Absprachen im Strafprozess. Dirk Sauer
§ 153a Abs. 2, also der Einstellung durch das Gericht, erfordert die endgültige Verfahrensbeendigung formal einen Gerichtsbeschluss (§ 153a Abs. 2 Satz 3), dem jedoch lediglich deklaratorische Bedeutung zukommt. Entgegen dem missverständlichen Wortlaut des § 153a Abs. 2 Satz 4 ist dieser Beschluss in Sonderfällen mit der Beschwerde anfechtbar, das gilt insbesondere dann, wenn es an der notwendigen Zustimmung des Beschuldigten fehlte.[27] Ansonsten bestehen jedoch keine Rechtsmittelmöglichkeiten, insbesondere auch nicht gegen die Verweigerung einer angestrebten Verfahrenseinstellung.
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Hinweis
Wenig bekannt, aber wichtig für die Betroffenen ist im Übrigen,
– | dass trotz Festsetzung einer Geldauflage kein Schuldspruch erfolgt, sondern die Unschuldsvermutung bestehen bleibt und auch keinerlei Eintragung in das Bundeszentralregister erfolgt,[28] |
– | sowie die mit dem – beschränkten – Strafklageverbrauch verbundene Konsequenz, dass der frühere Beschuldigte für etwaige weitere Verfahren gegen andere vermeintlich beteiligte Personen uneingeschränkt als Zeuge mit den entsprechenden umfassenden Pflichten, insbesondere zur wahrheitsgemäßen Aussage in Betracht kommt. |
c) § 153a und Geständnis
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Die besondere Bedeutung, die § 153a als Form der einvernehmlichen Verfahrensbeendigung erlangt hat, macht es schließlich erforderlich – zugegebenermaßen aus Verteidigersicht – darauf hinzuweisen, welche Einstellungsvoraussetzung dem Gesetz nicht zu entnehmen ist und deswegen auch nicht existiert. Vielfach begegnet man nämlich dem Ansinnen, wer im Wege der Einstellung insbesondere gegen Geldauflage nach § 153a glimpflich davonkommen wolle, möge Einsicht und Reue zeigen, sich also die Verfahrenseinstellung durch Abgabe eines Geständnisses erst verdienen.
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Diese Vorstellung trifft jedenfalls in allgemeiner Form nicht zu.[29] Zwar mag es bei der Beurteilung der Schwere der Schuld unter anderem eine Rolle spielen, wie sich der Beschuldigte nach den vermeintlichen Verdachtstaten verhalten hat. Dass die Abgabe einer geständigen Einlassung aber notwendige Einstellungsvoraussetzung sei oder auch nur eine hervorgehobene Rolle bei der Entscheidung über eine Verfahrensbeendigung nach § 153a spielen soll, sieht das Gesetz nicht vor.
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Wenn die Strafverfolgungsbehörden im konkreten Fall meinen, zur Senkung der Schuldschwelle auf ein die Entscheidung nach § 153a ermöglichendes Maß sei ein Geständnis erforderlich, und wenn diese Position sich – was der Sache nach nicht sehr nahe liegt – argumentativ nicht erschüttern lässt, kann der Verteidiger hier wie auch sonst keinesfalls seinem Mandanten dazu raten, wider besseres Wissen Vorwürfe einzuräumen. Aber auch sonst kann die Entscheidung hier schwierig werden. Wenn das Geständnis, im Wege der Akteneinsicht Dritter nach § 406e oder § 475 Kreise zieht, kann sich für den Mandanten beispielsweise das Risiko einer zivilrechtlichen Inanspruchnahme signifikant erhöhen. Auch Folgewirkungen des Geständnisses auf außerstrafrechtliche Verfahren[30] sind an dieser Stelle zu bedenken. Auf Seiten von Staatsanwaltschaften und Gerichten ist in aller Regel bekannt, dass ein Junktim zwischen einem Geständnis und dem Verfahren nach § 153a nicht existiert und Derartiges folglich auch nicht generell gefordert werden kann. Es besteht also kaum einmal Anlass dafür, hier in irgendeiner Weise in „Vorleistung“ zu treten.
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Schon an dieser Stelle zeigt sich, worauf in anderen Zusammenhängen noch zurückzukommen sein wird: Den vielfach beschworenen Gefahren konsensualer Verfahrensweisen im Strafprozess für die Beschuldigten kann die Verteidigung vielfach schlicht durch Rückbesinnung auf die rechtlichen Grundlagen effektiv begegnen.
Teil 2 Verfahrensbeendigende Verständigungen jenseits der Urteilsabsprache › B › III. Absehen von Verfolgung und Beschränkung der Strafverfolgung nach §§ 154, 154a
III. Absehen von Verfolgung und Beschränkung der Strafverfolgung nach §§ 154, 154a
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Im Gegensatz zu § 153 Abs. 2 Satz 1, insbesondere aber § 153a, handelt es sich bei den Vorschriften der §§ 154, 154a nicht um einvernehmliche Verfahrensweisen in einem umfassenden Sinne. Es entscheidet vielmehr die Staatsanwaltschaft bzw. das Gericht mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft. Dem Beschuldigten und damit auch der Verteidigung steht im Normalfall nicht einmal ein Mittel zur Verfügung, die Einstellung nach den genannten Vorschriften zu verhindern, was an sich wünschenswert sein könnte, und zwar zum einen dann, wenn der Mandant auf einen Freispruch bzw. eine umfassende Einstellung nach § 170 Abs. 2 Wert legt, aber auch dann, wenn im Rahmen einer umfassenderen Verfahrensbeendigung ein endgültiger und verlässlicher Abschluss gesucht wird. In vielen Fällen des § 154, also dem Absehen von der Verfolgung einer Tat im Hinblick auf andere Taten, sowie § 154a, der Beschränkung der Strafverfolgung auf einzelne Taten oder einen Teil der fraglichen Gesetzesverletzungen, kann jedoch mangels entgegenstehender gesetzlicher Vorschriften jedenfalls theoretisch der ausgeschiedene Verfahrensstoff wieder einbezogen bzw. das Verfahren wieder aufgenommen werden. Eine Ausnahme gilt nur für die gerichtliche Einstellung nach § 154 Abs. 2, für die § 154 Abs. 4 eine Frist von drei Monaten vorsieht, nach deren Verstreichen eine Wiederaufnahme nicht möglich ist.[31] Entgegen dem missverständlichen Wortlaut des § 154 Abs. 3, Abs. 4 besteht die Wiederaufnahmemöglichkeit für die Staatsanwaltschaft nach ständiger Rechtsprechung insbesondere auch im Fall des § 154 Abs. 1, weil die Absätze 3 und 4 nur für das Gericht gelten sollen,[32] und zwar ohne dass dafür besondere Voraussetzungen erforderlich wären;[33] nicht einmal eine Zusage der Staatsanwaltschaft, das Verfahren nicht wieder aufzunehmen, soll verlässlich sein. Der BGH hat in einem solchen Fall allerdings einen Strafmilderungsgrund angenommen.[34]
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In der Anwendung werfen diese Vorschriften relativ wenige Probleme auf. Hingewiesen sei aber immerhin auf zwei praktisch wichtige Aspekte der §§ 154, 154a:
Hinweis
– | Nach ständiger Rechtsprechung des BGH ist es zulässig, ausgeschiedene bzw. eingestellte Tatteile strafschärfend zu berücksichtigen. Dies setzt allerdings einen entsprechenden Hinweis nach § 265 und außerdem voraus, dass die Schuld- und Straffrage insoweit prozessordnungsgemäß festgestellt wird.[35] Die Verteidigung muss sich dessen bewusst sein und u.U. entlastende Tatsachen mit Bezug auf ausgeschiedenen Prozessstoff, erforderlichenfalls im Wege von Beweisanträgen, in die Hauptverhandlung einführen. |
– | Die Tatsache, dass die Staatsanwaltschaft von ihr nach §§ 154, 154a behandelte Vorwürfe jederzeit wieder einbeziehen kann, führt innerhalb ihres Anwendungsbereichs dazu, dass insofern bei etwaigen Zeugenvernehmungen weiter die Gefahr der Selbstbelastung drohen kann und insoweit Angaben nach § 55 verweigert werden können. |
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Dass die §§ 154, 154a bei der Behandlung konsensualer Arten der Beendigung von Strafprozessen hier überhaupt erwähnt werden, ist im Übrigen weniger der Tatsache geschuldet, dass formal immerhin zwei von drei Verfahrensbeteiligten, nämlich Gericht und Staatsanwaltschaft, im Regelfall für die Einstellung votieren müssen. Wichtiger ist, dass die entsprechenden Entscheidungen in der Praxis sehr häufig Gegenstand von Absprachen sind.
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