Kriminologie. Tobias Singelnstein

Kriminologie - Tobias Singelnstein


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Verhaltenspraxis besteht.

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      II. Das Modell des Erklärens

      7 Der Positivismus geht davon aus, der Gegenstand der wissenschaftlichen Erkenntnis sei unabhängig vom methodischen Zugang und der subjektiven Einstellung [38] der oder des Erkennenden als etwas naiv und unbestreitbar Gegebenes positiv vorhanden und könne deshalb wie ein Faktum unbeteiligt, also streng wertneutral und „objektiv“ erkannt werden. Diese Annahme bestimmt die Entwicklung der Kriminologie und prägt ihren erklärenden empirischen Zweig bis heute. Demzufolge wird kriminelles Verhalten als objektive Gegebenheit verstanden, das in seinem tatsächlichen Vorkommen wahrgenommen, gezählt und auf soziale, psychologische und biologische Einflüsse zurückgeführt werden kann. Die Suche nach allgemeingültigen ursächlichen Erklärungen für Kriminalität folgt dem kriminalpolitischen Anliegen, Kriminalität kontrollieren zu können und stellt damit die Wissenschaft in den Verwendungszusammenhang der kriminalpolitischen Praxis.

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       Beim Erklären werden Geschehnisse zueinander in Bezug gesetzt, die als dinghaft gegeben und wie Naturobjekte als sinnlich wahrnehmbar verstanden werden. Das wahrgenommene Objekt prägt sich angeblich auf der Wachstafel unserer Wahrnehmung ein wie es ist und kann deshalb von jedem bzw. jeder unter den gleichen Voraussetzungen in gleicher Weise, also objektiv, erkannt werden.

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      III. Das Verstehensmodell

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       Nach dem Verstehensmodell folgt die sozialwissenschaftliche Erkenntnis deshalb anderen Regeln als das naturwissenschaftliche Erklären. Gesellschaftliche Realphänomene sind danach keine Objekte, die der Beobachtung unmittelbar zugänglich wären, sondern man kann verschiedene Bilder und Vorstellungen von ihnen haben. Die soziale Welt ist von Menschen immer schon mit Sinn verbunden, in einer bestimmten Weise mit Bedeutungen versehen. Dieser Sinn wird im gesellschaftlichen Alltag durch soziale Akteur:innen interpretiert, verstanden, mit anderen Deutungen konfrontiert und möglicherweise neu ausgehandelt. Diese Praktiken schaffen ein Verständnis der sozialen Wirklichkeit und machen diese für uns verfügbar. Alle sozialen Akteur:innen, welche die betreffende Sprache beherrschen, sind befähigt, Bedeutungen von Dingen zu verstehen, indem sie diese mit ihren eigenen Assoziationen versehen und so sich davon „ihr“ Bild machen.

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       [40] Wenn wir ein Verhalten als Diebstahl wahrnehmen, mag uns dies als klar und selbstverständlich erscheinen. Diese Wahrnehmung folgt aber daraus, dass wir die Bedeutung, die wir dem beobachteten Verhalten zuschreiben, tief als Wissen verinnerlicht haben. Diebstahl ist keine natürliche Gegebenheit, sondern eine Wahrnehmung und Deutung eines bestimmten Geschehens in einer bestimmten Weise. Dabei werden juristische Voraussetzungen wie der „Diebstahlsvorsatz“ in Alltagsvorstellungen übersetzt, die wahrgenommene Handlung in ihrer nur aufgrund von Indizien deutbaren Intention – Vorsatz sieht man nicht – in ihrem Sinn bestimmt und dieser Sinn bewertet.

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       Menschliches Handeln wird stets in solcher durch Bedeutung gerahmten Form wahrgenommen und ist nur so anderen vermittelbar. Wer die Handlungsbedeutung verstehen will, muss sich mit dieser Sinnsetzung auseinandersetzen, sie teilen oder ihr eine andere entgegensetzen. Daraus ergibt sich


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