Unternehmenssanierung, eBook. Guido Koch
nicht Gegenstand der vorliegenden Untersuchung gewesen.
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Ein weiterer Befund: Unternehmen aus dem Dienstleistungsgewerbe verursachen häufiger und mehr Folgeinsolvenzen. Nahezu zwei Drittel der Insolvenzfälle, die im Zusammenhang mit den Insolvenzen des 1. Halbjahres 2020 stehen, sind auf Unternehmen aus dem Dienstleistungsgewerbe zurückzuführen. Zwar dominieren Dienstleister generell das Insolvenzgeschehen hierzulande – bei der GmbH entfällt gut die Hälfte der Fälle auf diesen Wirtschaftsbereich. Allerdings sind Dienstleister bei den erfassten Umfeld- und Folgeinsolvenzen überrepräsentiert, was auch durch Unternehmensformen wie Holdings und reine Verwaltungsgesellschaften bedingt sein dürfte, die diesem Wirtschaftszweig zugeordnet werden. Insolvente Firmen aus dem Verarbeitenden Gewerbe verursachten hingegen nur wenige Umfeld- und Folgeinsolvenzen.[28]
5. Ausblick
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Mit Kristallkugeln war es immer etwas problematisch und der dort typische Nebel ist momentan dichter denn je.
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Stand heute und mit Vertrauen auf die Wirksamkeit der großzügigen Stützungsmaßnahmen der Bundesregierung gehen wir davon aus, dass die immer wieder angekündigte große Insolvenzwelle ausbleiben wird. Historischen Mustern folgend wird aber mit dem Ende der Pandemie und der daraus resultierenden Wiederbelebung der Wirtschaft ein messbarer Anstieg der Insolvenzzahlen resultieren, die Opfer der Pandemie werden sichtbar.
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Zudem haben die in vielen Ländern, insbesondere in Asien und Afrika, sicherlich wesentlich länger währenden Auswirkungen der Pandemie noch nicht abzuschätzende Folgen für die einst reibungslos funktionierenden Just-in-Time-Lieferketten. Sich daraus ergebende nachhaltige Störungen haben erkennbar das Potenzial, Unternehmenskrisen auszulösen. Ob auch jetzt noch durch aktives und vorausschauendes Management die wirtschaftlichen Belastungen langfristiger Lieferausfälle oder -verzögerungen gemindert oder vermieden werden können, ist fraglich.
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Bereits vor der Pandemie waren durch Umbruchsituationen in einzelnen Branchen vermehrt Krisen und Insolvenzen festzustellen. Namentlich sind dies die Bereiche Automotive, Einzelhandel und Gesundheitswesen. Die Hilfs- und Stützungsmaßnahmen der Bundesregierung haben in diesen Branchen geholfen, einen signifikanten Anstieg der Fallzahl zu vermeiden. Die Pandemie hat den Umbruch in diesen Bereichen keineswegs gestoppt, sondern in vielen Fällen sogar beschleunigt. Insoweit ist es realistisch anzunehmen, dass mit dem Auslaufen der Hilfsprogramme die Insolvenzfallzahlen und der Restrukturierungsbedarf in den genannten Branchen überdurchschnittlich steigen wird.
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Dabei ist die Krise im Einzelhandel und der damit verbundene Anstieg der Leerstandsquoten in allen Bereichen jenseits der 1 A-Lagen dazu geeignet, auch auf den Immobiliensektor auszustrahlen. Dies umso mehr, als in der Niedrigzinsphase bei Verkäufen in der jüngeren Vergangenheit ein extremer Preisanstieg zu verzeichnen war. Dem Immobiliensektor droht auch zusätzliche Beeinträchtigung durch den aus der Pandemie resultierenden und nachwirkenden Trend zum Homeoffice. Diese beiden Faktoren werden im Immobiliensektor zu einem nachhaltigen Anstieg der Restrukturierungsfälle führen.
1. Unternehmensformen, GmbH-Schwerpunkt
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Fragen der Unternehmenssanierung stellen sich für alle gängigen Gesellschaftsformen, die für ein Unternehmen in der Bundesrepublik zugänglich sind. Nach der im Frühjahr 2021 veröffentlichten Umsatzsteuerstatistik lag der Praxis-Schwerpunkt im Jahr 2019 bei der GmbH, da diese nach den Einzelunternehmen die häufigste Unternehmensform in Deutschland ist. Von rund 3,29 Mio. umsatzsteuerpflichtigen Unternehmen im Jahr 2019 sind demnach ca. 554 326 Gesellschaften mit beschränkter Haftung. Damit stellen sie nach den Einzelunternehmen (2,15 Mio.) die zweithäufigste Unternehmensform dar. Aktiengesellschaften, welche vor allem im Bereich von Industrie, Versicherung und Banken als Unternehmensform gewählt werden, wurden rund 7 600 gezählt. Die gleichfalls für eine mittelständische Unternehmensführung konzipierten Rechtsformen der OHG (rd. 14 100) und KG (ca. 14 500) fallen weit hinter die Anzahl der GmbHs zurück.[29] Grund hierfür ist sicherlich die Haftungsbeschränkung, die Flexibilität und die moderaten gesetzlichen Anforderungen bei der GmbH.
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Aufgrund der niedrigen Mindestkapitalausstattung ist die GmbH besonders insolvenzanfällig und machte im Jahr 2020 einen Anteil von 43,4 % des Insolvenzgeschehens aus. Damit ist die GmbH anteilmäßig deutlich stärker vertreten als im Vorjahr (2019: 39,7 %). Diese Entwicklung korrespondiert mit dem Zuwachs tendenziell größerer Unternehmen in der Insolvenzstatistik, die typischerweise als Kapitalgesellschaften organisiert sind. Ansteigend war der Trend auch bei der Unternehmergesellschaft (UG), die mittlerweile etwa ein Achtel des gesamten Aufkommens der Unternehmensinsolvenzen stellt und damit deutlich überrepräsentiert bei Insolvenzen ist. Am gesamten Unternehmensbestand in Deutschland hält die UG nur einen Anteil von rund 4 %.[30] Merklich verringert hat sich hingegen der Anteil der Rechtsformen „Gewerbebetrieb“, „Einzelunternehmen“ und „Freie Berufe“ (von 40,7 auf 36,5 %), die üblicherweise Kleinstunternehmen repräsentieren.
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Schwerpunkt des Sanierungsgeschehens liegt deshalb ebenfalls bei der GmbH. Zwar ist die Mehrzahl der Unternehmergesellschaften vor dem Hintergrund der in der Regel geringen Kapitalausstattung besonders insolvenzanfällig. Aufgrund der Zweckbestimmung als Existenzgründergesellschaft kann aber vermutet werden, dass bei der Unternehmergesellschaft professionelle Sanierungsversuche aus Wirtschaftlichkeitsgesichtspunkten im Regelfall von vornherein ausscheiden.
2. Erfahrungen mit dem ESUG
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Das in wesentlichen Teilen am 1.3.2012 in Kraft getretene Gesetz zur Erleichterung der Sanierung von Unternehmen vom 7.12.2011 (ESUG) wurde mit dem Ziel verabschiedet, Gestaltungsmöglichkeiten für die Sanierung von Unternehmen zu erweitern und eine Kultur der zweiten Chance zu etablieren. Hierfür sollte insbesondere der Einfluss der Gläubiger auf die Auswahl des Insolvenzverwalters gestärkt, die Nutzung der Eigenverwaltung erleichtert und das Insolvenzplanverfahren von Hemmnissen und Verzögerungen befreit werden. Die Bundesregierung wurde verpflichtet, die Erfahrungen mit der Anwendung des ESUG fünf Jahre nach dessen Inkrafttreten zu evaluieren und dem Deutschen Bundestag Bericht zu erstatten. Zur Vorbereitung des Berichtes hat die Bundesregierung eine Forschergemeinschaft mit der Durchführung einer rechtstatsächlichen und rechtswissenschaftlichen Untersuchung der Wirkungsweise des ESUG beauftragt.[31]
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Im Rahmen der Evaluierung wurden 1 609 Verfahren im Zeitraum vom 1.3.2012 bis zum 28.2.2017 ermittelt, die nach § 270a InsO oder § 270b InsO oder in einer bestimmten Phase als Eigenverwaltung durchgeführt worden sind. Deutschlandweit gab es im gleichen Zeitraum insgesamt 46 539 Insolvenzverfahren von Personen- und Kapitalgesellschaften, so dass Verfahren in Eigenverwaltung nach wie vor kein Massenphänomen sind. Von den erfassten Verfahren fanden mehr als zwei Drittel (67,74 %) durchweg in Eigenverwaltung statt. Mehr als ein Drittel der erfassten Verfahren (37,91 %) gingen in ein Regelinsolvenzverfahren über und 28,96 % wurden mit Bestätigung des Insolvenzplanes nach § 258 InsO aufgehoben.[32]
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Abb. 10: Übersicht Eigenverwaltungsverfahren in Deutschland 2012 – 2017[33]
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