Arztstrafrecht in der Praxis. Klaus Ulsenheimer
href="http://dejure.org/gesetze/StGB/223.html">223 Abs. 1 StGB. Betäubungsmittel können indes, je nach den Umständen des Einzelfalls, Wirkungen hervorrufen, die sich als Gesundheitsschädigung darstellen. Dies gilt etwa dann, wenn sie zu Rauschzuständen mit weiteren körperlichen Nebenwirkungen, zur Suchtbildung oder zu Entzugserscheinungen führen (BGH […] NJW 1970, 519). Wer Betäubungsmittel verabreicht, hierdurch solche Wirkungen erzielt und dabei vorsätzlich handelt, verwirklicht den Tatbestand des § 223 Abs. 1 StGB ([…] BGHSt 49, 34, 38), sofern dieser nicht bereits durch die Injektion als solche erfüllt wurde […]. Morphin wirkt hauptsächlich auf das Zentralnervensystem, es hat eine sedativhypnotische Wirkung, hebt das Schmerzempfinden auf, führt aber auch zu einer Verminderung der Atemfunktion ([…] BGHSt 35, 179, 181). […] Jedenfalls fehlt es […] für die Annahme, die Angeklagte habe durch die Morphininjektion das Tatbestandsmerkmal einer Gesundheitsbeschädigung erfüllt, an einer tragfähigen Beweisgrundlage. Dies gilt insbesondere für den von der Strafkammer angenommenen, von der Angeklagten verursachten und vom eigentlichen Sterbeprozess zu unterscheidenden pathologischen Zustand, zumal sie die Verursachung des Todes des Patienten durch die Morphingabe nicht feststellen konnte.“
b) Kritik an der Judikatur des Reichsgerichts und des Bundesgerichtshofs
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Insbesondere in der Ärzteschaft wird diese Rechtsprechung oft als eine völlig unverständliche „Gleichsetzung“ ärztlichen Wirkens mit dem Tun etwa eines „Messerstechers“ begriffen.[72] Auch im juristischen Schrifttum wird mit verschiedenen Ansätzen und beachtlichen Argumenten Kritik geäußert:[73] Anfänglich wurde vor allem eingewandt, dass gerade eine erfolgreiche, die körperliche Unversehrtheit im Ergebnis fördernde Behandlung keinen tatbestandlichen Erfolg ausmachen könne. Heute wird vermehrt geltend gemacht, dass nach dem sozialen, vom Rechtsgut her erwünschten Sinn der Heilbehandlung keine „üble und unangemessene Behandlung“ vorliege, wie sie die Definition der körperlichen Misshandlung verlange (dazu Rn. 596); es fehle an der Setzung eines rechtlich missbilligten Risikos. Nicht zuletzt wird darauf verwiesen, dass die Gerichte den §§ 223, 229 StGB verfehlt ein anderes Rechtsgut, nämlich den Schutz der Selbstbestimmung unterschieben.
Da die Rechtsprechung unbeirrt an dem einmal eingeschlagenen Weg festgehalten hat, kam es auch zu rechtspolitischen Anstrengungen (siehe auch schon Rn. 19).[74] Zuletzt wurde 1996 der Referentenentwurf eines 6. Gesetzes zur Reform des Strafrechts publiziert, der auch das Recht der Heilbehandlung neu regeln wollte (§§ 229, 230 StGB-E). Dabei waren ein Tatbestand der eigenmächtigen und ein Tatbestand der fehlerhaften Heilbehandlung vorgesehen mit dem Ziel, zum einen die Qualifizierung des ärztlichen Heileingriffs als Körperverletzung zu vermeiden und zum anderen den folgenlosen Behandlungsfehler straffrei zu lassen. Obwohl manche Kritikpunkte aus dem Kreis der Ärzte und der Strafrechtswissenschaft an der bisherigen Rechtsprechung Berücksichtigung fanden, setzten sich die Entwurfsregelungen jedoch nicht durch.[75]
c) Fortbestand der ständigen Rechtsprechung und gebotene Folgerungen
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Schon Ulsenheimer resümierte in der Vorauflage ohne viel dahingehende Hoffnung, dass nur der Gesetzgeber die Situation ändern könne.[76] Die Ärzteschaft sieht sich mit einer unmissverständlichen Rechtsprechung und einer rechtspolitischen Situation konfrontiert, die keine Abhilfe verspricht. Es sind keine aussichtsreichen Bestrebungen ersichtlich, die Rechtslage grundsätzlich zu verändern. Indem der Gesetzgeber das vorgelegte 6. Strafrechtsreformgesetz im Übrigen erlassen hat, hat er die bisherige Rechtslage vielmehr im Ergebnis bestätigt.
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Den vom Recht konkret betroffenen Ärztinnen und Ärzten ist nun nicht damit geholfen, die prima facie sonderbar scheinende Rechtsprechung pauschal zu geißeln. Hiermit kann ein Jurist gegenüber dem Mediziner zwar vordergründig Verständnis demonstrieren. Hilfreicher erscheint es jedoch, präventiv für ein grundsätzliches Verständnis der Gründe der Rechtsprechung zu werben und übersteigerten Folgerungen aus der kritisierten Rechtsprechung umso deutlicher entgegenzutreten:
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Die Tatbestandsmäßigkeit des Heileingriffs ergibt sich nach dem geltenden Recht aus dem Umstand, dass die medizinische Behandlung in den einschlägigen Fällen zunächst die Integrität des fremden Körpers aufheben und beeinträchtigen muss.[77] Insoweit sogleich eine Saldierung mit dem erhofften, für den Körper förderlichen Ergebnis vorzunehmen, scheidet aus, weil die körperliche Unversehrtheit ein höchstpersönliches Gut eines einzelnen Menschen darstellt. Gerade dies und nicht erst ein Schutz der Selbstbestimmung des Patienten als solcher begründet, weshalb der Heileingriff nach den §§ 223, 229 StGB zunächst als ein Sachverhalt verstanden wird, welcher der Hoheit des Betroffenen unterstellt werden muss. Entsprechend gelangt die juristische Auslegung zur Tatbestandsmäßigkeit des Heileingriffs, die bei weitem noch nicht mit der Strafbarkeit des Geschehens identisch ist.[78] Jene Betrachtung entspricht im Übrigen dem heutigen ärztlichen Berufsrecht und -ethos: Die Ärzte selbst versprechen ihrem Patienten angesichts der Eigengesetzlichkeit des menschlichen Körpers keinen sicheren Erfolg der indizierten Heilbehandlung; sie behaupten nicht, stets nur förderliche Ergebnisse zu erzielen.[79] Überdies denken die (eigenen) berufsrechtlichen Regelungen die Selbstbestimmung des Patienten bereits vermehrt mit (Rn. 355 f.). Es ist insofern geboten, die auf allen Ebenen betonte grundsätzliche Bindung an den Patientenwillen zur Richtschnur des Handelns zu machen, um damit auch strafrechtliche Risiken zu minimieren.
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Die so begründete Tatbestandsmäßigkeit des Heileingriffs gibt den Gerichten nun aber kein Mandat, zulasten der Ärzte einen gesetzesfremden und überdehnten strafrechtlichen Schutz der Selbstbestimmung mit unnötigen „Kollateralschäden“ zu verfolgen. Mit einer immerhin bestehenden Hoffnung bzw. Aussicht auf Erfolg ist in Strafverfahren darauf zu insistieren, dass nur auf die tatsächliche Körperverletzung bezogene und nicht übermäßige Aufklärungspflichten dem Strafrecht unterstehen (näher schon Rn. 337 ff.). Ebenso muss der Schutzzweckzusammenhang die Strafbarkeit beschränken, damit diese nicht einem Selbstzweck der Selbstbestimmung dient (oben schon Rn. 341 f., ferner Rn. 541 ff.).
3. Aufklärung und Einwilligung
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Bevor der aktuelle Stand der bislang stark zivilrechtlich begriffenen Aufklärungspraxis wiedergegeben werden kann, sind weitere u.a. historische Grundlagen darzulegen, welche die Aufklärung in ihrer strafrechtlichen Bedeutung prägen.
a) Verfassungsrechtliche Grundlagen der Einwilligung
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Das normative Erfordernis der Einwilligung zu ärztlichen Heileingriffen wurzelt in der durch Art. 1 GG geschützten Menschenwürde und dem durch Art. 2 Abs. 1 GG verbürgten Schutz des Selbstbestimmungsrechts des Patienten über seine leiblich-seelische Integrität, dessen Beachtung „ein wesentlicher Teil des ärztlichen Aufgabenbereichs ist“.[80]
„Geschützt wird damit die Entscheidungsfreiheit des Patienten über seine körperliche Integrität, über