgeht,[1] zum anderen von den Möglichkeiten, Strafverfahren in Anwendung des Opportunitätsgrundsatzes einzustellen (§§ 153 ff.)[2]. Als Ausgangspunkt kann hier der bereits 1924 eingeführte § 153 angesehen werden. In beiden Regelungskomplexen ist jeweils bestimmt, dass unter bestimmten Voraussetzungen, zu denen die Zustimmung der Staatsanwaltschaft sowie – bei den §§ 153a, 407 ff. – auch die ausdrücklich oder zumindest konkludent erklärte Einwilligung des Beschuldigten gehören, das Verfahren ohne vollständige Ermittlung der Verdachtstat beendet werden kann. Im Strafbefehlsverfahren führt das im Ergebnis sogar dazu, dass Strafe verhängt werden kann, ohne dass in einer formalen Beweisaufnahme vor einem Strafgericht der Nachweis der Tat erbracht wurde.
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Innerhalb der Anwendungsbereiche der genannten Vorschriften kann also nach dem Gesetz unter der Bedingung des Vorliegens eines übereinstimmenden und in irgendeiner Form auch zum Ausdruck gebrachten Willens von Verfahrensbeteiligten auf die Durchführung des sonst von der StPO vorgesehenen Strafverfahrens verzichtet werden. Damit verfügen nicht nur Strafgerichte, sondern auch Staatsanwaltschaften, Verteidiger und Beschuldigte seit jeher über Möglichkeiten, die öffentliche Hauptverhandlung, in der im Strengbeweisverfahren Wahrheits- und Rechtsfindung mit dem Ergebnis eines vom zuständigen Gericht alleine auf der Basis seiner „aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpften Überzeugung“ (§ 261) zu fällenden, zu begründenden und zu verantwortenden Urteils betrieben wird, dadurch zu vermeiden, dass man sich auf eine vereinfachte und beschleunigte Verfahrenserledigung einigt oder diese zumindest stillschweigend mit (oder er-)trägt.[3]
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Das zentrale Motiv des Gesetzgebers dafür, neben der Pflicht zu Verfolgung, Aufklärung und Ausurteilung unter der (verschieden ausgestalteten) Voraussetzung der Zustimmung der Verfahrensbeteiligten auch schnellere und einfachere Wege zur Erledigung von Strafverfahren vorzusehen, war dabei stets das gleiche. Seit jeher ging es um die Schonung der Ressourcen der Justiz respektive ein (vermeintlich) angemessenes Verhältnis zwischen ihrer Beanspruchung auf der einen und der Bedeutung der im konkreten Fall verfahrensgegenständlichen Tatvorwürfe auf der anderen Seite.[4] Das hat sich bis heute nicht geändert. Eher lässt sich sagen, dass der schon früher bedeutsame und wirkungsmächtige Gesichtspunkt der Verfahrensökonomie in jüngerer Zeit rechtspolitisch noch an Bedeutung gewonnen hat. Der Gesetzgeber hat in den letzten Jahrzehnten mehrfach die in der StPO geregelten Möglichkeiten konsensualer Verfahrensbeendigungen in ihren Anwendungsbereichen erweitert sowie neue Varianten geschaffen.[5]
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Dabei ist ganz offensichtlich, dass die genannten Wege einvernehmlicher Verfahrensbeendigung zumindest in einem Spannungsverhältnis zu wesentlichen, teils Verfassungsrang genießenden Prinzipien des deutschen Strafprozessrechts, wie etwa Unschuldsvermutung, Ermittlungsgrundsatz[6] oder Legalitätsgrundsatz stehen. Die §§ 153 ff. beispielsweise setzen bekanntlich dem Legalitätsprinzip das Opportunitätsprinzip entgegen und schaffen im Ergebnis damit die Möglichkeit, von vollständiger Sachaufklärung abzusehen und trotz weiter bestehenden Tatverdachts das Strafverfahren abzuschließen. Es kann kaum zweifelhaft sein, dass der Verfolgungszwang hier nicht eingeschränkt, sondern durchbrochen wird. Ein Prinzip, das in allen Fällen ein bestimmtes Vorgehen, nämlich vollständige Sachaufklärung, fordert, wird durch ein Gegenprinzip, das just dieses Vorgehen unter bestimmten Voraussetzungen für überflüssig erklärt, im konkreten Anwendungsfall außer Kraft gesetzt.[7]
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