Rechtsgeschichte. Susanne Hähnchen

Rechtsgeschichte - Susanne Hähnchen


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Zeit sind übrigens nicht zu verwechseln mit dem Begriff der Rechtsquelle im rechtstheoretischen Sinne.[2]

      Als rechtshistorisch relevante Quellen in Betracht kommen alle Erscheinungen, die uns Aufschluss über das Recht der Vergangenheit geben:

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      Hierzu gehören alle Zeugnisse des Bodens,[3] der Archive oder sonst der Umwelt, aus denen sich rechtlich Erhebliches entnehmen lässt. Dichte und Aussagekraft dieser Quellen sind sehr unterschiedlich. Für den germanischen Bereich spielen sie eine besondere Rolle, weil dieser der Publizität von Rechtsakten, also der Offenkundigkeit, viel Raum gab. Einige antike Rechte sind überhaupt nur aus den Ergebnissen der Grabungen zu erschließen. Noch nicht (überwiegend) schriftliches Recht arbeitet notwendig mit anfassbaren, sichtbaren Symbolen.[4] Ob es Gebrauchsgegenstände sind, Gebrauchshandlungen, künstlerische Erzeugnisse: In Vielem steckt Rechtliches, alles kann als Argument zur Erkenntnis des geschichtlichen Rechts benutzt werden.

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      Technische Ausdrücke, Sprichwörter und vor allem Formeln sind zwar irgendwann aufgeschrieben worden und daher schriftlich überliefert, doch ist ihnen die Schriftform nicht wesentlich. Noch heute gilt: Rede ist nicht gleich Schreibe, auch wenn das in manchen schriftlichen Prüfungsarbeiten vergessen wird.

      Aus diesen Quellen ergibt sich das in früher Zeit wegen grundsätzlicher Schriftlosigkeit (Oralität, Mündlichkeitskultur) mündliche Rechtsleben, in Abgrenzung zum Gewohnheitsrecht Rechtsgewohnheiten genannt, vor allem das Verfahren.[5]

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      Seit dem Mittelalter nehmen die schriftlichen Quellen kontinuierlich zu.[6] Doch sollte man nicht glauben, dass dadurch immer ein leichter Zugang zu einer Frage möglich wäre. Zum Verständnis gerade mittelalterlicher Quellen sind besonders detaillierte historische Kenntnisse notwendig, da man die Texte isoliert nicht verstehen kann. Auch sprachliche Differenzierung ist wichtig: Ein scheinbar vertrauter Begriff kann einen ganz anderen Sinn gehabt haben oder je nach Kontext verschiedene Bedeutungen. Es ist Einfühlungsvermögen in die jeweilige Zeit erforderlich. Vgl. auch die Hinweise zur Exegese (Rn. 28 ff).

      Die schriftlichen Rechtsquellen lassen sich wie folgt einteilen:

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      Es gibt Rechtsaufzeichnungen amtlichen und privaten Charakters. Amtliche Aufzeichnungen gibt es als Gesamtaufzeichnungen oder als Einzelnotizen. Näheres dazu wird sogleich im Abschnitt „Gesetz“ (Rn. 21 ff) erläutert.

      Private Aufzeichnungen werden bei ihrer Entstehung nicht in gleicher Weise autorisiert bzw. in Kraft gesetzt. Dies liegt oftmals am Rechtsverständnis der Zeit, in der sie entstanden sind. Sie erhalten aber mitunter im Rechtsfindungsprozess große Bedeutung und eine Autorität wie eine amtliche Aufzeichnung. Näheres dazu findet sich bei den Rechtsbüchern, insbesondere am Beispiel des Sachsenspiegels (Rn. 324 ff).

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      Von den Rechtsaufzeichnungen lassen sich die Urkunden unterscheiden, allerdings nur im Blick auf ihre Funktion, nicht im Sinne der Geschichtswissenschaft allgemein. Denn auch die Gesetze sind vielfach in Urkundsform überliefert und erhalten nur in dieser streng genormten Form ihre Rechtswirksamkeit. Die Urkundenlehre (Diplomatik) ist eine der wichtigsten historischen Hilfswissenschaften.[7] Näheres findet sich im Abschnitt „Mittelalterliche Urkundenlehre“ (Rn. 338 ff).

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      Die Paläographie (Schriftkunde) ist die Lehre des Lesens und Verstehens alter Handschriften[8] und eine weitere wichtige historische Hilfswissenschaft. Alphabete und Schreibstile verändern sich im Laufe der Zeit in Abhängigkeit von ihrem kulturellen Umfeld. Paläographische Kenntnisse sind daher wichtig zur Datierung und Zuordnung von Quellen. Aber man sollte sich auch als rechtshistorisch Interessierter (wenigstens exemplarisch) selbst einen Eindruck von der Beschaffenheit der alten Quellen und ihrer Entzifferung verschaffen, wenn man das Inhaltliche richtig beurteilen will. Die sinnliche Wahrnehmung alter Urkunden, Bücher etc. erleichtert das Hineinversetzen in eine Zeit und damit das Verständnis.

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      Beschreibstoff kann alles sein, was als Schriftträger in Betracht kommt.[9] Das Material prägt (neben dem individuellen und dem zeittypischen Element) den Charakter einer Schrift entscheidend mit. Älteste Beschreibstoffe sind Holz, Metalle und Steine. Gleichzeitig bewirkt die Dauerhaftigkeit dieses Materials eine besonders gute Überlieferung. Die ältesten bekannten Gesetze und sonstigen Rechtsaufzeichnungen sind in der Form eingeritzter Steine erhalten. Durch die Technik erhalten diese ersten Schriften einen eigentümlich eckigen Charakter, der auch bei der Benutzung anderer Materialien häufig bleibt. Aus der Wissenschaft von alten Schriften, der Paläographie, hat sich daher eine besondere Wissenschaft von der Kenntnis eingeritzter Schriften entwickelt, die Epigraphik (Inschriftenkunde). Sie erforscht jedoch vor allem antike Überlieferungen; im Mittelalter und in der Neuzeit gibt es weniger Unterschiede zwischen Schriften auf verschiedenen Materialien.

      Als paläographische Beschreibstoffe kommen in Betracht:

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      Tontafeln wurden seit 5000 v. Chr. in Mesopotamien und später beispielsweise in Ägypten und auf Kreta genutzt. In die nassen Tafeln wird die Schrift eingeritzt, bei Trocknung entsteht ein dauerhaftes Schriftstück. Die keilschriftrechtlichen Quellen sind auf diese Weise überliefert. Das Wiederaufweichen war in der Regel verboten, weil es eine Abänderung des Textes ermöglichte.

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      Wachstafeln (als Einzeltafeln oder zusammengebundene Tafeln) waren in der Spätantike der am häufigsten für Geschäfte verwendete Beschreibstoff. Sie erscheinen aber noch bis ins späte Mittelalter, besonders als Konzepthilfe und für schnelle Mitteilungen. Schreibwerkzeug ist meist der hölzerne oder elfenbeinerne Griffel.

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      Papyrus hatte in der Antike die gleiche Bedeutung, wie heute Papier (insbesondere bis zur Erfindung der Computer). Dünne Streifen des Marks der Papyrus-Pflanze, die aus Ägypten stammt, wurden kreuzweise übereinandergelegt und gepresst. Der Papyrus erhielt sich besonders gut im trockenen und heißen Wüstensand. Seit dem 4./5. Jahrhundert wurde er zunehmend durch das haltbarere Pergament ersetzt, fand aber noch im Mittelalter Verwendung.

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      Pergament besteht aus Tierhäuten, die nicht als Leder gegerbt, sondern in Kalkwasser gebeizt werden. Beschrieben wurde es mit einer Rohr-,


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