Arztstrafrecht in der Praxis. Klaus Ulsenheimer
Um die Problematik der ordnungsgemäßen ärztlichen Aufklärung und anschließenden Einwilligung der Patientin ging es wiederholt auch in Fällen, in denen im Zusammenhang mit einem Schwangerschaftsabbruch oder einem Kaiserschnitt die Patientin sterilisiert worden war.[21] Während der Arzt im konkreten Fall angegeben hatte, die Patientin am Tag der Entbindung ausführlich auch über die Sterilisation anhand eines Merkblattes aufgeklärt zu haben, das anschließend mit der Ergänzung „Tubensterilisation“ von ihr unterzeichnet worden sei, bestritt diese das Aufklärungsgespräch und die Unterzeichnung des Merkblattes. Die fatale Beweissituation, in die der Arzt bei solchen Sachverhaltskonstellationen geraten kann, zeigt die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft wegen schwerer Körperverletzung gem. §§ 223, 226 Abs. 1, Abs. 2 StGB, weil man der Patientin (Zeugin) Glauben schenkte und deshalb eine Urkundenfälschung des Angeschuldigten annahm.[22]
Die Fallbeispiele machen deutlich, dass der Arzt gegenüber dem Vorwurf fehlender, unvollständiger oder verspäteter Aufklärung im Strafprozess oft in einer aussichtslosen Verteidigungsposition ist, da der Patient auf Grund seiner Zeugenstellung und der daraus resultierenden Wahrheitspflicht fast immer das „Glaubwürdigkeitsduell“ mit dem Arzt gewinnt, der als Beschuldigter bzw. Angeklagter ohne Sanktion die Unwahrheit sagen darf. Seine Beweisnot ist daher – trotz des Grundsatzes in dubio pro reo im Strafverfahren – in der Praxis kaum anders als im Zivilprozess. Deshalb ist der Arzt auf dem Feld der Aufklärung leicht „verwundbar“.
d) Der Myom-Fall und seine Folgen
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Wie sehr auch ein Strafverfahren wegen fahrlässiger Körperverletzung infolge mangelnder Risikoaufklärung persönliche Belastungen und weitreichende Veränderungen im privaten Lebensbereich bis hin zur Existenzgefährdung mit sich bringen kann, zeigt schon der Verlauf des berühmten „Myom-Falles“.[29]
Beispiel:
„Der angeklagte Chefarzt hatte bei der Untersuchung einer 46 Jahre alten Patientin eine doppelfaustgroße Gebärmuttergeschwulst (Myom) festgestellt und zu deren operativer Entfernung geraten. Erst während der Operation ergab sich, dass die Geschwulst nicht auf der Oberfläche der Gebärmutter saß, sondern mit ihr fest verwachsen war und deshalb nur durch gleichzeitige Ausräumung der Gebärmutter beseitigt werden konnte. Mit einem so weitgehenden Eingriff war die Patientin jedoch im Nachhinein nicht einverstanden, so dass sie Strafanzeige mit der Begründung erstattete, der Angeklagte habe „aufgrund der Untersuchung und der Besprechung mit ihr“ die „Zustimmung zur Entfernung der Gebärmutter“ nicht annehmen können und dürfen“.[30]
Den Freispruch des LG hob der BGH auf die Revision der Nebenklägerin hin mit der Begründung auf, der Arzt habe nach den tatrichterlichen Feststellungen die Patientin vor der Operation nicht ausdrücklich über die möglicherweise erforderlich werdende Totalausräumung des Uterus aufgeklärt (er unterließ dies, um sie „nicht über das Notwendigste hinaus zu beunruhigen)“.[31] Deshalb hätte die Strafkammer erörtern müssen, ob der Angeklagte vor der Operation nicht an die naheliegende Möglichkeit einer eventuell notwendigen völligen Entfernung der Gebärmutter hätte denken und dann seine Patientin auf diese Möglichkeit hinweisen müssen.[32]
Dieser Pflicht sei er in der Regel auch dann nicht enthoben, wenn er durch die Aufklärung seine Patientin beunruhigen müsse. Eine falsch verstandene Rücksicht könne sich nur allzu leicht nachträglich als eine unerwünschte Verheimlichung ihres wahren Zustands herausstellen, wie die schweren Vorwürfe der Beschwerdeführerin zeigten.[33] Wie weit die Pflicht des Arztes zur Aufklärung eines Kranken reicht, ließ der BGH im vorliegenden Fall offen, vielmehr „wies er insoweit auf die nach seiner Auffassung zutreffenden Grundsätze“ des VI. Zivilsenats des BGH hin.[34]
In der