Arztstrafrecht in der Praxis. Klaus Ulsenheimer

Arztstrafrecht in der Praxis - Klaus Ulsenheimer


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gegen den narkoseführenden Arzt als auch gegen den Chefarzt der Abteilung für Anästhesie, der eine entsprechende Eingriffsdurchführung „zugelassen“ hatte, Anklage zum Landgericht erhob. Bezüglich beider wurde das Verfahren – ohne Hauptverhandlung – gem. § 153a StPO unter Auflage zur Zahlung empfindlicher Geldbeträge eingestellt.[20] Der Anästhesist berief sich darauf, er habe die Narkose trotz Widerspruchs „auf Weisung“ des Chefarztes ausführen „müssen“. Der Chefarzt machte geltend, bei der Leitung des Klinikums im Hinblick auf die unzulängliche OP-Organisation remonstriert zu haben. Von dort aus sei unter Hinweis auf fehlende finanzielle Mittel keine Abhilfe geschaffen worden.

      Auf der Grundlage der vorangehenden Ausführungen sind nachfolgend weitere Differenzierungen vorzunehmen.

      202

      Die Verletzung der Sorgfaltspflicht zu adäquater Organisation durch den insoweit Zuständigen, beispielsweise einen Chefarzt betreffend sachgerechte Behandlungsabläufe in seiner Abteilung, wird üblicherweise kurz als „Organisationsverschulden“ bezeichnet. Ein solches mag darin liegen, dass von vornherein keine adäquaten Organisationsstrukturen geschaffen werden, defizitäre Organisationsstrukturen mangels Kontrolle unentdeckt bleiben oder auf erkannte Defizite schlicht nicht reagiert wird. Resultiert daraus kausal ein tatbestandlicher Erfolg im Sinne der Körperverletzung bzw. Tötung eines Patienten, ist der einschlägige Straftatbestand grundsätzlich erfüllt.

      Entsprechendes gilt für den in den Fall involvierten Chefarzt der anästhesiologischen Abteilung, der – als „Mitarbeiter“ seines Dienstherrn bzw. der Klinikleitung – die Ausführung von Narkosen ohne adäquate postnarkotische Überwachung letztlich „zugelassen“ hat.

      203

      Dieser Befund findet sichtbaren Ausdruck in folgendem Vermerk einer Staatsanwaltschaft:

      Verfahrensgegenständlich war der Vorwurf fahrlässiger Tötung infolge der Transfusion von Fremdblut mit inkompatibler Blutgruppe ohne vorgängige Verträglichkeitsprüfung durch eine Anästhesiefachschwester auf Anordnung der Anästhesistin im Rahmen eines nächtlichen Notfalleingriffs.

      204

      

      Infolge der Transfusion einer Blutkonserve mit inkompatibler Blutgruppe verstarb der Patient trotz einer Blutaustauschtransfusion und intensivmedizinischer Maßnahmen. Die Blutkonserve war von einer Assistenzärztin, die nach ihrer Approbation erst 8 1/2 Monate im Klinikum angestellt war, vorgenommen worden. Zum Zeitpunkt der Transfusion hatte sie in der Klinik eine 63-Stunden-Woche mit anschließendem mehr als 12-stündigem ununterbrochenem Notdienst hinter sich, wobei sie aktuell mehrere Maßnahmen für verschiedene Patienten gleichzeitig zu überwachen hatte. Dabei entging ihr die Verwechslung, da durch das Labor zwei Blutkonserven für zwei verschiedene Patienten gleichzeitig ausgehändigt worden waren. Die Konserven selbst ermangelten einer Blutgruppenkennzeichnung. Diese ergab sich vielmehr aus dem Begleitdokument, dass in unübersichtlicher Art und Weise mit einer Vielzahl von Daten gestaltet war.

      Die Angeklagte räumte den ihr angelasteten Sachverhalt ein, wobei sich das Gericht in der Hauptverhandlung davon Überzeugung verschaffen konnte, dass sie das Geschehen aufs Schwerste beeindruckt hat, worunter sie auch nach wie vor litt. Der vernommene Sachverständige bezeichnete erhebliche strukturelle Mängel in der Krankenhausorganisation, „die fast zwangsläufig zu einem Versagen der Angeklagten führen mussten“ (Dienstplangestaltung, Übermüdung, gemäß Ausbildungsstand inadäquate Aufgabenzuweisung, insbesondere mangelnde Schulung zur Durchführung einer Bluttransfusion; insofern hatte sich die Klinikverwaltung am Tag nach den Vorkommnissen von der Angeklagten die inhaltlich unzutreffende Erklärung unterschreiben lassen, dass sie eine entsprechende Fortbildung erhalten habe).


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